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Zweiter Burenkrieg
Ein in Europa fast unbekannter Konflikt

Ab 1899 lieferten sich die Buren und Großbritannien einen drei Jahre währenden Krieg im Gebiet des heutigen Südafrika. Den komplizierten Kriegsverlauf und die dahinter stehenden Interessen verwebt der Historiker Martin Bossenbroek zu einer spannenden Erzählung.

Von Marc Engelhardt | 15.08.2016
    Eine Lesebrille liegt auf einem Bücherstapel.
    "Tod am Kap" ist ein umfangreiches Buch über einen Krieg, der in Europa trotz seiner gewaltigen Auswirkungen praktisch unbekannt ist. (picture alliance / dpa / Ismo Pekkarinen)
    Der niederländische Topjurist Willem Leyds ist 25 Jahre alt, als er sich entscheiden muss, welchen Weg sein Leben nehmen soll. Er wird sich für den Posten des Generalstaatsanwalts in Transvaal entscheiden - eine der beiden Kapprovinzen, die von Buren, calvinistischen Farmern aus den Niederlanden, besiedelt sind. Es ist Juni 1884. Bis vor Kurzem galten die Buren in den Niederlanden noch als rückständig. Doch dann gelingt es ihnen unter der Führung von Paul Kruger, Transvaal von den Briten zurück zu erobern. Die tumben Bauern werden zu Stars. In diesem Taumel, und auf Drängen von Kruger selbst, entscheidet sich Leyds, mit seiner Frau Louise nach Pretoria, die Hauptstadt von Transvaal, zu ziehen. Ihre Aufzeichnungen sind eine der Quellen, die der niederländische Historiker Martin Bossenbroek für "Tod am Kap" heranzieht.
    "Es sind großartige, aufschlussreiche Briefe, in denen Willem und Louise Leyds ihre ersten Eindrücke von Südafrika in Worte fassten. Besonders Louise erwies sich als aufmerksame Beobachterin mit einem Blick für vielsagende Details. ... Leser des 21. Jahrhunderts erleben vielleicht einen ... Kulturschock, ausgelöst durch das unverblümt ausgedrückte Überlegenheitsgefühl dieser Europäer. So mancher Aspekt der primitiven Lebensumstände in Transvaal dürfte für das zivilisierte Ehepaar Leyds gewöhnungsbedürftig gewesen sein, nicht aber der feste Glaube der Buren an die eigene natürliche Dominanz über die nichtweiße Bevölkerung."
    "Tod am Kap" ist ein umfangreiches Buch über einen Krieg, der in Europa trotz seiner gewaltigen Auswirkungen praktisch unbekannt ist. 1899, 15 Jahre nach Leyds Ankunft in Transvaal, Leyds ist zum Außenminister und schließlich zum Botschafter in Brüssel aufgestiegen, beginnen erneut Kämpfe zwischen Buren und Briten. Diesmal dauern sie drei Jahre und sind brutal wie nie zuvor. Auf der einen Seite: das britische Imperium, auf der anderen die kleinen Burenrepubliken. Die Briten gewinnen, auch weil sie 115.000 burische Frauen und Kinder in Lagern internieren. Mehr als 26.000 Buren sterben.
    Um die Kriegswirren in dem fernen Land für europäische Leser zu erhellen, bedient sich Bossenbroek eines meisterhaften und höchst unterhaltsamen Kunstgriffs: Er berichtet aus drei Perspektiven - der von Leyds, dem Niederländer, der des burischen Kämpfers Deneys Reitz und aus der eines jungen britischen Kriegsreporters namens Winston Churchill. Den späteren britischen Premier karikiert Bossenbroek schon fast - als Abenteurer auf der Suche nach Ruhm. Die Quellen sind bekannt, doch Bossenbroek verwebt den komplizierten Kriegsverlauf, die Schlachten und dahinter stehenden Interessen gekonnt zu einer Erzählung, die sich so spannend liest wie Karl May - etwa beim britischen Einmarsch in Pretoria im Juni 1900.
    "Sie gaben ihren Pferden die Sporen und galoppierten darauf zu, Churchill johlte und schwenkte seinen Hut. Am Stacheldrahtzaun starrten ihn seine früheren Mitgefangenen ungläubig an. Winston! Ein irrsinniger Tumult brach aus. In herrischem Ton befahl der Herzog von Marlborough dem Lagerkommandanten, sich zu ergeben. Die ungefähr fünfzig bewaffneten Wachen waren zu verblüfft, um sich noch zu widersetzen, sie legten die Gewehre ab oder ließen sich brav von ihren Gefangenen entwaffnen. Ein Offizier der Dublin Fusiliers zauberte eine britische Fahne hervor, heimlich aus einer zerschnittenen Flagge Transvaals zusammengenäht, und hisste sie unter wildem Jubel. Ein Patchwork-Union-Jack."
    Krieg am Kap als Ursprung des weißen Nationalismus
    Doch in all dem Abenteuer kommt die Analyse zu kurz. Das betrifft vor allem die Rolle der schwarzen Bevölkerung, die Bossenbroek selber noch im Vorwort aufgreift. Wer von ihnen nicht auf britischer Seite kämpfte, wurde ebenfalls interniert. Die Zahl der schwarzen Gefangenen war so hoch wie die der Buren, mindestens 20.000 Afrikaner sollen gestorben sein. Die meisten Schwarzen kämpften für die Briten, weil diese ihnen Bürgerrechte versprachen, die sie trotz des Siegs nicht bekamen. Nicht wenige Historiker sehen den Krieg am Kap sogar als Ursprung des weißen Nationalismus und der späteren Apartheidspolitik Südafrikas. All das hätte Bossenbroek ausführlicher darstellen können, auch weil das Kriegstagebuch von Soloman Tshekisho Plaatje, eines schwarzen Südafrikaners, vollständig erhalten ist, wie Bossenbroek selber schreibt.
    "Der Burenkrieg mochte als white man's war begonnen haben, doch die Feindseligkeiten blieben nicht auf die Weißen beschränkt. Auch die Nichtweißen – die autochthone schwarze und die sogenannte 'farbige' (Misch-) Bevölkerung, außerdem die Immigranten aus Indien – wurden in den Konflikt hineingezogen. Als Aktive und Passive, als Teilnehmer an den Kämpfen und als Opfer. Je länger der Krieg andauerte, desto mehr wurde er zu einem Kampf zwischen Buren und Briten und Bantu – dies der damals gängige Sammelbegriff für die größte nichtweiße Bevölkerungsgruppe."
    Warum also tauchen Sol Plaatje und die anderen Afrikaner in Bossenbroeks Buch kaum noch auf, obwohl der Autor selbst im Prolog ihre Bedeutung betont? Plaatjes Tagebuch hätte - zusammen mit anderen Quellen - mindestens eine vierte Perspektive neben den drei anderen Protagonisten eröffnet. Nicht vorstellbar, dass der afrikanische Blickwinkel unbedeutender sein kann als der niederländische, den Bossenbroek so betont - vor allem angesichts der dramatischen Folgen für das unabhängige Südafrika. Schwarze in diesem Kontext als Akteure zu ignorieren, ist nicht nur ärgerlich, sondern in der Grundhaltung ähnlich paternalistisch, wie es vor mehr als 100 Jahren die Kolonialkrieger am Kap waren. So bleibt ein umfassendes und spannend zu lesendes Buch, das doch nur die halbe Geschichte erzählt. Das ist deshalb so schade, weil man beim Lesen ahnt, wie großartig die ganze Geschichte hätte werden können.

    Martin Bossenbroek: "Tod am Kap. Geschichte des Burenkriegs"
    Verlag C.H. Beck, 29,95 Euro.