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Zwischen Exklusivartikel und Escortservice

In seinem zweiten Roman "Der Begleiter" erzählt Norbert Kron die Geschichte eines Kunstredakteurs, der von den Einkünften als freier Journalist nicht mehr lebe kann. Kurzentschlossen heuert der Protagonist bei einem Escortservice an. Nun steht er seinen "Kundinnen" direkt gegenüber. - Eine Mischung aus spannender Unterhaltung und nachdenklicher Reflexion.

Von Florian Felix Weyh | 23.10.2008
    Er ist Feuilletonjournalist, doch seine Geschäfte laufen schlecht. Zu viele Konkurrenten sind in den boomenden Jahren in die Hauptstadt gezogen, dann beerdigten die großen Verlagskonzerne ihre Hochglanzmagazine und opulenten Beilagen, und Menschen wie Alexander Felitsch blieben auf der Strecke. Einst als kommende Edelfeder gerühmt, ist er nun Mitglied in einem dahin dümpelnden Journalistenbüro, bringt keine seitenfüllenden Porträts mehr zu Papier, sondern verfasst Fußnoten zu Veranstaltungskalendern. Viel zu gebildet für diese Handlangertätigkeit, weitet sich sein Blick: Besteht Kultur nicht auch aus Umgangsformen, Kommunikation und Höflichkeit? Lautet das Zentralmoment, um das sich alle kulturellen Prozesse drehen, nicht schlicht Aufmerksamkeit, die man besser individuell als in der Masse spendet?

    Kurz und gut, der Kunstexperte heuert bei einer Begleitagentur an. Geschäftsfrauen und Scheidungswitwen sind dankbare Abnehmerinnen einer Dienstleistung, die beide Kulturbegriffe vereint, den offiziellen wie den privaten. Gemeinsam genießt man das Theater- und Museumsangebot, doch ganz alleine sonnt sich die Kundin im Scheine persönlicher Beachtung. Es ist, als schriebe der Journalist mit jedem schmeichelnden Wort einen Exklusivartikel für nur eine Leserin, die genau diese Extravaganz teuer zu bezahlen bereit ist. Wo soll der Unterschied zum Dienstleistungsmodell des Journalismus liegen, solange alles keusch und anständig bleibt?

    Das fragt sich Alexander Felitsch bis zu jenem Tag, da eine besonders anstrengende, an ihm herumnörgelnde Klientin jede Façon verliert und pures Elend zum Vorschein kommen lässt. Der Unterhaltungsauftrag des Ex-Journalisten verändert sich jäh, tut sich vor ihm doch ein zwischenmenschliches Dilemma auf: Beim Schreiben schiebt sich das distanzierende Medium zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, hier entfällt diese Schutzzone. Die Situation fordert den direkten Kontakt! Trost kann nicht in bloßen Worten liegen, der Smalltalk muss von Berührungen abgelöst werden. So weit geht Felitsch nicht, zieht aber für künftige Aufträge den richtigen Schluss: Er muss sein Angebot um die körperliche Option erweitern. Nicht weil seine Klientinnen per se sexuelle Dienstleistungen wünschten, sondern weil es beim Eskortservice ums Begehrtwerden geht. Das ist der Grund, warum attraktive, erfolgreiche und wohlhabende Frauen seine Anwesenheit erkaufen. Ein Mangel an Begehren prägt ihr Leben, und dieses Begehren lässt sich nur bis zu einem bestimmten Grad ohne sexuelle Grundierung simulieren.

    Der Berliner Autor - und Kulturjournalist - Norbert Kron hat mit seinem zweiten Roman "Der Begleiter" den Stoff für eine zeitgenössische Gesellschaftskomödie gefunden, und klug geht er damit um. Die erzählerisch ergiebigen Milieus einer selbstbezogenen Kultur- und Medienszene auf der einen wie der menschlich trostlosen Upperclass-Wüsteneien auf der anderen Seite verführen ihn nur am Rande zu satirischen Ausflügen; die allerdings sind rundum gelungen. Sein Hauptinteresse gilt den beiden starken Protagonisten. Schon zu Beginn des Buches trifft Alexander Felitsch mit Liss Vonhofen auf eine Frau, die ihm Rätsel aufgibt: Das, was er ihr qua Vertrag liefern soll, hat sie in seinen Augen gar nicht als kommerzielle Dienstleistung nötig - und ruft es auch nicht ab. Dennoch bucht sie den professionellen Begleiter immer häufiger und länger, nutzt ihn als Chauffeur auf Reisen, auf denen sich dann bruchstückweise ihre Lebensgeschichte entblättert.

    In der seltsamen Konstellation reibt sich alles aneinander: Gesellschafts- wie Geschlechterdifferenz, Altersunterschied wie mentale Diskrepanzen. Hinter Liss Vonhofens unstetem und unerklärlichem Lebenswandel versteckt sich eine Krankheitsgeschichte und das Aufbegehren dagegen.

    Wie Norbert Kron den tragischen mit dem erotischen Strang des Romans miteinander verknüpft geht über Durchschnittskost weit hinaus. Der Spagat zwischen spannender Unterhaltung und nachdenklicher Reflexion erinnert an angloamerikanische Vorbilder à la Louis Begley, und natürlich kommt auch das voyeuristische Moment nicht zu kurz. Es ist aber kein Selbstzweck, sondern nur die knisternde Verpackung für eine bittere Erkenntnispille: Hinter jeder intimen Beziehung lauern Marktverhältnisse, sexuelles Begehren und materielle Erwägungen ringen viel öfter miteinander, als das offen ausgesprochen wird.

    Indem Kron die üblichen Verhältnisse zwischen hässlichem reichen Mann und armer schöner Frau umdreht, leuchtet er die Szene neu aus und unterminiert alte Gewissheiten. Am Ende muss sich auch der männliche Leser mit dem Protagonisten Felitsch fragen, welche Kosten-Nutzen-Rechnungen sein Liebesleben bestimmen - manches mag wohlfeil sein, gratis ist nichts.

    Norbert Kron: Der Begleiter
    DTV, 272 Seiten, 11,95 Euro