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Zwischen den Fronten

Den 16. Mai des vergangenen Jahres werden die drei kolumbianischen Journalisten Holman Morris, Carlos Lozano und Daniel Coronell so schnell nicht vergessen. An jenem Tag wurden ihnen Trauerkränze und Kondolenzbriefe anlässlich ihres eigenen Todes zugeschickt - eine besonders makabre Form der Morddrohung.

Von Victoria Eglau | 03.04.2006
    Coronell arbeitete als Nachrichtenchef eines Fernsehsenders, Lozano ist der Herausgeber der kommunistischen Zeitung "La Voz" und Morris moderierte die kritische Fernsehsendung "Contravía". Für Holman Morris war es nicht die erste Morddrohung.

    " Seit fast fünfzehn Jahren arbeite ich als Journalist in Kolumbien. Ich habe oft die kontinuierlichen und systematischen Menschenrechtsverletzungen angeprangert, die von allen Akteuren des bewaffneten Konflikts verübt werden: Von der Regierung, von den Streitkräften, und auch von den Guerilla-Gruppen und den Paramilitärs. Im Jahr 2000 erhielt ich zum ersten Mal eine Todesdrohung. Ich musste für länger als ein Jahr nach Europa gehen. Nach meiner Rückkehr habe ich journalistisch so weitergearbeitet wie vorher. "

    In seinem Fernsehmagazin "Contravía" ließ Morris diejenigen zu Wort kommen, die am meisten unter dem kolumbianischen Bürgerkrieg leiden: Menschen in ländlichen und abgelegenen Regionen. Er holte die Opfer vor die Kamera, und die, die sich für Frieden einsetzen. Die Sendung habe die regierungsnahen Paramilitärs gestört, glaubt Morris. Vor zwei Wochen wurde er erneut bedroht. Eine paramilitärische Gruppe habe ihm in einem Video Verbindungen zur Guerilla vorgeworfen, erzählt der Fernsehjournalist. Die jüngste Drohung führt er darauf zurück, dass Präsident Alvaro Uribe selbst ihm im vergangenen Jahr Kontakte zum Terrorismus anlastete.

    " Ich drehte mit einem Team der BBC einen Dokumentarfilm in einem Urwaldgebiet. Präsident Uribe erklärte danach, ich wäre über einen Terrorangriff rechtzeitig informiert worden, um ihn filmen zu können. Das stimmt nicht, das war gelogen. Ich sage, dass Präsident Uribe Verantwortung für mein Leben trägt. Er hat diese Anschuldigungen nämlich in den großen Medien erhoben, und als er seinen Irrtum bemerkte, hat er sich zwar entschuldigt, aber übers Internet, was nicht die gleiche Verbreitung hat. Wir in Kolumbien wissen, dass diese Art von Vorwürfen Leuten das Leben kosten kann. "

    Im vergangenen Jahr wurden in Kolumbien zwei Journalisten ermordet, 16 erlitten Angriffe und 64 wurden bedroht - so die traurige Bilanz der Stiftung für Pressefreiheit FLIP in Bogotá. In diesem Jahr wurde bereits ein Journalist erschossen. Der Moderator eines lokalen Radiosenders hatte in satirischer Form Korruptionsfälle in der örtlichen Verwaltung thematisiert. Die Hintergründe seiner Ermordung sind noch unklar. Fälle wie dieser werden in Kolumbien meist nicht aufgeklärt, die Täter nicht bestraft, was die Organisation "Reporter ohne Grenzen" scharf kritisiert. Sprecherin Kathrin Evers:

    " Die Morde an Journalisten in den vergangenen zwei Jahren, ebenso wie tätliche Übergriffe, wenn Journalisten zusammengeschlagen wurden, oder sie und ihre Familien bedroht wurden, so dass sie zum Teil ihre Städte oder sogar das Land verlassen mussten, dort gibt es keine Aufklärung, es wird nicht verfolgt. Es ist noch niemand zur Verantwortung gezogen worden, oder gar hinter Gitter gekommen. Und diese Straflosigkeit regt natürlich zu weiteren Taten an, das heißt, wenn Übergriffe auf Journalisten stattfinden, muss eigentlich niemand mit Strafe rechnen. "

    Während Journalisten in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá einigermaßen sicher und unabhängig berichten können, befinden sie sich in den ländlichen Regionen buchstäblich zwischen den Fronten. Druck, Einschüchterung und Gewalt kommen von allen Seiten: Behörden, Armee, Paramilitärs und Guerrilla-Gruppen. In diesem Klima leiden nicht zuletzt die Pressefreiheit und die Qualität der Berichterstattung. Kathrin Evers von "Reporter ohne Grenzen":

    " Es ist schon zu beobachten, vor allem in den ländlichen Regionen, dass Journalisten sich häufig zum Sprachrohr machen der Gruppierungen, die dort am mächtigsten sind und von denen sie am meisten an Drohungen zu befürchten haben. Das heißt, sie zensieren sich selber in ihren Themen, und ihrer Berichterstattung, und bemühen sich oft darum, der jeweiligen Gruppierung wohlgesonnen über die zu berichten, weil sie sehr große Angst haben, dass ihnen und ihren Familien etwas zustößt. "

    Kolumbiens Präsident Uribe hat vor kurzem erklärt, es sei nicht akzeptabel, dass Journalisten Opfer von Verbrechen werden. Seine Regierung hat ein Programm zum Schutz von Journalisten ins Leben gerufen - bislang mit eher mäßigem Erfolg, wie Carlos Cortez von der unabhängigen Stiftung für Pressefreiheit glaubt:

    " Da werden gefährdete Journalisten aus ihrer Heimatregion herausgeholt, um sie zu schützen, den Fall zu untersuchen. Diese direkten Schutzmaßnahmen funktionieren, insofern bezieht sich der Präsident auf etwas, das schon praktiziert wird. Aber wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass man nicht solange warten kann, bis ein Journalist bedroht wird, um ihn dann herauszuholen. Wir müssen vielmehr über die Ursachen nachdenken, darüber, warum Journalisten bedroht werden, und was wir dagegen tun können. "