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Zweifelhafte Transparenz

Mit dem Beginn dieser Fußballsaison ist das digitale Zeitalter endgültig in der ersten und zweiten Bundesliga angekommen. Die Münchner Firma Impire hat von der Deutschen Fußball-Liga den Auftrag erhalten, alle Bewegungen der Spieler und des Balles zu überwachen und in ein gigantisches Datenwerk zu übersetzen. Spieler und Trainer können nun tief hineinblicken in die Innereien Spiels. Doch auch die Medien dürfen die Daten verwenden, was für Irritationen und Verärgerung unter Spielern, Trainern und Managern führt.

Von Daniel Theweleit | 17.09.2011
    So beginnt der Arbeitstag der Mitarbeiter der Firma Impire. Jungs in Kapuzenjacken, meist Studenten, die sich hier ein paar Euro dazu verdienen. Sie steuern eine Software, mit der so genannte physische Daten bei Fußballspielen erhoben werden. Laufdistanzen, Laufgeschwindigkeiten, die Anzahl der Sprints, Diagramme über Laufwege und am Ende sogar Informationen über die taktischen Bewegungen der Teams. Sie heißen Operator und werden eingearbeitet von Impire-Mitarbeiter Malte Hofmann.

    "Also in jedem Stadion haben wir zwei feste Kameras installiert. Wir haben drei Operator, Der Balloperator erfasst die Beschleunigung des Balles, somit können wir die Position des Balles bestimmen. Sowohl negative als auch positive Beschleunigung. Die beiden Operator sind für die Mannschaften zuständig und müssen darauf achten, dass, wenn das Spiel läuft, dass die Spieler richtig zugeordnet sind."

    Ihre Blicke bohren sich tief hinein in die Bildschirme. In einem Fenster des Programms ist das Spiel zu sehen. Eingebettet in eine Oberfläche, auf der sich Knöpfe befinden, die mit Begriffen wie "Grab", "Add Balance" oder "Remove a Player" gekennzeichnet sind. Am Ende fließen pro Spiel drei Gigabyte frische Daten in die Bundesligaarchive ein. Die Analysten freuen sich, Trainer nutzen die Informationen zur Steuerung ihrer Übungen, die Suche der Socuts nach passenden Spielern wird erleichtert. Doch schon nach dem ersten Spieltag gab es Ärger. Weil Lukas als lauffaulster Spieler stigmatisiert wurde, beschwerte sich Sportdirektor Volker Finke bei der Deutschen-Fußball-Liga. Der Verband hat der Impire AG die Rechte am Weiterverkauf der Informationen zu übertragen. Zeitungen und TV-Sender nutzen die Daten für ihre Berichterstattung, und daraus ist eine Dynamik entstanden, deren Tragweite falsch bemessen wurde, wie Andreas Rettig, der Manager des FC Augsburg einräumt.

    "Grundsätzlich ist eine Datenerhebung und eine Datennutzung nichts Verwerfliches. Im Gegenteil, der Fan erfreut sich daran und diskutiert ja auch darüber. Es wird immer dann ein Problem, wenn nicht in der Tiefe fachlich die Dinge beleuchtet werden. Ich glaube, dass wir alle ein wenig unterschätzt haben, was daraus werden kann.’"

    Hannovers Sportdirektor Jörg Schmadtke hat die Veröffentlichung der Daten sogar als Indiz gewertet, dass die Liga nichts aus dem Selbstmord von Robert Enke gelernt habe. Ohne Not würden Spieler der kritischen Öffentlichkeit ausgeliefert. Auch Sven Mislintat, der Chefscout von Borussia Dortmund findet die frühe Form der Veröffentlichung bedenklich. Es fehlt die qualitative Bewertung.

    "Man kann eine Laufleistung haben von 13,5, aber wenn man den entscheidenden Weg nicht macht, dann ist das vielleicht das 0:1. Man muss klar sagen, aus Vereinssicht: Wenn Spieler bloßgestellt werden, ist das nicht in unserem Interesse, das gehört sich einfach nicht."

    Nach den Erfahrungen der ersten Saisonwochen haben DFL, Vereinsmanager und die Firma Impire sich in dieser Woche noch einmal getroffen und über Auswege diskutiert. Eine schnelle Lösung wurde nicht gefunden, wie Rettig erzählt.

    "Man ist dann tatsächlich auch nach dieser Diskussion zu dem Ergebnis gekommen: Ja, es wird am jetzigen Prozedere festgehalten, nur der Appell, und da müssen wir uns einfach selbstkritisch vor die Brust klopfen, geht in die Richtung dass, wir sagen, wir müssen einfach die Sensibilität für diese Daten erreichen in der Öffentlichkeit."

    Mann kann dieses Ergebnis als Sieg der Transparenz feiert, denn wirklich neu ist auch, dass die gesammelten Informationen allen Klubs gleichermaßen zur Verfügung stehen. Auch die Daten der gegnerischen Teams. Kooperation statt Geheimniskrämerei, hier haben sich die progressiven Kräfte in der Liga durchgesetzt. Diese Form der internen Offenheit begrüßt auch Dortmunds Scout Mislintat.

    "Analystentreffen, wie sie heute stattfinden, auch in Deutschland gab es hier vor ein, zwei Jahren nicht. Ich glaube, dass das ein wichtiger Schritt war in diesem Bereich, weil das am Ende die Liga stärkt."

    Denn der feine Unterschied, von dem so oft geredet wird, die Kleinigkeiten, die über Sieg und Niederlage entscheiden, die lassen sich vielleicht tatsächlich aus dem Rohstoff formen, der in der Bundesliga immer wichtiger wird: Wissen.