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Zweisprachigkeit in Wales
Labour-Regierung will mehr Walisisch hören

Bis 2050 sollen eine Million Menschen in Wales Walisisch sprechen. Dieses Ziel hat die Labour-Regierung ausgegeben und lässt sich einiges dafür einfallen. Viele Waliser finden nun zurück zu ihrer Sprache, die lange als verpönt galt.

Von Ann-Kathrin Jeske | 06.12.2019
Zweisprachiger Wegweiser auf Englisch und Walisisch zu Restaurant, Laden und Toiletten in Wales
Kinder in Wales dürfen heute wieder zweisprachig aufwachsen - mit Englisch und Walisisch (Imago)
Auf den Krägen der Passanten in den regnerischen Straßen von Cardiff kleben kleine orangene Sprechblasen. Und auch in den Bürogebäuden und Schulen sieht man sie. Maggie Morgan trägt ein Band mit der Ausweiskarte ihrer Arbeit um den Hals. In den aufgedruckten Sprechblasen steht: "Cymraeg" – "Walisisch".
"Ich arbeite in einer sehr großen Berufsschule und wenn ich auf dem Flur oder in der Kantine jemandem vom Personal oder einem Schüler begegne, den ich nicht kenne, und die Person sieht diese Sprechblase, dann weiß sie, dass ich Walisisch spreche."
Offizieller walisischer Sprachbeauftragter eingesetzt
Bei einer Volksbefragung 2011 hatte die Labour-Regierung herausgefunden, dass immer weniger Walisisch gesprochen wurde - und daraufhin den Posten des offiziellen walisischen Sprachbeauftragten geschaffen, der nun unter anderem die orangefarbenen Sprechblasen überall im Land verteilt.
"Ich finde, das ist eine großartige Idee. Es ermuntert mich, in meinem Alltag Walisisch zu sprechen. Normalerweise würden die Leute aus Höflichkeit ein Gespräch eher auf Englisch anfangen, weil sie ja nicht wissen, ob ihr Gesprächspartner Walisisch sprechen kann." Sie selbst spricht inzwischen immer Walisisch, sobald sie jemanden mit der orangenen Sprechblase entdeckt, erzählt sie.
Englisch galt als Sprache für den sozialen Aufstieg
Maggie Morgan liebt Sprachen. Sie spricht Russisch, Französisch, Deutsch und Ungarisch. Und sie liebt Abenteuer. Als sie Deutsch lernen wollte, zog sie in den 80er-Jahren nach Westberlin und schmuggelte regelmäßig Punk-Kassetten zu Freunden über die DDR-Grenze. Und um Ungarisch zu lernen, ging sie 1988 nach Budapest und unterrichtete dort Englisch. Vor einem Jahr ist die Waliserin wieder umgezogen, nach dem sie ihre zwei Kinder im Südosten Englands großgezogen hatte. Jetzt ist die 55-Jährige heimgekehrt.
"Ich war mir sehr unsicher, ob ich noch Walisisch sprechen konnte. Ich hab’ manchmal den Mund aufgemacht und es hat eine Weile gedauert, bis walisische Worte rauskamen."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Wales - Selbstbewusst im Vereinigten Königreich.
Denn nicht nur in den 30 Jahren in England habe sie vor allem Englisch gesprochen. Als Kind wuchs sie zwar in einer walisischsprachigen Nachbarschaft auf, aber ihre Eltern erzogen sie auf Englisch. Der Sprache, die als notwendig für den sozialen Aufstieg galt.
"Mein Vater hat nur Walisisch gesprochen bis er fünf war, aber meine Mutter konnte kein Walisisch. Und in den 60er-Jahren, als ich groß geworden bin, standen Eltern enorm unter Druck, ihren Kindern nur Englisch beizubringen. Meine Eltern waren davon überzeugt, dass ich bessere Chancen haben würde, wenn ich nicht zweisprachig aufwachse."
Walisisch - ein Singsang mit viel Poesie
Heute spricht Maggie Morgan fließend. Und geht jeden Montagabend ins "Chapter", ein Kulturzentrum in Cardiff mit zwei Kinos und einem Kneipencafé, in dem sie die Nachbarschaft trifft, um Walisisch zu sprechen.
Warum er Walisisch lernt, fragt Maggie Alex, der gerade erst damit angefangen hat. Weil er hier lebt und sich für die Sprache interessiert, sagt Alex und erklärt, dass er erst vor vier Monaten von Nordirland nach Wales zu seiner Freundin gezogen ist. Ein Nordire, der Walisisch mit einem Nordwaliser Dialekt spreche, weil sein Walisisch-Lehrer aus dem Norden komme, lacht Maggie Morgan. Ein "Gogledd" also, wie die Leute aus dem Norden auch genannt werden. Im ländlichen Norden ist die Sprache weit verbreiteter als im industrielleren Süden.
Walisisch, das sei ein Singsang mit viel Poesie, erklärt Maggie. Eine Sprache, die sich viel in Bildern und mit Sprichwörtern ausdrückt. Sie gehört wie Irisch zu den keltischen Sprachen.
"In Irland ist es ein absolutes Politikum, Gälisch zu sprechen", erklärt Alex. "Hier in Wales kann ich mit der keltischen Kultur in Kontakt zu kommen, ohne dass ich mich bei meinen Freunden dafür rechtfertigen müsste, so wie es vielleicht bei mir zu Hause der Fall wäre."
Denn in Nordirland sei die Sprache in der Vergangenheit so stark von Nationalisten missbraucht worden, dass es noch immer als nationalistischer Akt verstanden würde, Irisch zu lernen.
"Wales ist eine selbstbewusstere Nation geworden"
In Wales will die Regierung die Sprache schlicht vor dem Aussterben schützen: Lehrer können ein fünfwöchiges Mini-Sabbatical nehmen, um Walisisch zu lernen. Die Regierung fördert die Eröffnung walisischsprachiger Schulen. Walisisch sprechen zu können, sagt Maggie Morgan, gelte deshalb heute nicht mehr Nachteil, sondern als Qualifikation.
"Viele rein englischsprachige Eltern schicken ihre Kinder heutzutage auf walisische Schulen, damit sie Walisisch lernen und bilingual aufwachsen. Ich glaube, das ist kein Zufall. Wales ist einfach eine sehr viel selbstbewusstere Nation geworden. Und Teil dieses Selbstbewusstseins ist, dass wir die Sprache heute sehr positiv sehen und sie sehr lieben."
Einen kleinen Erfolg jedenfalls kann Wales schon vermelden: Den Export der orangenen Sprechblase. Die schottische Sprachbehörde hat gerade bekannt gegeben, eine türkisfarbene Sprechblase nach walisischem Vorbild einzuführen.