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Zwischen Hügeln die Kamele

Das Leben in der Wüste ist einsam, aber schön – zumindest als Tourist. Vor malerischem Horizont weiden Schaf- und Ziegenhirten ihre Tiere. Auf den kleinen Farmen werden Oliven und Wein angebaut, der Geruch von Tee und Kräutern schwängert die heiße Luft.

Von Gretel Rieber | 21.07.2013
    Das ist ein Lied der israelischen Gruppe Gaya. Kamelkarawanen sieht man zwar nicht mehr in der Negev-Wüste, aber alle paar Kilometer Warnschilder an der Straße: Vorsicht, Kamele. Das ist kein Scherz, die Tiere sind unglaublich stur und allemal stärker als ein PKW, wie zahlreiche Unfälle auf den Wüstenstraßen bezeugen. Yonni trainiert Kamele, die er gekauft hat, auf seiner Orlyya-Farm in der Wüste Negev, als Reittiere für Beduinen oder für Tourguides, die Ausflüge in die Wüste organisieren. Und wie trainiert man Kamele?

    "Slowly, slowly, I talk to them, they are very smart animals, they have a great memory, visual memory, they remember what they see"

    Also ganz, ganz langsam, mit viel Geduld. Yoni liebt die Tiere und seine Kinder geben den Kamelen Namen wie "die Schwarze" oder "die Schöne".

    Die Kamelstute:
    … geschwungen ihr Hals,
    sie ist sandgelb und schlank,
    fliegt dahin wie Gazellen, die Hunde gewittert,
    und neigt sich am Sattel der leisesten Hand
    zum Schutz hängen Polster ihr seitlich herab,
    Kopfschmuck, Stickerei von schönen Mädchen,
    mit bunten Bändern, ausgesucht in achtzig Läden
    und seht, die Satteltaschen sind gefüllt mit ihrem guten Namen.


    Ein Beduinengedicht, übersetzt von dem aus Deutschland stammenden Schriftsteller Chaim Noll, der seit Mitte der neunziger Jahre im Negev lebt und arbeitet.

    Es ist sehr still hier auf der Orlyya-Farm, die Stimmung im Nachmittagslicht fast magisch. Am Fuß der gelben Wüsten-Berge, wo sich das jetzt trockene Bett eines Wadis erstreckt, hat Yonni Arganbäume gepflanzt, die es sonst fast nur in Marokko gibt. Er macht reines Arganöl daraus, ohne irgendwelche Zusätze, für kosmetische Zwecke, aber auch für die Küche und für duftende Arganseife. Die harten Nüsse des Baumes werden geduldig mit einem Hammer zertrümmert, die sehr kleinen hellen Kerne dann kalt gepresst, um das Öl zu gewinnen, wahrlich eine Geduldsarbeit. Die rhythmischen Hammerschläge, mit denen die Nüsse geknackt werden, zerbrechen die Stille.

    "You can see here the nuts, and when they dry, we break them, and from the seed, we press it to oil, this is the gold you can find in the desert."

    Das 'Gold der Wüste', nennt Yonni die kleinen grauen Nüsse. Er lässt mich an den Kräutern riechen, die er hier organisch anbaut: Zitronengras, Wermutkraut, Salbei, Oregano, Rosmarin, Minze, Lavendel, Kamille. Er verkauft die Kräuter frisch oder getrocknet an Touristen oder er verschickt sie. Man kann Tee daraus machen, Speisen würzen oder sie für Heilzwecke benutzen.

    Yonnis Frau heißt Orlyya, die Farm wurde nach ihr benannt. Und so hieß auch eine Priesterin der Göttin Aphrodite, die auch unter dem Namen Astarte bekannt war, Göttin der Liebe, der Schönheit, des Wachsens und Entstehens. In der Nabatäerstadt Avdat, ganz in der Nähe der Orlyya-Farm, soll es ein Grab der Priesterin geben. Avdat war eine der Stationen an der Weihrauchstraße der Nabatäer, auf der die arabischen Händler ihre Waren, Myrrhe und Weihrauch, vom Jemen an die Mittelmeerküste brachten. So ist es fast schon selbstverständlich, dass hier, wo auch zu biblischen Zeiten duftendes Salböl aus Kräutern und Öl gemischt wurde, Arganbäume und Kräuter zu pflanzen.

    Yonni serviert mir Tee, Zitronengras, das mit kochendem Wasser übergossen und mit viel Zucker gesüßt wurde, eines seiner Kinder kommt aus dem Haus an unseren Tisch im Freien unter einem Schilfdach. Gerade hat ein Neffe von Jonni, der in Chile lebt, ein Paket Argan-Seife erstanden.

    Die Farm scheint im Nirgendwo zu liegen, bis auf die graugrünen Kräuterbüschel und die kleinen blauen Rosmarinblüten sieht man nur Steine und am Horizont die gelbbraunen unbewohnten Bergzüge, an deren Hängen gelegentlich Beduinen ihre Herden weiden. Doch die Zivilisation ist nur eine Viertelstunde Autofahrt entfernt, die Kinder gehen in die Schule des Collegedorfes Sde Boker, eine Außenstelle der Universität Beer Sheva, wo Wüstenlandwirtschaft, Bewässerungsmethoden, Fischzucht in der Wüste und Gewinnung von Solarenergie gelehrt und praktiziert werden und wo es einen kleinen Supermarkt gibt.

    Yonni ist nicht nur Landwirt, er vermietet auch Hütten für Touristen, die die Stille und die glühenden Sonnenuntergänge genießen und die sich von Orlyya ganzheitlich mit Öl-Massagen und Kräutersud behandeln lassen. Im Negev gibt es seit ungefähr 15 Jahren eine Reihe solcher kleiner Familienfarmen mit "Zimmerim", wie die Gastzimmer für Touristen heißen, das Wort wurde übernommen von den deutschstämmigen Juden, die sich anfangs im Lande Israel vor allem mit Zimmervermietung ökonomisch über Wasser halten konnten und die dann an das deutsche Wort Zimmer die hebräische männliche Pluralendung "im" anfügten. Also Zimmerim.

    Auf den kleinen Farmen, deren Land der Staat Israel auf 99 Jahre verpachtet, werden Wein oder Oliven angebaut, Fische im fossilen Brackwasser gezüchtet, das aus 400 bis 600 Metern heraufgepumpt wird, Tomaten angebaut, die wegen des Salzgehaltes des Wassers besonders süß schmecken, eine Art pflanzliche Gegenwehr. Diese lose Kette kleiner Familienfarmen, die zugleich dem alternativen Tourismus dienen sollen, wird Weinstraße genannt. Nicht nur wegen der kleinen Weingüter, denn es wird ja auch Obst und Gemüse hier angebaut, sondern auch, weil hier in der Wüste dank eines ausgeklügelten Bewässerungssystems schon zu Nabatäerzeiten Wein angebaut wurde.

    "Denn der Herr hat Erbarmen mit Zion,
    seine Wüste macht er wie Eden
    Seine Öde wie den Garten des Herrn.
    Freude und Fröhlichkeit findet man dort.
    Lobpreis und Klang von Liedern.""
    Jesaja 51, 3


    Ganz und gar nicht still geht es auf der Naot-Farm zu, etwa 40 Kilometer südlich von Beer Sheva, der Siebenbrunn-Stadt oder Stadt des Eides, wo Abraham einen Brunnen gekauft und einen Eid geschworen hat, nachzulesen in der Genesis, 21, 22-34.

    Der etwa 5o-jährige Farmer Gabi sieht ein bisschen aus, wie ich mir Abraham vorstelle, mit langem weißen Bart und kräftiger Statur. Und seine schlanke blonde Frau Lea wirkt mit ihrem langen Zopf auch ein bisschen biblisch. Aber die beiden, die sechs Kinder haben, fünf Söhne und eine Tochter, sind nicht religiös. Sie sind vor zehn Jahren aus dem Zentrum Israels hierhergekommen, weil sie die Stadt mir ihrem Lärm und den Parkplatzproblemen satthatten. Ihre Farm bietet ihnen den Lebensunterhalt, mit Religion oder Ideologien geben sie sich nicht ab. Gabi hat gerade keine Zeit, mir die Naot-Farm zu zeigen, er ist, wie übrigens alle hier, sehr beschäftigt. Also zeigt mir Eviatar, einer der Söhne, das weiträumige Gelände. Hier ist nichts bäuerlich-idyllisch, es gibt keinerlei Landhaus-Schick. Stattdessen braune, festgestampfte Erde, einfache Gebäude und Wohncontainer, große Ställe, keine Bäume, keine Blumen. Nur Zweckmäßigkeit. Der Berater, der sich unser Pacht-Land angeschaut hat, erzählt er mir, sagte uns, hier würde überhaupt nichts wachsen, das bisschen Erde bedecke gerade mal den nackten Felsen. Also beschlossen Lea und Gabi, hier Schafe und Ziegen zu züchten. Lämmer für den Fleischverkauf und Ziegen für die Gewinnung von Milch. Zur Begrüßung kredenzt mir der Sohn, der mit seinem rötlich-blonden Haar und Bart so aussieht, wie König David beschrieben wird, einen Becher Ziegenmilchjoghurt. Überraschenderweise schmeckt er mir ausgezeichnet.

    Lea führt mich durch den großen Schafstall, wo dicke Schafe dicht gedrängt stehen, jedes blökt mit ganz eigener Stimme. Die Schafe sind ziemlich dumm, sagt Lea, ganz anders als die Ziegen, die neugierig und schlau sind. Die Ziegen werden nicht geschlachtet, sondern wegen ihrer Milch gehalten, die zu Joghurt und Käse verarbeitet wird.

    Die Farmersfamilie lebt bescheiden in Wohncontainern, der älteste Sohn studiert in Beer Sheva, ein anderer Sohn ist Schreiner, die jüngeren Kinder gehen noch zur Schule im College Sde Boker, wo es neben der Grundschule auch ein Gymnasium gibt, nur Eviatar arbeitet auf der Farm. Da hier nichts wächst, werden die Schafe und Ziegen mit Heu, dem Kraftfutter beigemischt ist, gefüttert. Warum also werden gerade hier Schafe und Ziegen gehalten, warum hat die Familie grade hier, auf nacktem Fels, die Farm aufgebaut?

    "Es ist nicht leicht, hier in Israel eine Farm aufzubauen, das meiste Land gehört schon jemandem, also war das hier beinahe die einzige Option. Aber vor allem ist das Wetter hier großartig für die Aufzucht von Schafen und Ziegen, die Schafe lieben die kalten Winternächte, woanders im Land muss man sie zweimal im Jahr scheren, hier scheren wir sie nur einmal zu Beginn des Sommers. Im Winter ist es hier bitterkalt, die Winternächte in der Wüste sind viel härter als die Sommertage."

    Dennoch, so erzählt Lea, ist der Winter in der Wüste die Hochsaison für Touristen, sie fürchten die Sommerhitze, obwohl im Sommer fast immer eine kühle Brise weht und es im Schatten sehr gut auszuhalten ist. Die Klimaanlagen im Sommer sind nur an ungefähr 15 Tagen in Betrieb, die Öfen im Winter aber jede Nacht.

    Die Lämmer und Zicklein auf der Naot-Farm wachsen gemeinsam in einem großen luftigen Stall auf, sie trinken Wasser mit Milchpulver aus einer Art Zapfhahn, der so etwas wie eine Milchtankstelle darstellt.

    "Die Mütter haben nicht alle genügend Milch", erklärt Lea. "Oder die Babies wissen nicht, wie man trinkt. Außerdem sind die Babies in Gefahr, von den Müttern erdrosselt zu werden, wenn sie sich an kalten Tagen dicht aneinander drängen. Deshalb halten wir sie von den Müttern entfernt, so bleiben sie am Leben und gesund."

    Doch eines der Lämmer, es ist erst einen Tag alt, hat seine Mutter wohl noch nicht vergessen, es schreit jämmerlich nach ihr. Seine Wolle ist stellenweise rot und blau eingefärbt, damit man beobachten kann, ob es genug trinkt.

    Ich frage Eviatar und Lea, ob sie es fertigbringen, ihre Lämmer zu essen.

    "We don’t eat them. In our restaurant we don’t serve lambmeat, you cannot eat lamb? We can, but we don’t."

    Nein, sie selber essen ihre Lämmer nicht, auch im Restaurant kommt kein Lammfleisch auf den Tisch. Aber, so sagt Lea, man müsse halt Geschäft und Gefühle auseinanderhalten.

    Das einfache Restaurant der Farm wird gerne besucht, Touristen auf dem Weg nach Eilat kehren hier ein oder sie kommen von den umliegenden Gästehäuern und sogar aus der naheliegenden Stadt Beer Sheva. Gabi und Lea vermieten auch Zimmer mit unverstelltem Blick auf die Wüstenberge, Ausgangspunkt für Ausflüge zum Kibbuz Sde Boker, wo man die Hütte besichtigen kann, in der Ben Gurion mit seiner Frau lebte, den Spa von Neve Midbar – Oase der Wüste – dort kann man im fast 40 Grad warmen fossilen Wasser baden, oder zu den Ruinen der Nabatäerstädte Shivta, Mamshit und Avdat.

    Lea zeigt mir eine der Hütten, die grade von drei jungen Leuten, die hier jeweils ein halbes Jahr auf der Farm arbeiten, für die neuen Gäste geputzt wird. Lea stellt mich vor:

    "So this is a cabin for a family, a bedroom over there and an extra bed here, this cabin was planned for handicapped, one can go in with a wheelchair."

    Dies ist eine Hütte für eine Familie, sagt sie, geplant für Behinderte. Sie hat breite Türen und ist ebenerdig, man kann mit dem Rollstuhl hineinfahren.

    Außer den Nutztieren gibt es auf der Naotfarm gelegentlich auch Besuch von anderem Getier:

    "Es gibt Wölfe, Hyänen, aber die Hyänen sind okay, sie kommen uns nicht nah und wir kommen ihnen nicht nah. Aber die Wölfe mögen die Schafe, die Lämmer. Wir haben deshalb einen elektrischen Zaun und sechs Hunde. Ja, die Wölfe sind ein Problem."

    Shraga wohnt in Arad, eine halbe Stunde vom Toten Meer entfernt. Er ist ein speziell ausgebildeter Wüsten-Guide, der den Negev mindestens so gut kennt, wie es die Beduinen tun:

    "Es ist interessant zu wissen, dass die Wüste in Hebräisch verschiedene Wörter hat. In Deutsch oder Englisch sind alle Wüsten gleich, von der Sprache, aber in der hebräischen Sprache gibt es drei verschiedene Wörter, das Wort "midbar" , Wüste, ist eine Bezeichnung für ein Gebiet, wo wenig Wasser ist, aber es besteht eine Überlebensmöglichkeit, man kann leben in diesem Gebiet. In der judäischen Wüste und im Negev kann man leben, es gibt Wasser, nicht viel, auch sehr schwer zu sagen, wann es kommt, aber es gibt Leben."

    Auf der anderen Seite, für die Sahara-Wüste gibt es ein anderes Wort, das Wort heißt "Zia" oder "Jeschimon", das bedeutet ein Gebiet, wo keine Lebensmöglichkeit besteht, man kann da bestenfalls von einer Oase zur anderen wandern.

    Und weil in der Midbar Leben möglich ist, weil es dort sparsame Vegetation gibt und zu manchen Zeiten auch Wasser in den Wadis, in den Teichen vor den aus den Felsen sprudelnden Quellen, gibt es eine reiche, wenn auch gefährdete Flora und Fauna: 1200 verschiedene Wildpflanzen, die sich mit ihren kleinen, wasserspeichernden Blättern ihrem Lebensraum angepasst haben, die im Frühjahr die Wüste stellenweise mit Blumenteppichen überziehen, es gibt Steinböcke, immer noch eine kleine Population von Leoparden, es gibt Gazellen, Hyänen, Wildkatzen, Caracals – das sind die großen Katzen mit den spitzen Ohren – Wölfe und Füchse. Kürzlich wurden hier auch wieder Wildesel heimisch gemacht. Es gibt Falken, Adler, Geier, Eulen, schlanke braune Tauben. Im Frühjahr passieren Abertausende von Zugvögeln das Aravatal, das zum Negev gehört, auf ihrem Weg von Afrika nach Europa und im Herbst umgekehrt. Es ist ein großartiger Anblick, wenn ein Zug von Wildgänsen oder Störchen den Himmel über Israel kreuzt. Für eine Weile waren auch sie zu Gast in der Wüste.