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Zwischen Alptraum und Realität

1915 hat Gustav Meyrink mit dem Roman "Der Golem" einen der wenigen Klassiker deutschsprachiger Phantastik geschrieben. Der "Golem" war in der jüdischen Literatur schon im frühen Mittelalter eine aus Lehm geformte menschenähnliche Gestalt, die über große Kräfte verfügte. In Meyrinks Schauerroman ist der Golem das dunkle Ich eines Gemmenschneiders. Das Münchner Metropoltheater hat nun den Roman auf die Bühne gebracht.

Von Rosemarie Bölts | 23.04.2005
    Ja, die Erwartungen sind extrem hoch – nach dem Bayerischen Theaterpreis 2002, nach überhaupt einer nicht enden wollenden Serie sich steigernder, origineller Inszenierungen im kleinen Metropoltheater. Ja, es ist sicher schwierig, den Roman "Der Golem" des Fantasy-Schriftstellers Gustav Meyrink, der in der Prager "Judenstadt" spielt, zu einem Theaterstück für die heutige Zeit umzuschreiben. Ja, der Hunger ist groß, jenseits von Biotechnik, Computeranimation und technischer Allmacht nach dem Zweiten Gesicht, nach der Seele, nach dem Unfassbaren zu forschen, und deshalb ist alles, was Meyrink an Un-Heimlichkeiten und kabbalistischen Erklärungen vorbringt, auch aktuell. Alles wahr, aber muss es Regisseur und Autor Jochen Schölch dann so auf die Bühne stellen?

    Ist er verrückt, wie die verunsicherte Mitwelt schnell jemanden abstempelt, der sich auf übernatürliche Phänomene bezieht? Athanasius Pernath sucht eigentlich seine Identität oder, modern gesprochen, seine Integrität. Das heißt, eigentlich ist er der namenlose Erzähler, der zwischen Tagtraum, Albtraum und Realität jongliert, mal der gewisse, anständige Prager Bürger Pernath, mal der unheimliche Golem, der als "böser Geist" das Judengetto heimsucht. Das ist – mangels Schauspielermasse und üppigen Ausstattungsmitteln – wieder mal typisch "Metropol" kongenial bühnentechnisch gelöst.

    Die Bühne also: Ein schwarzer Kubus, an dessen hinterem Rand dicht an dicht Schneiderpuppen in der Kostümierung der vorletzten Jahrhundertwende aufgereiht sind. Sie stellen sowohl die Bewohner der armseligen Judengasse als auch des ganzen Prags dar. Multifunktional "stand-by", wie das einzige Möbel der Aufführung, ein großer, doppelbödiger Kasten aus Alu-Blech, der zu allem Möglichen umgestellt und gedreht wird, zu Bett und Hauseingang, Schrank und Zimmertür, Kellerversteck und Gefängnis, Hausfassade und Golems unzugänglichem Verlies. Symbolisch und leichter zu deuten als das, was der Erzähler Pernath von sich gibt.

    Was anfangs noch konzentriert mit einem Monolog des träumenden Pernath begann, zerfasert immer mehr. Es fehlt das Konzept, dramaturgisch ist nichts im Griff, und so unentschieden und blutleer wie die Hauptfigur geht auch das Stück dahin, einfach spannungslos. Selbst das Metropol-bewährte Jazz-Vokal-Duo "Unsere Lieblinge", verstieg sich beim "Golem" in nervige Dissonanzen. Eigenkompositionen zum Originaltext, Michael Jacksons "Thriller" and other English Popsongs waren ja Absicht, wirkten aber schräg, wenn nicht gar dilettantisch:

    Bei soviel grundlegenden Mängeln reißen die Schauspieler auch nichts heraus. Verzweiflung kommt nun mal nicht von gepresst, Wut nicht vom Schreien allein, Trauer nicht von Monotonie und Erleuchtung nicht von Besserwisserei. Und so kam Komik auf, wo Nachdenklichkeit angesagt war, und manche Monologe und Dialoge unterlegte wie im Supermarkt ein Musikteppich, als ob der Text in jugendstiliger Sprache zu dürftig sei. Ja, es stimmt, diese Inszenierung ist – pardon – langweilig. Schade. Jammerschade.