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Zwischen Größenwahn und Paranoia
Die Tragödie des Richard Nixon

Lügen, Täuschungen, Korruption: Richard Nixon war jedes Mittel recht, um seine Ziele durchzusetzen und unliebsame Gegner, egal ob außerhalb oder innerhalb den USA, mundtot zu machen. Tim Weiner zeichnet in seinem Buch "Ein Mann gegen die Welt" ein erschreckendes Bild des 37. US-Präsidenten.

Von Christian Blees | 06.06.2016
    Der ehemalige amerikanische Präsident Richard Nixon (Republikaner), 1988.
    Der ehemalige amerikanische Präsident Richard Nixon (Republikaner), 1988. (picture alliance / dpa / Photoreporters 15286)
    "Wir haben heute die Chance, das Leben in Amerika mehr als je zuvor in unserer Geschichte besser zu machen: Indem wir für bessere Erziehungsbedingungen sorgen, das Verkehrs- und Gesundheitswesen sowie die Wohnverhältnisse verbessern, den Respekt vor dem Gesetz wiederherstellen, unsere Gemeinden wieder lebenswerter machen – und indem wir das von Gott gegebene Recht eines jeden Amerikaners auf echte Chancengleichheit sicherstellen."
    Richard Nixons Vision eines lebenswerten Amerika für alle Bürger – vorgetragen zu Beginn seiner zweiten Amtszeit als US-Präsident, im Januar 1973 – war lediglich hohles Politiker-Geschwätz. Das behauptet zumindest Tim Weiner.
    "Im Zeichen seiner Innenpolitik stand, sich Dinge vom Hals zu schaffen – insbesondere wollte er Lyndon B. Johnsons 'Great Society'-Programme für die Armen und politisch Entrechteten rückgängig machen. Der Krieg gegen die Armut wurde mehr zu einem Krieg gegen die Armen."
    Streben nach Größe
    Noch deutlich wichtiger als der Krieg gegen die Armen im eigenen Land war für Nixon aber der Krieg gegen das kommunistische Regime in Nordvietnam. Begonnen hatte dieser bereits unter seinem Vorgänger, dem Demokraten Lyndon B. Johnson. Laut Weiner war Nixon fest davon überzeugt, dass seine eigene Präsidentschaft historisch einen Wendepunkt markieren würde.
    Die USA würden demnach entweder als die größte Supermacht der Welt dastehen – oder als totale Versager. Entscheidend dafür wäre vor allem der Ausgang des Vietnam-Kriegs.
    "Nixon wusste, was er tat: Er strebte nach Größe. Und Größe errang man ausschließlich auf globaler Ebene, indem man ehrenvoll Krieg führte und einen ehrenvollen Frieden schloss. Wenn er nicht beendet wurde, würde er auch ihm das Genick brechen, wie er Lyndon B. Johnson das Genick gebrochen hatte."
    Erschreckendes Gesamtbild
    Das Herausragende an Tim Weiners Buch sind die Quellen, die seine oft drastisch formulierten Thesen eindrucksvoll untermauern. Weil die gesetzlichen Geheimhaltungsfristen abgelaufen waren, hatte er als erster Zugriff auf viele zuvor unter Verschluss gehaltene Dokumente – darunter Aufzeichnungen geheimer Ausschüsse, Tagebuch-Notizen sowie Tonband-Mitschnitte aus dem Oval Office. Dadurch findet sich auf den gut 450 Seiten kein einziges unbelegtes Zitat und auch kein Bericht aus zweiter Hand. Das Gesamtbild, das Weiner in seiner Biografie "Ein Mann gegen die Welt" von Nixons Regentschaft zeichnet, ist erschreckend.
    "Er führte Krieg, um Frieden zu schaffen. Er beging Straftaten im Namen des Gesetzes. Er spaltete das Land, das er zu einen suchte. Er sabotierte seine Präsidentschaft, indem er die Verfassung brach. Er zerstörte sich selbst und schadete seinem Land durch wissentlich törichtes Handeln."
    Die wichtigste Person, die Nixon in Sachen Vietnam unterstützen sollte, war Henry Kissinger. Der Präsident und sein Nationaler Sicherheitsberater gestalteten die Architektur der US-amerikanischen Außenpolitik komplett um.
    "Sie organisierten den Nationalen Sicherheitsrat neu und rissen die Befugnisse des Außenministeriums und des Pentagon an sich. Jede wichtige Entscheidung und jedes Dokument zur amerikanischen Außenpolitik sollte von nun an Kissinger vorgelegt werden. Sämtliche Entscheidungsbefugnisse in Bezug auf Krieg, Außenpolitik, Diplomatie und verdeckte Operationen sollten sich auf ihn konzentrieren."
    Der große Gegner, den es auch mit Lügen, Täuschungen und Korruption zu bekämpfen galt, hieß Kommunismus – und dessen Vertreter lauerten keineswegs nur in Hanoi, Moskau oder Peking. Mindestens ebenso gefährlich war nach Ansicht Nixons die Antikriegsbewegung im eigenen Land.
    "Er fasste unter dem Begriff der nationalen Sicherheit sehr viel mehr als die Befugnisse amerikanischer Soldaten und Geheimdienstagenten, die Feinde Amerikas im Ausland zu bekämpfen.
    Für ihn gehörten auch die Befugnisse einer Geheimpolizei dazu: das Recht, amerikanische Staatsbürger zu bespitzeln, in ihre Wohnungen einzudringen, ihre Telefone abzuhören und in ihre Büros einzubrechen, um Beweise für Aufwiegelung und Landesverrat zu finden. Für Nixon war jeder amerikanische Staatsbürger und jeder gewählte Amtsträger, der den Vietnamkrieg ablehnte, genauso ein Feind, wie es ein Soldat der nordvietnamesischen Armee war. Und sich selbst betrachtete er als einsamen Krieger, der von Feinden rechter und linker Couleur umstellt war."
    Fall eines paranoiden Politstrategen
    Am Ende sollte genau dieser, geradezu paranoide Verfolgungs- und Überwachungswahn Richard Nixon politisch zum Verhängnis werden. Denn auf seine Anweisung hin stiegen im Juni 1972 Handlanger ins Washingtoner Watergate Building ein, um im Präsidentschafts-Wahlkampf die Parteizentrale der US-Demokraten zu verwanzen. Die Einbrecher wurden auf frischer Tat ertappt. Im Zuge der Watergate-Ermittlungen kamen immer mehr Details darüber ans Tageslicht, wie der Präsident bereits zuvor mehrfach gegen Recht und Gesetz verstoßen hatte. Am 8. August 1974 schließlich – 18 Monate nach Beginn seiner zweiten Amtszeit – hatte Richard Nixons letztes politisches Stündlein geschlagen.
    "Guten Abend, meine Damen und Herren. Präsident Nixon tritt zurück. Heute Nachmittag um 16 Uhr hatte Nixon seinen bisherigen Vize-Präsidenten überraschend ins Weiße Haus gebeten, um mit ihm offensichtlich die Amtsübernahme vorzubereiten. Nixon kommt mit seinem Entschluss einer als sicher geltenden Amtsenthebung zuvor."
    Irreführender Titel
    Der Untertitel der deutschen Ausgabe von Tim Weiners Buch – "Aufstieg und Fall des Richard Nixon" – führt etwas in die Irre. Denn mit Details zu Nixons Werdegang hält sich der Autor doch ziemlich zurück. Stattdessen geht es bei ihm praktisch ausschließlich um seine Amtszeit als Präsident – und hier wiederum vor allem um Vietnam und Watergate. Insofern scheint der Untertitel der Originalausgabe – "The tragedy of Richard Nixon" – zutreffender gewählt.
    Tim Weiner: "Ein Mann gegen die Welt. Aufstieg und Fall des Richard Nixon",
    S. Fischer-Verlag 2016, 24,95 Euro.