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Zwischen Entmachtung und neuer Ära

Die Sendung Hintergrund sendet heute einen Live-Brennpunkt. Katrin Michaelsen spricht mit Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik, aktuelle Beiträge vor Ort kommen von Deutschlandfunk-Redakteurin Susanne El Khafif aus Kairo sowie Deutschlandfunk-Autor Andreas Horchler.

Von Susanne El Khafif | 04.07.2013
    Adly Mansur
    "Ich schwöre beim allmächtigen Gott, das Gesetz und die Verfassung zu achten und gerecht zu regieren."

    So Adly Mansur heute am späten Vormittag. Mansur ist der neue Mann an der Spitze eines 90 Millionen Volkes, ein Volljurist, 67 Jahre alt, mit jahrzehntelanger Erfahrung als Richter, als Berater im In- und Ausland; bis gestern noch war er Kopf des Obersten Verfassungsgerichts seines Landes. Mansur will Übergangspräsident seines Landes sein, der neuen Regierung wird ein Militär vorstehen. Und, auch diese Weichen sind gestellt: erst eine neue Verfassung, dann die Wahlen. Mohammed Mursi, sein Vorgänger, ist unter Hausarrest gestellt, maßgebliche Persönlichkeiten der Muslimbrüder sind inhaftiert; andere werden per Haftbefehl gesucht. Derweilen laufen Gespräche und Verhandlungen um eine neue Regierung auf Hochtouren.

    Vorangegangen waren Massendemonstrationen im ganzen Land, für und gegen Mohammed Mursi, es waren Tage, in denen die Anspannung fast körperlich spürbar, kaum auszuhalten war. Gestern Nachmittag dann lief das Ultimatum aus, das die Armee den politischen Kräften gesetzt hatte. Eine Einigung hatten diese nicht erzielt.

    Gestern Nachmittag, 16 Uhr. Auf dem Tahrirplatz im Herzen Kairos strömen die Menschen zusammen, die Fahnen Ägyptens in Händen haltend, Zehntausende, und es werden immer mehr. Die Stimmung ist gut, immer wieder wird die Nationalhymne angestimmt, erstes Feuerwerk wird verschossen - auch wenn immer noch nicht klar ist, was geschehen wird – ob Mohammed Mursi nun gehen muss oder ob er bleiben wird. Für die Menschen auf dem Tahrir hat der erste demokratisch gewählte Präsident seines Landes seine Legitimität verspielt. So wie auch für diese Demonstrantin, Mitte 40, Mutter, eine gebildete Frau aus der Mittelschicht:

    Demonstrantin:
    "Er hat so viele Dinge unternommen, die nicht legal waren. Was also redet er von seiner Rechtmäßigkeit? Er hat sie verloren. Er hat sich nicht an die Verfassung gehalten. Obwohl er auf sie geschworen hat. Welcher Präsident auch immer kommen wird, wahrscheinlich wird auch er Fehler machen - aber keiner wird so schlecht sein wie Mohammed Mursi. Er hat versucht, alle Macht an sich zu reißen, für seine Leute. Er hat nur zu ihnen gesprochen, nicht zu uns allen 90 Millionen Ägyptern."

    Auch die Demonstrantin ist eine fromme Frau. Doch sie wehrt sich gegen die Politik, die die Islamisten gemacht haben:

    "Das ist, was sie wollen: Sie folgen einem Glauben, keiner politischen Überzeugung. Sie denken, der Islam sei die Antwort, sei in der Lage, alle Probleme zu lösen. Der Islam, dem sie folgen. Aber wer sagt, dass das der richtige Islam ist? Sie wollen uns ihre Auffassung aufzwingen. Politik aber hat nichts mit Religion zu tun. Als Mursi antrat, haben wir alle es akzeptiert. Ja, er sollte vier Jahre haben. Wir alle hofften, dass er es gut machen wird. Und dann waren wir alle geschockt, dass er so inkompetent war, dass sie alle es sind. Er hat kein einziges Gesetz verabschiedet, von dem irgendwer profitiert hätte. Alles war gegen unsere Freiheit gerichtet, gegen Meinungs- und Pressefreiheit. Er wollte nur die Kontrolle über das Land haben. Das aber ist nicht richtig."

    Als endlich – nach stundenlangem Warten – General as-Sisi die entscheidende Rede hält und das Volk über die Absetzung Mursis in Kenntnis setzt – bricht Jubel aus. Auf dem Tahrirplatz, auf den Straßen. Und auch in diesem Café in der Innenstadt Kairos. Die Menschen fallen sich in die Arme. Sie weinen, sie lachen, sie sind glücklich. Für sie ist eine neue Ära angebrochen, eine, in der der Kurs erneut korrigiert wurde – nach der Herrschaft des obersten Militärrates SCAF und nach der Herrschaft der Islamisten.

    Wut, Entrüstung und Verbitterung bei den Anhängern Mohammed Mursis. Sie fühlen sich betrogen, beharren auf dessen Rechtmäßigkeit, verweisen auf die demokratischen Wahlen. Nachdem das Militär noch in der Nacht die Fernsehkanäle der Islamisten abgeschaltet hatte, melden sie sich anderswo zu Wort. So wie auf dem amerikanischen Nachrichtenkanal CNN. Abdul Mawgoud Dardary, Muslimbruder aus Luxor:

    "Das Land ist geteilt, und wir werden geteilt bleiben. Das ist ein Coup d’ etat. Und das ist gegen die Demokratie und gegen die Menschenrechte. Das ist der Anfang von Monopolisierung, Korruption und Polizeistaatlichkeit. Und wieder werden Leute verhaftet. Wir gehen zurück zu Mubaraks Zeiten. Das ist eine Konterrevolution. "

    Die ägyptische Gesellschaft bleibt geteilt. Und zutiefst polarisiert. Auch was die Rolle angeht, die die Armee in diesen letzten Tagen und Stunden gespielt hat. Hat sie erneut einen Coup vollzogen? Oder war sie Retterin in größter Not - als das Land drohte, ins Chaos abzustürzen.



    Weitere Beiträge des Live-Brennpunkts:
    Gespräch mit Volker Perthes, Stiftung Wissenschaft und Politik
    Andreas Horchler, Aktueller Beitrag
    Im Studio: Katrin Michaelsen