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Zweite Staffel von „American Gods“
Mit dem Cadillac nach Walhalla

Alte Götter gegen moderne Götzen: Darum geht es in der Fantasy-Serie "American Gods". Und immer stellt sich die Frage, was aus Göttern wird, die nicht mehr verehrt werden. Im März ist die zweite Staffel der erfolgreichen US-Serie angelaufen.

Von Tim Baumann | 02.04.2019
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Mister Wednesday in "American Gods": ein einäugiger Trickbetrüger und Geschäftsmann (Amazon / Starz Entertainment)
Ein schwarzer Cadillac braust über Landstraßen durch die schier unendliche Weite des mittleren Westens. Auf der Rückbank: Ex-Knacki Shadow Moon, neben ihm seine Frau Laura. Hier endet die Normalität auch schon: Denn Laura schaut Shadow zwar verliebt an, ist aber eigentlich längst schon mausetot.
Eine verzauberte Goldmünze bewahrt ihre Seele davor, ins Jenseits einzugehen. Diese Münze wiederum hat sie dem Leprechaun Mad Sweeney abgeluchst, einem irischen Kobold, der auf dem Beifahrersitz gemütlich ein Getränk schlürft. Am Steuer: ein einäugiger, älterer Mann mit listigem Blick, Odin, Allvater des nordischen Pantheons. Oder wie er selbst sich nennt: Mister Wednesday.
Das Ziel der illustren Fahrgemeinschaft: das House on the Rock in Wisconsin, ein magischer Ort, zu dem Wednesday seine Mitgötter gerufen hat, um sie auf seinen Krieg gegen die neuen Götter einzuschwören.
Krieg gegen neue Götter: Globalisierung, Technik und Medien
So beginnt die zweite Staffel der Amazon-Serie "American Gods", die auf Neil Gaimans Roman von 2001 basiert. Die spannende Grundidee: Die Einwanderer haben ihre Götter aus der Alten Welt nach Amerika mitgebracht – sozusagen als geistliches Gepäck. Das Problem ist nur: Die Menschen glauben längst nicht mehr an sie – und die alten Götter sitzen in Amerika fest und leben häufig in eher prekären Verhältnissen.
Mad Sweeney (Pablo Schreiber) und Shadow Moon (Ricky Whittle, links) prügeln sich in Jack's Crocodile Bar
Shadow Moon (Ricky Whittle, links) muss als Leibwächter Odins einiges einstecken, manchmal auch ordentlich austeilen (Amazon/Starz Entertainment)
Um das zu ändern, führt Odin alias Mister Wednesday einen Krieg gegen die neuen Götter: Globalisierung, Technik und "Media!" / "Ach, der Name ist so alt – das ist die neue Media."
Eine Reise zum Glauben
Protagonist Shadow Moon steckt mittendrin. Er hat nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis einen Job als Odins Leibwächter angenommen – in der Annahme, dass der lediglich ein etwas exzentrischer Geschäftsmann sei. So nah an einem Gott dran zu sein, für Shadow bleibt das nicht folgenlos: "Viele meiner Träume sind Albträume. Büffel und Schädel und jeder nur mögliche Scheiß. Ich versteh es einfach nicht."
Shadow mag nicht so recht glauben an Götter, Geister und Magie, erfährt in Gesellschaft seines rätselhaften Arbeitgebers aber viel davon am eigenen Leib.
Die Folge ist eine Glaubenskrise der etwas anderen Art: "Was ist ein Gott? Können wir überhaupt wissen, dass sie existieren? Die Menschen glauben Dinge, was bedeutet: Sie sind da. Was wiederum heißt: Wir wissen, dass sie existieren. Also, was war zuerst da? Götter oder die Menschen, die an sie glauben?"
Mr Wednesday (Ian McShane, links) und Shadow Moon (Ricky Whittle, rechts) stehen mit dem Gott Vulcan (Corbin Bernsen) in einem Raum mit Hirschgeweihen und ausgestopften Tieren
Die alten Götter haben sich in Amerika neu eingerichtet (Amazon/Starz Entertainment)
Und so spielt sich neben der Reise durch die USA auch in Shadow selbst eine Reise ab – eine zum Verstehen und zum Glauben: "Und in wie vielen Farben gibt es Jesus?" / "Na ja, da ist der weiße Jesuiten-Jesus, dann der schwarze afrikanische Jesus, dann der braune mexikanische Jesus, der dunkelhäutige griechische Jesus, der …" / "Wow, das ist ganz schön viel Jesus."
Ode an die Vielfalt der Glaubensvorstellungen
Dabei geht "American Gods" mit den Göttern mitunter recht hart ins Gericht: Oft sind sie anmaßend, egoistisch, lüstern, hedonistisch, brutal oder manipulativ – eben genau wie die Menschen, deren Anbetung und Opfer sie brauchen. Dabei wird die Serie aber an keiner Stelle abwertend oder religionsfeindlich, denn in ihrem Blick auf die Götter liegt immer auch etwas Liebevolles:
"Mama-Ji, du hörst die Schlachtrufe, kann ich auf deine Klingen zählen?" / "Du hast den Krieg an meine Schwelle getragen. Ich habe keine andere Wahl als weiterzumachen mit dem Köpfen und dem Trinken von Blut und den Seelenbefreiungen - falls ich meine Wochenendschicht mit Arjun tauschen kann."
Letztlich feiert die Serie die Vielfalt der Glaubensvorstellungen in Amerika und stellt sie der Unruhe entgegen, die die neuen Götter in Menschen auslösen, also Globalisierung oder Technologie. Und die vielen klugen und witzigen Dialoge ergeben zusammen mit den gut recherchierten Einblicken in die zumeist polytheistischen Religionen der Vergangenheit ein so schönes Kaleidoskop menschlicher Glaubensvorstellungen, dass man "American Gods" auch gerne verzeiht, wenn die Handlung mal wieder etwas schleppend vorankommt.
Denn: Auf diesem spirituellen Roadtrip mit den alten Göttern ist der Weg das Ziel. Oder, wie Mister Wednesday sagen würde: "Offenbarungen kommen, wenn sie bereit sind – nicht, wenn man sie fordert."
Die zweite Staffel von "American Gods" erscheint bei Amazon Prime Video, jeden Montag gibt es eine neue Folge.