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Zwischen Recherche und Wadenbeißerei

Die immer neuen Details zu mutmaßlichen Verfehlungen des Bundespräsident Christian Wulff hätten zum Teil ein "etwas kleinliches Format" angenommen und lenkten von der eigentlichen Kernaffäre ab, findet Jasper von Altenbockum, verantwortlicher Redakteur des Innenressorts der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Jasper von Altenbockum im Gespräch mit Christoph Heinemann | 20.01.2012
    Christoph Heinemann: Im niedersächsischen Landtag steht heute abermals der umstrittene Hauskredit des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Bundespräsidenten Christian Wulff auf der Tagesordnung. In einer ersten Beratung wollen sich die Abgeordneten über die von der Linken geforderte Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verständigen; eine Abstimmung ist aber erst für Februar geplant. Unterdessen ist der ehemalige Sprecher von Bundespräsident Wulff wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ins Visier der Justiz geraten. Gestern durchsuchte die Staatsanwaltschaft Hannover gemeinsam mit dem Landeskriminalamt Privat- und Geschäftsräume von Olaf Glaeseker. Auch der Event-Manager Manfred Schmidt steht im Visier. Böse Zungen behaupten, die Beamten suchten das Bobbycar, das gestern auf Seite eins der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu sehen war. Medien hatten berichtet, die Ehefrau des Präsidenten habe ein solches Fahrzeug beim sehr günstigen Kauf eines Autos geschenkt bekommen. Das sei lächerlich, kommentierte die "Bild"-Zeitung, und sie meinte nicht das Bobbycar, sondern die Aufregung darüber sei lächerlich klein. Am Telefon ist jetzt Jasper von Altenbockum, der Innenpolitik-Chef der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Guten Morgen.

    Jasper von Altenbockum: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr von Altenbockum, wie kam das Bobbycar auf Seite eins der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"?

    von Altenbockum: Ja. Das war eine gute Gelegenheit, die ganze Affäre noch mal auf die Seite eins zu bringen - allerdings natürlich mit einem ironischen Schlenker, weil mittlerweile die ganze Angelegenheit in der Tat ein etwas kleinliches Format angenommen hatte und eigentlich von der eigentlichen Kernaffäre abgelenkt wurde mit allerlei, ich würde mal sagen, Wadenbeißerei.

    Heinemann: Untergräbt die Presse nicht die eigenen Rechercheleistungen, wenn ein Bobbycar zum Corpus Delicti promoviert wird?

    von Altenbockum: Sie untergräbt sie insofern, weil nicht mehr die Aufklärung der eigentlichen Angelegenheit im Mittelpunkt steht, sondern im Grunde genommen nur noch die Frage, können wir Herrn Wulff zum Rücktritt treiben, zwingen oder nicht. Und das zielt natürlich eigentlich nicht auf das Eigentliche dieser Affäre, sondern auf boulevardeske Züge, die eigentlich auch mit Politik und dem Auftrag von Journalismus, nämlich solche Dinge einfach aufzuklären, nichts mehr zu tun haben.

    Heinemann: Christian Wulff hat sich einen Ausflug zum Deutschen Filmball 2010 in München vom Marmeladenkonzern Zentis samt Übernachtung im Bayerischen Hof finanzieren lassen. Gehört das auch zu den Petitessen?

    von Altenbockum: Das hängt immer davon ab, das ist immer die Frage. Ich glaube, in dem Falle könnte es keine Petitesse sein, und in jedem dieser Einzelfälle muss man prüfen, ob es mit seinem Amt zusammenhängt, ob es eine reine Privatangelegenheit war. Aber so, wie sich das anhört, würde ich sagen, es ist keine Petitesse.

    Heinemann: Wie gefährlich könnten für Christian Wulff die Durchsuchungen bei Olaf Glaeseker und dem Event-Manager Schmidt werden?

    von Altenbockum: Na ja, die Untersuchung oder die Hausdurchsuchung bezieht sich eigentlich auf einen Nebenschauplatz, nämlich diesen sogenannten Nord-Süd-Dialog. Dafür war Wulff nur insofern involviert, weil er die Schirmherrschaft über dieses Forum übernommen hatte. Ob er selber sich da was vorzuwerfen hat oder nicht, hat eigentlich direkt mit dieser Hausdurchsuchung jetzt noch nichts zu tun, aber es kann natürlich im Zuge dieser Ermittlungen sich herausstellen, dass auch Christian Wulff mehr in diesem Forum aktiv war, als das bislang scheint.

    Heinemann: Herr von Altenbockum, 239 Seiten Anfragen und Antworten haben Herrn Wulffs Anwälte ins Netz gestellt. Wissen Sie jetzt mehr?

    von Altenbockum: Aus diesen Antworten auf die Fragen geht eigentlich nicht mehr hervor, als was man bisher wusste. Es ist natürlich trotzdem immer interessant zu erfahren, wie auf ganz bestimmte Fragen geantwortet wird, und da kann man schon beobachten, dass halt zum Beispiel in diesem Fall, was den Nord-Süd-Dialog angeht, ausweichend geantwortet wird, oder jedenfalls nicht so geantwortet wird, dass man sagen kann: Das ist jetzt alles klar, es ist geklärt, man hat ein eindeutiges Bild von allen Details.

    Heinemann: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat im Fall zu Guttenberg hartnäckig recherchiert, sie bleibt jetzt auch in der Causa Wulff am Ball, gestern mit einem ganzseitigen Appell des ehemaligen Verfassungsrichters Dieter Grimm, der dem Bundespräsidenten den Rücktritt nahegelegt hat. Was bedeuten beide Fälle, also Guttenberg und Wulff, bei aller Unvergleichbarkeit für eine bürgerliche Zeitung?

    von Altenbockum: Ich würde sagen, in beiden Fällen kann man beobachten, dass Politik ein Gespür verliert dafür, auf welchem schmalen Grat Politiker sich eigentlich bewegen, nämlich zwischen dem, was ihr Amt erfordert, und dem, was sie an privaten Interessen mit in dieses Amt bringen. Diese Liebe zu Glamour und einem gewissen Prominentenkult ist ja beiden Politikern zueigen, wobei ich sagen würde, dass bei Guttenberg ja noch bemerkenswert war, dass er demonstrativ eine Distanz gehalten hat zu dem ganzen politischen Betrieb, und Wulff aber immer den Anspruch hatte, besonders integer zu sein und auf dem Gebiet eine besondere Autorität darzustellen. Und in beiden Fällen haben Politiker es nicht geschafft, ein Gespür dafür zu entwickeln, dass man daran eben auch scheitern kann, weil man einfach Maßstäbe verliert.

    Heinemann: Wie reagieren Ihre Leserinnen und Leser auf die Berichterstattung?

    von Altenbockum: Wie bei allen diesen sogenannten tatsächlichen oder vermeintlichen Affären ist nach einer Zeit eine große Polarisierung dann zu beobachten. Also es gibt Leser, die einen auffordern, das endlich zu lassen, weil man sich nicht an einer Kampagne beteiligen sollte, und andere Leser, die darauf dringen, dass man das weiter verfolgt und dass man nicht locker lassen soll. Auch als Journalist ist man dann auf einem schmalen Grat.

    Heinemann: Jasper von Altenbockum, der Innenpolitikchef der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    von Altenbockum: Ja, bitte sehr. Danke schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.