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Zwischen NATO und Russland
Wohin steuert die Türkei?

Als langjähriges NATO-Mitglied zählt die Türkei zu den wichtigsten militärischen Bündnispartnern des Westens. Doch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sucht auch die demonstrative Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin - die türkische Diplomatie gleicht einem Drahtseilakt.

Von Gunnar Köhne | 08.12.2018
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan steigt am Flughafen von Buenos Aires in ein Auto
    Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan lobt sein Verhältnis zu Russlands Präsident Wladimir Putin und stößt die NATO bei Rüstungsfragen vor den Kopf (AFP/ Martin Bernetti)
    Nach einem dramatischen Absturz der türkischen Lira und unangenehmen Meldungen über eine rasant steigende Inflation konnte der türkische Staatspräsident Erdogan Mitte November endlich wieder eine wirtschaftliche Erfolgsnachricht verkünden: Gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Putin weihte er einen wichtigen Abschnitt der Gaspipeline "Turkish Stream" ein.
    Ab dem kommenden Jahr soll russisches Erdgas durch ihre Röhren über die Türkei nach Westeuropa fließen. Russland wäre dann nicht länger auf den Transit durch die Ukraine angewiesen. Für Recep Tayyip Erdogan war die Feier Anlass, das Verhältnis zu Moskau zu loben:
    Karte zu Erdgas-Pipelines aus Russland in die EU und die Türkei, geplante Pipeline Turkish Stream
    Erdgas-Pipelines aus Russland in die EU und die Türkei (picture-alliance / dpa-infografik)
    "Die Russische Föderation ist für uns ein bewährter und zuverlässiger Freund und wichtiger Erdgas-Lieferant. Und für diese Zusammenarbeit brauchen wir uns gegenüber Dritten nicht zu rechtfertigen!"
    Kooperation bei Energie und Handel
    Tatsächlich trifft sich Erdogan mit keinem ausländischen Staatschef so häufig wie mit Wladimir Putin; seit August 2016 schon ein Dutzend Mal. Dabei waren die Beziehungen der beiden Staaten noch vor drei Jahren auf einem Tiefpunkt. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets an der syrisch-türkischen Grenze im Herbst 2015 durch türkische Abfangjäger verhängte Putin schwerste Sanktionen gegen die Türkei: unter anderen ein Charterflugverbot an die türkische Riviera, einen Importstopp türkischer Waren und ein Arbeitsverbot für türkische Firmen in Russland. Für Ankara war der Vorfall eine Folge der Verletzung des türkischen Luftraums. Doch nach einem halben Jahr Sanktionen entschuldigte sich Erdogan – wie gefordert – beim Kreml.
    Seitdem floriert die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten – nicht nur in den Bereichen Energie und Handel, sondern neuerdings auch im Bereich Verteidigung. So hat das NATO-Mitglied Türkei ausgerechnet das russische Luftabwehrsystem vom Modell S-400 bestellt – gegen alle Warnungen der NATO und vor allem der USA. Die amerikanische Botschafterin bei der NATO, Kay Bailey Hutchinson, fasst die Stimmung im Bündnis zusammen:
    "Wir sind sehr besorgt über diese S-400, die die Türkei von Russland kaufen möchte. Das wäre ein heftiger Schlag, denn es würde die Kompatibilität von NATO-Flugzeugen und Ausrüstungen untereinander beeinträchtigen. Wenn dieses russische Raketensystem kommt, dann können wir mit der Türkei nicht wie bisher operativ zusammenarbeiten."
    Türkei als militärisches Sicherheitsrisiko?
    Konkret befürchtet die USA, Moskau könnte mit Hilfe der Raketenbatterien in der Türkei den US-Kampfjet F-35 ausspionieren. Der US-Senat hat darum die Auslieferung von F-35 an die Türkei vorerst gestoppt. Doch Ankara zeigt sich bislang unnachgiebig. Schon im nächsten Jahr sollen die ersten S-400 ausgeliefert werden.
    Je schwieriger sein Verhältnis zum Westen, desto einvernehmlicher zeigt sich Erdogan mit seinem "Freund" Putin. Dabei werden die strittigen Themen zwischen beiden Staaten meistens ausgeklammert, etwa das Thema Syrien. Dort sieht der Istanbuler Politologe Serhat Güvenc seine Regierung von Russland ausmanövriert. Moskau lasse Erdogan im Norden gegen die Kurden vorgehen, um im Rest des Landes ungestört seine Ziele verfolgen zu können:
    "Die vollständige territoriale Kontrolle des Landes durch das Regime ist für Russland zweitrangig. Moskau hatte das Ziel, Assad an der Macht zu halten. Dieses Ziel wurde erreicht. Die Türkei ihrerseits wollte Assad stürzen und hat dieses Ziel nicht erreicht. Außerdem ist sie in einer Doppelrolle gefangen: Einerseits kooperiert und verhandelt die Türkei mit Russland und dem Iran über Syrien. Andererseits begrüßt sie es, wenn der Westen als Vergeltung für Giftgaseinsätze Ziele in Syrien bombardiert."
    Streitpunkt Syrien-Politik
    Immerhin kann Erdogan als außenpolitischen Erfolg verkaufen, eine Erstürmung der grenznahen Stadt Idlib durch die syrischen Regierungstruppen vorerst abgewendet zu haben. In einem solchen Fall könnten Millionen Menschen in die Türkei fliehen. Doch solche Zugeständnisse Putins, so vermuten viele im Westen, dienten allein dem Zweck, weiter einen Keil zwischen den Westen und die Türkei zu treiben. Bei einem Treffen mit Erdogan am Rande des vergangenen G20-Gipfels in Buenos Aires bemerkte der russische Präsident:
    "Vor kurzem haben wir uns ja in Istanbul bei einer sehr erfreulichen Gelegenheit getroffen: der Einweihung des Meeresabschnitts der Turkish Stream Pipeline. Die Türkei hat bei der Gelegenheit noch einmal ihre außenpolitische Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit als Partner unterstrichen."
    Ein NATO-Verbündeter, der von Putin als "außenpolitisch unabhängig" gelobt wird: Die Annäherung zwischen der Türkei und Russland wird im Westen mit immer mehr Sorgen beobachtet.