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Zwischen Schulabschluss und Studienbeginn

Durch den Wegfall eines Schuljahres und der Aussetzung des Wehrdienstes streben immer jüngere Abiturienten an die Unis. Das Risiko, eine Fehlentscheidung bei der Studienwahl zu treffen, wächst. Dem will jetzt die Schule Schloss Salem am Bodensee mit dem Angebot eines Orientierungsjahres für angehende Studierende entgegenwirken.

Von Thomas Wagner | 13.03.2012
    Fee Müller studiert an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen Public Management. Sie erinnert sich noch gut an den Übergang vom Gymnasium an die Uni.

    "Man wird durch die Schule gar nicht auf das Studium vorbereiten. Man muss einfach nach der Devise 'Augen zu und durch' handeln. Man muss sich alles neu beibringen: wie man lernt, wie man Texte liest, wie man sich auf Prüfungen vorbereitet. Also ich wüsste nicht, wie man sich in der Schule darauf vorbereiten soll."

    Probleme, mit denen sich viele Studienanfänger konfrontiert sehen. Folge: Viele tun sich schwer, sich an der Hochschule zurechtzufinden. Das betrifft auch Abiturienten mit guten Noten.

    Bernd Westermeyer: "Gerade für diese Klientel stellt sich die Frage: Wie entscheide ich mich? Welche Studiengänge könnten für mich interessant sein? Welche Berufsfelder könnten für mich interessant sein? Welche Hochschulorte kämen dann Frage? Die Zeit des Wehr- und Zivildienstes entfällt. Über G8 verliert man darüber hinaus reifemäßig ein Jahr seines Lebens. So müssen also heute Schüler zwei Jahre früher all diese wichtigen Fragen für sich entscheiden. Eltern können auch nur marginal beraten. Denn das gesamte Hochschulsystem hat sich umgestellt auf Bachelor und Master. Da taugt die Erfahrung der Eltern nichts mehr."

    Aufgrund all dieser Umstände stellt Bernd Westermeyer, derzeit noch Leiter des Internats Landesschule Pforta in Sachsen-Anhalt, eine zunehmende Orientierungslosigkeit unter den Schulabgängern fest. Ab September wird Westermeyer als Schulleiter an der Spitze der Schule Schloss Salem stehen – und dann an einem Projekt mitarbeiten, dass diese Orientierungslosigkeit beseitigen soll: Die "Salem-Akademie" – ein neues Internatsangebot mit eigenen pädagogischen Konzept. Es wendet sich an Schulabgänger, die das Abitur in der Tasche haben, sich gleichwohl aber noch nicht fit für die Hochschule fühlen. Robert Leicht, Vorsitzender des Aufsichtsrates der "Schule Schloss Salem":

    "Wir wollen nicht einfach das erste Semester schon eintrichtern, sondern den Interessenten helfen, sich zu orientieren. Wir wollen in die Grundfragen der Wissenschaften durch Überblicksvorlesungen erst einmal orientieren: Was findet dort eigentlich unter dem Stichwort 'Wissenschaft' statt?"

    Was die Vorschule für angehende Erstklässler bedeutet, soll die "Salem Akademie" für angehende Studierende sein: Einführung in die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens, Überblick über alle Studienfächer, Erläuterung der dafür notwendigen Voraussetzungen, interdisziplinäre Projektarbeit – all dies soll in dem auf drei Trimester gegliederten Vorbereitungsjahr vermittelt werden. Dass die angehenden Studierenden dabei im Internat zusammenwohnen, ist für Bernd Westermeyer ebenfalls eine sinnvolle Vorbereitung aufs spätere Studentenleben:

    "Das bringt Vorteile, gerade an der Universität, wenn ich mir überlege, dass man gerade ganz banal im Internat gehalten ist, mit Studierenden auf einem Zimmer zu wohnen, sich mit anderen eine Küche zu teilen, sammelt man viele Erfahrungen, die man später beispielsweise im Wohnheim als Student gut verwenden kann, um miteinander besser zurechtzukommen."

    Mit dem neuen Angebot steht die Schule Schloss Salem allerdings im Widerspruch zur Doktrin vieler Bildungspolitiker und Wirtschaftsvertreter: Je früher Studierende ihren Abschluss in der Tasche haben, desto besser; der Altersdurchschnitt der Absolventen muss sinken - das sind gern gehörte Forderungen. Dagegen steht das Konzept der "Salem Akademie" mit dem Orientierungsjahr zwischen Schulabschluss und Studienbeginn – ein zusätzliches, aber kein vergebliches Jahr, findet Aufsichtsratsvorsitzender Robert Leicht:

    "Wer dieses Jahr dazwischenschaltet, spart hinterher Zeit. Wir ersparen diesen jungen Leuten zwei, drei Semester, vier Semester orientierungslosen Studiums. Wir helfen ihnen, das Studium, das sie dann wählen, viel gezielter anzufangen. Sie werden reifer und zügiger studieren. Sie verlieren nicht etwa Zeit."

    Soweit zur Theorie. Ob das Konzept in der Praxis aufgeht, muss sich erst noch zeigen: Im Herbst 2013 soll die "Salem Akademie" ihren Betrieb aufnehmen. Letztlich geht die Internatsschule am Bodensee ihr neues Projekt nicht ganz uneigennützig an: Das Angebot an Abiturienten, die nach Orientierung suchen, könnte eine Marktnische sein, meint Aufsichtsratsvorsitzender Robert Leicht:

    "Es darf halt nicht bloß ein Geschäft sein. Aber dann ist es auch kein Geheimnis, dass aufgrund der demografischen Entwicklung und anderer Entwicklungen Internate gut daran tun, wenn sie sich breiter aufstellen in ihrem Bildungsauftrag, auch neue Klientel erschließen. Natürlich wollen wir auch ... neue Kunden, hätte ich gesagt. Nein, neue Menschen gewinnen."