Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Zweifellos werden diese Wahlen von der Wirtschaft bestimmt"

Der Koordinator der Bundesregierung für transatlantischen Beziehungen, Hans-Ulrich Klose, sagt, dass die Amerikaner Zukunftsängste haben. Vor diesem Hintergrund liege das Augenmerk der Wähler auf der Wirtschaftspolitik, so der SPD-Politiker weiter.

Hans-Ulrich Klose im Gespräch mit Gerwald Herter | 02.11.2010
    Gerwald Herter: Wir sind jetzt mit dem Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen verbunden, mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Hans-Ulrich Klose. Guten Morgen, Herr Klose!

    Hans-Ulrich Klose: Guten Morgen!

    Herter: Herr Klose, ist Barack Obama - und deutet sich das nun an - doch eher ein Präsident der Europäer und der Deutschen?

    Klose: Das war er vielleicht in der Vorstellung der Europäer; in der Vorstellung der Amerikaner nie und in seiner eigenen, wie ich vermute, auch nicht. Er ist zuerst amerikanischer Präsident, artikuliert und vertritt amerikanische Interessen.

    Herter: Präsident der Europäer, der Begriff tauchte vor zwei Jahren schon mal auf. Lassen Sie mich anders fragen: Lässt sich das, was wir, wir in Deutschland vom amerikanischen Präsidenten erwarten, Partnerschaft, Weltoffenheit, Engagement in internationalen Organisationen, lässt sich das in den USA politisch überhaupt verkaufen?

    Klose: Das ließe sich verkaufen, nur nicht in der gegenwärtigen Situation, weil das dominante Thema, das die Amerikaner hautnah beschäftigt, die wirtschaftliche Lage des Landes ist und die Lage eines jeden einzelnen Bürgers. Wenn man sich amerikanische Landschaften ansieht, dann kann man erkennen, wie weit die Grundstückskrise gegangen ist, und die Arbeitslosigkeit hat inzwischen eine Dimension erreicht, an die Amerikaner einfach nicht gewöhnt sind. Viele Leute haben einfach Zukunftsangst.

    Herter: Zehn Prozent, das klingt für uns nicht sehr viel, ist in den USA aber ganz bedeutend. Zweifellos werden diese Wahlen von der Wirtschaft bestimmt. Vom Währungskrieg wird längst gesprochen zwischen den USA und auch der Europäischen Union. In den USA spricht man vom Handelskrieg. Was hätte Deutschland zu erwarten, wenn diese Auseinandersetzung vielleicht auch durch Wahlergebnisse noch stärker wird?

    Klose: Obama hat ja vor einiger Zeit angekündigt, dass er die Exportraten der USA verdoppeln möchte. Das kann er nur, wenn er die Exportchancen bisher starker Länder wie China, Deutschland, Japan beeinträchtigt. Und manches, was die amerikanische Regierung tut und getan hat, deutet darauf hin, dass sie es ernst meint. Zum Beispiel der Vorschlag von Timothy Geithner, Finanzminister in den USA, dass die Handelsbilanz-Ungleichgewichte ein bestimmtes Maß nicht überschreiten sollten, das war konzentriert gezielt unter anderem auf Deutschland.

    Herter: Und das klingt nach knallhartem Protektionismus.

    Klose: Die Demokraten, wenn man so will, waren immer etwas protektionistischer eingestellt als die Republikaner. Dafür gibt es Beispiele, denken Sie daran, wie der Großauftrag des amerikanischen Militärs zum Neubau von Tankflugzeugen gelaufen ist. Das war ja ursprünglich ein Zuschlag an die Europäer, auch an eine deutsche Firma oder eine mit deutsche Firma.

    Herter: Airbus!

    Klose: Nein, es ist EADS.

    Herter: EADS.

    Klose: Aber das ist dann wieder eingefangen worden und für die Zukunft rechne ich nicht damit, dass EADS den Auftrag noch mal bekommt.

    Herter: Eine Form von Protektionismus ist, die Währung niedrig zu halten, den Kurs des Dollars niedrig zu halten. Es ist damit zu rechnen, dass die amerikanische Zentralbank in dieser Woche noch Entscheidungen trifft, die die Konjunktur wiederum ankurbeln sollen. Auch das könnte uns ja nicht egal sein?

    Klose: Ich vermute, dass jedenfalls ganz ernsthaft darüber nachgedacht wird. Es geht wieder mal um den Ankauf von Papieren und damit wird Geld in den Kreislauf geschwemmt, neue Dollar. Es gab mal einen Finanzminister, einen amerikanischen, Connolly, der in den Anfang 1970er-Jahren gesagt hat, der Dollar, das ist unsere Währung und euer Problem, und darauf könnte es wieder hinauslaufen, ja.

    Herter: Viele europäische Regierungen, auch die Bundesregierung, hatten im Kampf gegen den Klimawandel auf Obama gesetzt. Die Spielräume für ein neues Energiegesetz dürften jetzt noch enger werden. Ist da künftig noch irgendetwas zu erwarten vonseiten der USA?

    Klose: Ich glaube, nicht so sehr viel von Washington aus. Man muss aber zugunsten der Amerikaner und auch der Regierung sagen, dass sich auf der Ebene der Bundesstaaten und auch der Kommunen eine ganze Menge getan hat. Als Musterbeispiel wird immer Kalifornien zitiert, das ist auch richtig, aber es ist nicht der einzige Staat, in dem man in Umweltfragen voranschreitet. In Washington, wenn die Mehrheitsverhältnisse sich ändern, ist mit einem Erfolg für Cancun nicht zu rechnen.

    Herter: Herr Klose, anders herum hatte ja auch Obama Erwartungen, die Deutschland vielleicht nicht erfüllt hat: Aufnahme von einer bedeutenden Anzahl von Guantanamo-Häftlingen, vor allem aber mehr Soldaten, Polizisten für Afghanistan. Wie sehr ist Washington von Deutschland enttäuscht?

    Klose: Ich glaube nicht, dass man von einer wirklichen Enttäuschung sprechen kann. Es gibt ganz allgemein quer durch die amerikanische politische Gesellschaft das Gefühl, dass die Europäer wortmächtig sind, aber nicht immer bereit zu liefern, wenn es um konkrete Fragen geht. Und in der Tat: Ich hätte mir gewünscht, wir hätten bei der Frage der Aufnahme von Guantanamo-Flüchtlingen früher entschieden und etwas großzügiger. Das ist aber leider nicht geschehen. In Afghanistan, glaube ich, sind die Amerikaner nicht rundherum zufrieden, aber sie haben auch keinen Anlass, wirklich über die Deutschen zu klagen.

    Herter: Das deutsch-amerikanische Verhältnis war aber schon mal viel besser. Können wir mit einer Besserung der Beziehungen vor dem Hintergrund des zu erwartenden Wahlergebnisses in den nächsten beiden Jahren überhaupt noch rechnen?

    Klose: Ich glaube, dass die Außenpolitik nicht wirklich von dieser Wahl beeinträchtigt wird. Man könnte vielleicht anders herum vermuten, wenn Obama aus innenpolitischen Gründen innenpolitisch nicht mehr allzu viel bewegen kann – und so sieht es ja nach den Prognosen aus -, dann könnte sich der Präsident vielleicht stärker auf die Außenpolitik stürzen, und da gibt es ja eine ganze Menge von Fragen, die er anpacken muss. Er hat angepackt die Probleme in Nahost, er hat das Iran-Problem noch immer vor sich und die Situation in Zentralasien, also nicht nur Afghanistan, sondern auch die Nachbarschaft ist kompliziert. Wenn er sich darauf mit großem Gewicht verlagern würde, dann wäre das vielleicht gar nicht schlecht für die Welt.

    Herter: Aber nach dem Ende des Kalten Krieges – das sieht man in der Wirtschaft, das sieht man auch in der Sicherheitspolitik – waren die Vereinigten Staaten die einzig verbliebene Supermacht. Sind die USA Ihrer Einschätzung nach auf dem Weg zurück zur Rolle einer Großmacht, die neben vielen anderen steht?

    Klose: Ich glaube, dass die Amerikaner noch lange Zeit die beherrschende Macht der Welt sein werden. Sie werden es mit Sicherheit militärisch sein, aber auch ökonomisch brauchen die Chinesen und andere noch sehr, sehr lange, um an das amerikanische Niveau heranzukommen. Ich glaube, dass die Europäer und die Amerikaner gut beraten wären, wenn sie politisch, auch wirtschaftspolitisch enger zusammenarbeiten würden, denn noch immer repräsentieren die beiden, Amerika und Europa, mehr als 50 Prozent des Weltsozialproduktes und das heißt, wir könnten schon Einfluss ausüben, und ein bisschen Einfluss ausüben auf chinesisches Wirtschaftsverhalten wäre nicht schlecht.

    Herter: Und hieße das auch, das Verhältnis zwischen der Bundeskanzlerin Merkel und dem amerikanischen Präsidenten Obama müsste etwas besser werden?

    Klose: Ich weiß nicht, ob es wirklich schlecht ist. Es sind, so weit ich das mitbekomme, unterschiedliche Typen. Frau Merkel, die wir alle kennen, ist kein Mensch der großen Gesten, Obama dagegen, wie seine öffentlichen Auftritte zeigen, schon. Das hat am Anfang vielleicht nicht immer besonders gut geklappt, aber wissen Sie, gute Regierungen – und ich unterstelle mal, es sind gute Regierungen – lassen sich von so was nicht wirklich beherrschen.

    Herter: Hängt das aber damit zusammen, dass Sie, also ein Sozialdemokrat im Auftrag einer schwarz-gelben Bundesregierung, dass Sie das transatlantische Verhältnis koordinieren sollen?

    Klose: Na ja, ich koordiniere es ja nicht operativ, sondern ich kümmere mich mehr um den zivilgesellschaftlichen Bereich und versuche herauszufinden, was in Amerika los ist, versuche, das hier zu erklären, und umgekehrt möchte ich den Amerikanern erklären, wie Europäer und insbesondere wir Deutschen denken und im konkreten Fall handeln. Das ist nicht unwichtig. Die operative Aufgabe liegt bei der Außenpolitik.

    Herter: Der Beauftragte der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen, Hans-Ulrich Klose (SPD), im Deutschlandfunk-Interview. Herr Klose, besten Dank und schönen Tag!

    Klose: Ja, wünsche ich Ihnen auch. Danke!