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Zwischen Interessen und Positionen

Um bei Verhandlungen erfolgreich zu sein, sollte man sich vor allem gut auf die Verhandlungspartner vorbereiten, sagt der Betriebswirtschaftler Marc Oliver Opresnik von der Fachhochschule Lübeck. Außerdem sei es wichtig, sich auf Augenhöhe zu begegnen, um das Selbstwertgefühl des Partners nicht anzugreifen.

Marc Oliver Opresnik im Gespräch mit Andreas Kolbe | 23.10.2013
    Andreas Kolbe: Gut vier Wochen lang ist sondiert worden, vier Wochen lang sind Positionen vor allem über die Medien ausgetauscht worden. Seit heute Mittag nun sitzen Union und SPD offiziell am Verhandlungstisch, um einen Koalitionsvertrag auszuhandeln. Strittige Punkte gibt es zuhauf, neben dem Mindestlohn etwa bei der Rente, beim Thema Steuern oder bei der Pkw-Maut. Wer wird seine Positionen da durchsetzen? Das ist nicht immer derjenige, der die besseren Argumente hat, sondern oft derjenige, der geschickter verhandelt. Darüber habe ich vor der Sendung mit Marc Oliver Opresnik gesprochen. Er ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Lübeck und Autor eines Lehrbuchs für Verhandlungsführung. An ihn zunächst die Frage: Wer ist denn besser gerüstet für die Koalitionsverhandlungen?

    Marc Oliver Opresnik: Das kommt darauf an, wer sich besser vorbereitet hat. Das heißt, eine effektive und adäquate Vorbereitung ist zunächst mal Grundvoraussetzung für erfolgreiche Verhandlungen. Zunächst mal ist es also wichtig, genau zu schauen, wer sitzt mir hier gegenüber, und zwar jeden Verhandlungspartner als Individuum zu sehen und genau zu analysieren, was die jeweiligen Interessen sind. Das heißt, es ist wie bei einem Eisberg: Das Großteil der Kommunikation und der Bedeutung liegt unterhalb der Wasseroberfläche, und das sind die sogenannten Interessen der jeweiligen Verhandlungspartner. Oberhalb der Wasseroberfläche, das sind die Positionen, die werden nach außen hin artikuliert. Was aber viel entscheidender ist, sind die eigentlichen Interessen. Dafür muss ich zunächst mal sensibilisiert sein, immer genau zu schauen, was ist die Agenda meines Gesprächspartners, um dann meine Argumentation, meine Nutzen-Argumentation darauf auszurichten.
    Lassen Sie mich dazu vielleicht eine kleine Metapher anführen. Zwei Parteien, die streiten sich um eine Orange und sie können zu keinem Ergebnis kommen, als die Orange am Ende in der Mitte durchzuschneiden und jedem eine Hälfte zu geben. Wenn man da genauer nachgefragt hätte und die Interessenlage analysiert hätte, hätte man herausgefunden, dass eine Partei eigentlich gar nicht die Orange an sich will, sondern nur die Frucht, und die andere wollte die Schale haben. Die einen wollten daraus Marmelade machen und die anderen wollten Orangensaft pressen. Das ist eine sehr schöne Anekdote, die zeigt, wenn beide Parteien über ihre wahren Gründe und nämlich die hinter den Positionen liegenden Interessen sich ausgetauscht hätten, hätten sie auf dieser Grundlage zu einem viel besseren Ergebnis kommen können.

    Kolbe: Und das wird auch in der Praxis helfen, Mindestlohn und Pkw-Maut unter einen Hut zu bringen?

    Opresnik: Genau. Auch bei allen strittigen Fragen ist es natürlich so, dass immer hinter jeder Position ein Interesse liegt. Man muss zunächst mal analysieren, welches Interesse liegt jetzt hinter dieser Position, und dann muss ich darauf abstellen und genau immer argumentieren vor dem Hintergrund mit Blick auf den Nutzen des Partners. Dazu muss ich natürlich wissen, nicht welche Position vertritt er, sondern welche Interessen hat er: Will er zum Beispiel im Falle der SPD, ich sage mal, Boden wieder gutmachen oder zusätzlich gewinnen bei den Gewerkschaften. Das könnte zum Beispiel ein Interesse sein, das hinter einer gewissen Position steckt. Dann lässt sich dieses Interesse unter Umständen auch durch völlig andere Aktivitäten oder durch andere Maßnahmen, andere Konzessionen befriedigen.

    Kolbe: Jetzt haben sich die Parteien ja zum Teil recht frühzeitig festgelegt auch in den Medien auf bestimmte Positionen, die nicht verrückbar sind. Bringt das denn Vorteile in solchen kontroversen Verhandlungen?

    Opresnik: Das ist eher nachteilig. Je stärker ich mich nach außen hin verpflichte zu etwas, je mehr ich Stellung beziehe, desto mehr schwäche ich natürlich in der Regel meine Verhandlungsposition, oder desto weniger Spielraum habe ich natürlich für eine interessengeleitete Verhandlungsführung. Es gibt einen schönen Spruch diesbezüglich und der sagt: Jeder ist bereit, seine Meinung zu ändern, solange er sie noch nicht geäußert hat. Das heißt, dazu muss ich gar nicht dem chinesischen Kulturkreis angehören, um hier das Gefühl zu haben, dass ich irgendwie mein Gesicht verliere. Das heißt, sobald ich - und das wird in der heutigen Zeit ja viel schneller durch die Medien kommuniziert - mich zu etwas verpflichtet habe, zu etwas geäußert habe, werde ich alles daran setzen, dieses Urteil praktisch und diese Meinung immer weiter zu manifestieren.

    Kolbe: Die CDU hat ja deutlich gewonnen bei der Wahl, die SPD ist hier der Juniorpartner. Dennoch gehen ja die Sozialdemokraten sehr selbstbewusst in diese Verhandlungen. Wie schätzen Sie das ein? Wird man sich da auf Augenhöhe begegnen, oder wird sich das Wahlergebnis dann auch kräftemäßig in einem Koalitionsvertrag niederschlagen?

    Opresnik: Das ist schwer vorherzusehen. Es wäre sicherlich ratsam aus Sicht der CDU/CSU, von der Verhandlungsführung her der SPD auf Augenhöhe zu begegnen. Stärke oder Kraft, die man unter Beweis stellt, sagt man in der Verhandlungsführung, besitzt man nicht, weil damit greife ich letztendlich das Selbstwertgefühl des Gesprächspartners an, und niemand hat gerne das Gefühl, dass er irgendwie überredet wird. Deswegen ist es sehr angeraten, sich absolut auf Augenhöhe zu begegnen und das unter anderem auch atmosphärisch gesehen zu untermauern, dass die Verhandlungen zum Beispiel immer, ich sage mal, auf neutralem Terrain stattfinden, oder man einmal zur SPD fährt und dann wieder ins Konrad-Adenauer-Haus fährt. Das muss auch ausgewogen sein. All solche Signale werden subliminal unterbewusst letztendlich sonst als Minderung des Selbstwertgefühls wahrgenommen.

    Kolbe: Bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin geht es um Inhalte, aber viel auch um Taktik und Psychologie. Marc Oliver Opresnik war das von der Fachhochschule Lübeck.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.