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Zwischen Elend und Neuanfang

In Liberia leidet die Bevölkerung unter Armut, und unter einer Analphabetenrate von gut siebzig Prozent. Die Infrastruktur im Lande liegt weiterhin brach, es fehlen Schulen und Lehrer, und die Gesundheits-Versorgung klappt hinten und vorne nicht. Nun soll in Liberia nächste Woche ein neuer Präsident gewählt werden. Das Land hofft trotz alter Wunden auf einen Neuanfang.

Von Rüdiger Maack | 08.10.2005
    Klingt ein bisschen amerikanisch. Aber es ist die Nationalhymne Liberias. Auch die Flagge sieht aus wie ein klein bisschen amerikanisch. Aber nur mit einem Stern drin: kein afrikanisches Land ist so amerikanisch wie Liberia, nirgendwo werden die Amerikaner so bewundert wie hier, was man auch an den häufigen Straßenumzügen sehen kann. Schulen, Vereine, irgendwer marschiert immer.

    " Regelmäßig finden in Monrovia Umzüge statt - von schulen, vereinen. Und wohl demnächst auch Parteien. Eine Tradition wie in Amerika."

    Der US-$ ist schon seit Jahren Parallelwährung, und der aussichtsreichste Kandidat für die Präsidentschaftswahlen in der nächsten Woche hat mit vielen seiner Konkurrenten eines gemein: den Wohnsitz in den USA.

    " In einem Land wie diesem geht es im Prinzip um Strom und Wasser. Dann müssen Gesundheits- und Bildungssystem erneuert werden. Wenn die Menschen Strom haben und für ihre Arbeit rechtzeitig bezahlt werden, dann werden wir unser Bestes tun, um die Gemeinden und Kommunen wieder herzurichten. Aber essentiell sind erst Mal Licht und Wasser."

    Da hat George Weah Recht. Auch zwei Jahre, nachdem die Vereinten Nationen Liberia quasi unter Kuratel gestellt haben, gibt es in der Hauptstadt Monrovia nach Sonnenuntergang nur ein paar Generatoren und Karbidlampen.

    Überall klaffen noch die Wunden von 14 Jahren Krieg - 1989 stürzte der aus einem US-Gefängnis geflüchtete Charles Taylor den Diktator Samuel Doe.

    Neun Jahre lang hatte Doe das Land ruiniert, doch was jetzt kam, hatte sich kaum jemand vorstellen können: Taylor überzog das Land mit einem grausamen Krieg, seine Gegner formierten sich Mitte der 90er und schlugen genauso grausam zurück: Kindersoldaten, barbarische Folterungen, Vergewaltigungen: 150 tausend Menschen kamen zu Tode - und das bei einer Bevölkerung so groß wie Berlin in einem Land etwas größer als das Saarland und Hessen zusammen. Hunderttausende mussten ihre Heimat verlassen und gingen in die benachbarten Länder - vor 2 Jahren dann stürmten die von den USA unterstützten Rebellen mit ihren Kindersoldaten die Hauptstadt Monrovia, Taylor ging, der Krieg war zu Ende.

    Mit dem Kriegsende kamen die Vereinten Nationen. Eine Übergangsregierung wurde installiert - mit einem neutralen Vorsitzenden - aber Vertretern aus allen Guerillagruppen. Denen ging es schon vorher vor allem um Kriegsbeute. Jetzt bekamen sie noch einmal zwei Jahre Zeit, das Land auszuplündern.

    " Die zwei Jahre, die die Übergangsregierung im Amt war, waren größtenteils gekennzeichnet von einem Mangel an Interesse am Wohlergehen der Bevölkerung. Die Regierung behauptet, dass es nicht ihre Aufgabe war, kaputte Straßen und Infrastruktur zu reparieren, sie sagt, es sei ihre Aufgabe gewesen, die Kämpfer zu entwaffnen und Wahlen durchzuführen. Sie haben sich nicht um die steigenden Preise, um Schulen oder die Bezahlung der Beamten gekümmert. Die Korruption hat mittlerweile international Aufmerksamkeit erreicht, jenseits der Kritik der nationalen Bevölkerung."

    Alfonsus Zeon ist Herausgeber der Tageszeitung "Vanguard", die in Monrovia erscheint. In ihre werden die zahllosen Korruptionsfälle dokumentiert. Jetzt wird gewählt - aber noch immer warten 10 tausende darauf, die Flüchtlingslager im Land und außerhalb verlassen zu können und drohen aus Frust damit, die Wahlen zu stören.

    " Weah spricht auf dem Parteihausgelände vor Anhängern. Noch kurz bevor, seine Partei, die CDC, offiziell als Partei zugelassen wurde."

    Sollte George Weah Präsident werden, wird das alles anders. Das verspricht der 38-jährige und seine Anhänger glauben ihm.

    " Ich arbeite mit kompetenten Leuten, die das Interesse des Landes im Auge haben und die bereit sind, die Ressourcen des Landes zum Wohle der Menschen einzusetzen. Es sind ehrliche Leute, die nicht korrupt sind."

    Das aber glauben ihm viele nicht - Weah selbst gilt als integer, in der Politik aber ist er ein Neuling, und die Gestalten, mit denen er sich umgibt, flößen nicht gerade Vertrauen ein. Doch Weah ist wohl der populärste lebende Liberianer, und das hat viel mit seiner Vergangenheit zu tun: Er war der erste Afrikaner, der es jemals zum Weltfußballer des Jahres gebracht hat. Und damit zum Volksheld: AS Monaco, Olympique Marseille, Chelsea und AC Mailand - Weah spielte für sie alle und sich in die Herzen der Liberianer. Denn er verdiente nicht nur ungeheuer viel Geld und zeigt sich auch heute noch gerne mit Leibwächtern, teurer Kleidung und noch teureren Autos.

    Er hat damit auch Gutes versucht: er investierte in Liberia, er gründete Hilfswerke und war Sonderbotschafter der Vereinten Nationen.

    " Fußballer und Politiker - da gibt es keinen Unterschied. Beide müssen sich um Menschen kümmern. Es geht um die Menschen. Einige Politiker sind nicht für die Menschen da, andere sind für sie da. Politiker benutzen oft den Sport, um Stimmen zu bekommen. Also, lassen Sie sich nicht erzählen, es gebe keine Beziehung zwischen Fußball und Politik. Sport ist eine vereinigende Kraft und spielt eine große Rolle in der Politik - und bei der Wahl der Leute!"

    Seine Weltsicht ist eher schlicht, lesen und schreiben kann er gerade so eben, das eint ihn mit vielen seiner Landsleute, aber es befähigt nicht unbedingt zum höchsten Staatsamt.
    Seine Gegner befürchten: Kaum gewählt, würde Weah Opfer seiner Umgebung und wäre leicht zu manipulieren.

    " Ich weiß auch, dass George Weah nicht so gebildet ist. Aber das wichtigste ist Patriotismus. Und außerdem, wohin haben uns die Politiker mit ihren Doktortiteln und Universitätsabschlüssen in der 150-jährigen Geschichte Liberias gebracht? Die haben nichts für das Land getan. Sie haben es ausgeplündert und mit Korruption überzogen. George Weah hat hier wirklich investiert. Häuser, Geschäfte und so weiter."

    Und immerhin: er ist einer der echten Liberianer, einer von denen, deren Ethnien schon immer hier waren. Liberias Gesellschaft ist zweigeteilt: da gibt es die ursprünglichen Bewohner des Landes, die die große Mehrheit stellen. Und dann gibt es die Congos, wie sie herablassend von ihnen genannt werden: freigelassene Sklaven, die im 19. Jahrhundert aus den USA zurück kamen nach Afrika und statt alles besser zu machen, in Liberia ein Spiegelbild der US-Gesellschaft installierten - nur, dass SIE diesmal die Unterdrücker waren.
    George Weah wäre erste der zweite Nicht-Congo, der Liberia regieren würde.
    Wenn ihm nicht Ellen Johnson-Sirleaf einen Strich durch die Rechnung. Die streitbare Dame hatte es schon gewagt, gegen Charles Taylor anzutreten. Diesmal will sie es noch einmal wissen.

    " Wichtig ist auch, das die neue Regierung die Diversität dieser Gesellschaft widerspiegelt: ethnisch, religiös und aus den verschiedenen Landesteilen. Der Reichtum des Landes muss gewissenhaft verwaltet und die Regierung und Verwaltung auf ein effizientes Niveau reduziert werden. Wenn das alles geschieht, dann werden wir schon in fünf Jahren Riesenfortschritte sehen."

    Sie will vor allem gegen die Korruption kämpfen, die die Wirtschaft des Landes lahm legt. Zumindest darin hat sie die Unterstützung von Geschäftsmännern wie Allan Brown. Der betreibt eine neue Hotelkette im Land und investiert das Geld, das seine Familie mit Versicherungen verdient hat.

    " In ihrer Geschichte haben Liberianer immer anderen die Schuld gegeben. Wir haben jede Regierung für unsere Probleme verantwortlich gemacht, oder andere Länder. Heute haben wir ein Land ohne Strom, ohne Wasser, ohne funktionierendes Schulsystem, ohne funktionierende Sozial- oder Gesundheitssysteme. Wir haben alle diese Probleme, und ich finde, wir sollten jetzt nicht Schuldige suchen sondern anfangen, unsere Probleme zu lösen."

    Es könnte der Anfang einer guten Geschichte sein.