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Zwiespalt zwischen Liebe und Unabhängigkeitswunsch

Die kleinen Reclam-Hefte haben ihr Andenken erhalten: Vor allem mit "Krambambuli" war Marie von Ebner-Eschenbach jahrzehntelang in den Schullektüre-Plänen vertreten. Aber die Leistung dieser Schriftstellerin darauf reduzieren zu wollen, wäre falsch. Sie setzte sich durch in einer Zeit, in der schreibende Frauen es schwer hatten, zumal in Österreich, wo - anders als in Deutschland - Anfang des 19. Jahrhunderts keine von bekannten Frauen geleiteten literarischen Salons den Weg geebnet hatten.

Von Beatrix Novy | 13.09.2005
    "Papa redet sich ein, dass er die Sportzeitung liest, schläft aber. Mama strickt ein weißes Umhängetuch mit Dessins, gebildet durch die herabfallende Asche der Exceptionales, die sie immer im Munde führt. Der Onkel spielt Festung mit der Singlehrerin, und die Tante löst Silbenrätsel auf mit Fräulein Nagel."

    Ein Abend im Salon eines mährischen Schlosses. Hier wächst die Comtess Muschi heran, liebevoll verzogen von Gouvernanten und Eltern und versehen mit der oberflächlichen Bildung, die für Mädchen ihres Standes erwünscht ist. Marie von Ebner-Eschenbach kannte sich aus: So eine reitfeste und denkfaule Comtess hätte aus ihr auch werden können. Etwas anderes war nicht vorgesehen, als Marie von Dubsky am 13. September 1830 in Zdißlawitz, Mähren, geboren wurde.

    "Meine Schwester Friederike war vierzehn Monate, ich war vierzehn Tage alt, als unsere Mutter starb. Dennoch hat eine deutliche Vorstellung von ihr uns durch das ganze Dasein begleitet."

    Der Tod einer Wöchnerin ist zu dieser Zeit nichts Ungewöhnliches; für die kleine Marie wird der Verlust der Mutter immerhin abgemildert durch ihre privilegierte Stellung und all die dienstbaren Geister, die einem adligen Kind ohnedies oft die elterlichen Bezugspersonen ersetzten. Der Vater heiratet noch zwei Mal, seine Ehefrauen gebären, bevor auch sie sterben, weitere Kinder: so wächst eine muntere Patchworkfamilie zusammen, die Marie von Ebner-Eschenbach ein Leben lang mit Beschlag belegt, zumal ihre Ehe mit dem 15 Jahre älteren Cousin Moriz von Ebner-Eschenbach kinderlos bleibt.

    "Was ich unfassbar finde: Wie die Meinen glauben können, mein Interesse für meine Schriftstellerei würde meine Liebe für sie schädigen."

    Als Frau mit Ambitionen erlebt sie das, was viele Frauen aus traditionellen Gesellschaften heute erleben: den Zwiespalt zwischen Liebe und Unabhängigkeitswunsch - Grundkonflikt moderner Individualität. Aber sie ignoriert die familiäre Mißbilligung, bekämpft ihre Bildungslücken, sucht sich Freunde aus dem literarischen Milieu, lernt Frauen kennen, die, wie sie, die harte Scholle der literarischen Frauenemanzipation beackern.

    "Auch Mädchen haben Heldenblut in den Adern."

    Lange und wenig erfolglos verausgabt sie sich mit Bühnenstücken, sie liebt das Theater, und nur weil die Liebe nicht gegenseitig ist, wird Marie von Ebner-Eschenbach endlich zur Dichterin und Erzählerin.

    "Vorliebe empfindet der Mensch für allerlei Dinge und Wesen. Liebe, die echte, unvergängliche, die lernt er – wenn überhaupt – nur einmal kennen. So wenigstens meint der Revierjäger Hopp. Wie viele Hunde hat er schon gehabt, und auch gern gehabt, aber lieb, was man sagt lieb und unvergesslich ist ihm nur einer gewesen – der Krambambuli."

    Jedes Schulkind kannte früher die Geschichte vom Jagdhund Krambambuli, der am Konflikt zwischen seinen zwei Herren zugrundegeht, zwischen Förster und Wilderer. Den Wilderer spielte kürzlich Tobias Moretti in einer Fernsehverfilmung; das Drehbuch spitzt die in der Handlung angelegten Klassengegensätze so zu, wie es der freigeistigen mährischen Adligen natürlich nie eingefallen wäre. In ihren Geschichten liegt ein zutiefst humaner Ton unter einem Parlando, das Landschaften, Dörfer, Menschen und Tiere lebendig macht, durchaus auch die Härten des noch stark feudal geprägten Landlebens zeigt und die Dummheit der Standesgenossen. Aber zornige Schärfe war nicht die Sache des deutschsprachigen Realismus, auch Ebner-Eschenbachs Zeitkritik ist beseelt von der Vorstellung, die soziale Frage müsse durch Aufklärung und Humanität zu lösen sein. Menschen aus dem Volk machte sie zu Hauptfiguren, zum Beispiel das Dienstmädchen Ilona, deren Vorgesetzter sich beim Geistlichen beklagt.

    "Sie hat nur einen Fehler, mehr eine schlechte Gewohnheit; eine Richtung ins Selbständige in ihren Gedanken. Sinniert, kritisiert...als ob sie zu denken hätte - ich bitte Sie!"
    "Da gehen unsere Ansichten über Kreuz" erwiderte der Prediger trocken. "Ich spreche keinem Menschen das Recht zu denken ab."

    Als Marie von Ebner-Eschenbach im Jahr 1900 ihren 70. Geburtstag feiert, ist sie endlich die Dichterfürstin, der alle Welt gratuliert, sie wird Ehrendoktor der Universität Wien - an der sie als Frau nicht hätte studieren können -, sogar ihre Familie scheint stolz auf sie zu sein. Einiges von ihr wird bleiben: Ihre Balladen, Aphorismen und vor allem die Geschichten aus dem ländlichen Lebenskreis der Habsburger Monarchie, deren Ende Marie von Ebner-Eschenbach nicht mehr erlebte. Dieses gnädige Schicksal teilte sie mit einem noch berühmteren Altersgenossen: Kaiser Franz Joseph. Beide waren sie im selben Jahr geboren, beide starben 1916 - zwei Jahre vor dem Untergang.