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Zweites Stimmorgan
Der tiefe Ruf der Koala-Bären

Säugetiere gelten als grundsätzlich erforscht – trotzdem hinterließ der tiefe Ruf der Koala-Bären lange Zeit Fragezeichen. Nun haben britische Forscher herausgefunden: Nicht nur Stimmbänder, auch andere Strukturen im Rachenraum der Tiere können Klänge erzeugen.

Von Lucian Haas | 03.12.2013
    Ist es ein Bulle, ist es ein Walross oder ein Elefant, der hier so dröhnt? Weder noch! Es ist ein kleiner Koala, der in der Balz auf einem Eukalyptus-Baum in Australien sitzt und nach einem Weibchen ruft. Da der Koala nur so groß ist wie ein Kleinkind, würde man ihm so tief-klingende Geräusche eigentlich gar nicht zutrauen. Auch David Reby, Biologe an der britischen University of Sussex, war deshalb zunächst irritiert:
    "Elefanten sind sehr groß, deshalb haben sie auch einen großen Kehlkopf und sehr lange und kräftige Stimmbänder. So können sie sehr laute und tiefe Töne von sich geben. Das überraschende bei Koalas ist, dass es sich um kleine Tiere handelt, die weder einen besonderen Kehlkopf, noch spezialisierte Stimmbänder besitzen, um so tief-frequente Rufe zu produzieren. Das ist schon etwas mysteriös."
    Benjamin Charlton, ein Kollege David Rebys, machte sich auf die Suche nach der Lösung des Klangrätsels. In Kooperation mit einer australischen Koala-Forschungsstation und dem Leibniz Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin erkundete er die Anatomie des Stimmapparates der Beutelbären. Die Untersuchungen zeigten, dass ihre Stimmbänder viel zu kurz sind, um so laute und tiefe Frequenzen zu erzeugen.
    "Aber dann entdeckten sie am Eingang der Nasenhöhle beim fleischigen Gaumensegel – das ja auch beim Menschen vibriert, wenn wir schnarchen – etwas Besonderes. Wenn der Koala ruft, senkt er seinen Kehlkopf ab. Dabei spannen sich zwei Hautfalten am Gaumensegel, und der Luftstrom lässt sie vibrieren wie Stimmbänder. Das erzeugt dann die extrem tiefen Töne."
    Der Koala besitzt demnach zwei Stimmorgane. Das erste sitzt wie bei allen Säugetieren im Kehlkopfbereich, das zweite am Gaumensegel. Die dort wie Stimmbänder flatternden Hautfalten sind so lang und breit, dass sie tatsächlich die Quelle der tiefen Resonanzen darstellen könnten. Um das zu beweisen, machte Benjamin Charlton weitere Versuche mit toten Koala-Bären. Mit einer Pumpe saugte er Luft durch deren Luftröhre, während er das Gaumensegel spannte. Und tatsächlich: Die Gaumensegelfalten begannen, je nach Spannung, unterschiedlich schnell zu vibrieren.
    Die tiefen Paarungsrufe können die Koalas mit ihren Gaumensegel-Stimmbändern sowohl beim Ein- wie auch beim Ausatmen erzeugen, wobei sie in der einen Richtung mehr wie ein Schnarchen, in der anderen mehr wie ein Rülpsen klingen. Unklar ist allerdings noch, warum die Koalas überhaupt diese Fähigkeit der tiefen Stimmgebung entwickelten. David Reby:
    "Es könnte damit zusammenhängen, dass sich tiefe Signale über größere Distanzen ausbreiten. Es könnte aber auch etwas mit der sexuellen Selektion zu tun haben. Tiefe Stimmen können ein Zeichen für große Körper sein. Bei vielen Säugetieren haben männliche Tiere mit tieferen Stimmen häufig auch mehr männliche Sexualhormone."
    Je tiefer und kräftiger das Rufen, desto attraktiver könnte ein Koala-Männchen für die Weibchen sein. Noch ist das nur eine Theorie. Benjamin Charlton will sie in weiteren Studien überprüfen. Zudem will er herausfinden, ob Gaumensegel-Stimmbänder tatsächlich nur bei Koalas vorkommen, oder auch bei anderen Tierarten eine Rolle spielen.