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Zweisprachigkeit im Grenzgebiet

Mit Eintritt Polens zum Schengenraum 2007 sind zwar die letzten Grenzkontrollen gefallen, Barrieren gibt es aber immer noch, vor allem sprachlicher Art. Lehrmaterialien fehlen und Sprachkurse enden oft schon nach der Anfängerstufe. Woran das liegt, soll nun eine Studie an der Uni Greifswald ermitteln.

Von Lenore Lötsch | 28.03.2013
    "Also in Polen gibt’s einen Brauch. Zu Ostern hat halt jeder ein kleines Körbchen. Da kommen bestimmte Sachen rein - zum Beispiel Meerrettich."

    Isabell und Patrick, zwei Schüler der Europäischen Gesamtschule Ahlbeck versuchen die sieben Köstlichkeiten, die unbedingt zum polnischen Osterfest gehören, zusammenzubekommen.

    "Dann ist da noch so ein kleines Lämmchen drin aus Butter oder Zucker: Baranik."

    Die Ahlbecker Schule liegt in Laufentfernung zur polnischen Grenze und sie ist eine Rarität in Mecklenburg-Vorpommern. Denn sie bietet Polnischunterricht ab der fünften Klasse an und einen regen Austausch mit vier Partnerschulen in Polen. Trotzdem hatte der Achtklässler Patrick vor einem Jahr eher mit der französischen Sprache geliebäugelt.

    "Meine Eltern haben gesagt: Nein, du lernst Polnisch, dein Bruder hat auch Polnisch gelernt und das kann auch hilfreich sein, weil wir oft da sind zum Tanken und deswegen hab ich mich dann für Polnisch entschieden."

    Ines Zapnik, die Ahlbecker Polnischlehrerin, merkt immer wieder, dass in der Grenzregion das Erlernen der Sprache des Nachbarn, längst nicht selbstverständlich ist.

    "Zu überzeugen ist nicht so schwierig, wenn die Kinder das wollen, schwieriger ist es, die Eltern dann manchmal zu überzeugen, weil die Eltern andere Vorbehalte haben: Wenn wir wegziehen, was machen wir dann, Polnisch braucht man nicht so, Französisch braucht man fürs Studium."

    Experten der Universität Greifswald, die gerade eine Studie zum Polnischerwerb in Mecklenburg-Vorpommern durchführen, bestätigen: Die Sprachbarriere ist noch immer das größte Hindernis beim Zusammenwachsen der beiden Länder. Angebote zum Polnischlernen in Kitas und Grundschulen existieren nur vereinzelt, sagt Stefanie Hildebrandt von der Uni Greifswald.

    "Die Angebote sind halt oftmals so, dass sie halt nicht durchgängig sind, das erkennen natürlich Eltern auch sehr schnell, das heißt, in Klasse eins wird was angeboten und dann stellen sie halt fest, in Klasse drei wird’s nicht mehr angeboten. Dann stellt sich so die Frage: Was bringt das dann, wenn man vielleicht erst in Klasse sieben dann mit weitermachen kann, lohnt dann der Aufwand, dann tatsächlich zu beginnen?"

    Dabei entwickelt sich die polnische Großstadt Stettin immer mehr zum Oberzentrum der Region. Mittlerweile leben dort doppelt so viele Menschen wie in der vorpommerschen Grenzregion. Und auch die Wirtschaft sucht inzwischen nach Angestellten mit Polnischkenntnissen.

    "Der Bedarf ist da, gerade Hoteliers, in Restaurants, aber auch zum Beispiel im Autohaus, also die Kundschaft aus Polen, die ist einfach da oder im Supermarkt. Es wird uns auch gespiegelt von der IHK, das Auszubildende gesucht werden, die beide Sprachen beherrschen auf einer gewissen Handlungsebene."

    Doch auch die Angebote in den Volkshochschulen der Region richten sich eher an Anfänger. Und die Polnischlehrerin Ines Zapnik erwartet, dass endlich eine geeignete Polnischdidaktik entwickelt wird, als gemeinsames Projekt der Bundesländer Mecklenburg Vorpommern, Brandenburg und Sachsen.

    "Ich denke, das ist ein großes Problem des Föderalismus in der Bildungspolitik. Das ist für unsere Fachrichtung ganz prekär. Das Problem ist auch, dass wir keine vernünftigen Lehrbücher haben, immer noch nicht, keine kinderkompatiblen Lehrbücher, und wenn, dann gibt es ein Buch, das jetzt rausgekommen ist, das aber sehr, sehr teuer ist, das wir uns kaum leisten können. Das muss auch angegangen werden, das kann man nur länderübergreifend machen."

    Die Wichtigkeit des Polnischlernens wird vor allem auf bildungspolitischer Ebene in Mecklenburg Vorpommern noch nicht als besonders hoch eingeschätzt, sagt Stefanie Hildebrandt von der Universität Greifswald. Und fordert, dass der Polnischunterricht vor allem in den Grundschulen der Grenzregion in die Stundentafel aufgenommen und nicht nur im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft angeboten wird.

    "Zwei Fremdsprachen in der Grundschule sind derzeit in Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich zu erlernen. Da fragt man sich halt schon, wenn man den Schwerpunkt zu sehr auf das Englische legt an der Stelle, warum gilt das für andere Sprachen nicht? Und gerade in Grenzregionen hat halt die Nachbarsprache eine wahnsinnig hohe Relevanz. "