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Zwischen Tipi und Greenhorn

Louise Erdrich ist Indianerin - oder hält sich zumindest für eine. Weil ihre Mutter vom Stamm der Ojibwa ist, fühlt sie sich berufen, über Native Americans zu schreiben und dabei altmodische Schamanenromantik mit Pseudokritik am heutigen Alkoholproblem zu verbinden. Geschickter als etwa Scott Momaday, James Welch oder Leslie Marmon Silko hat sie in etlichen Romanen das Indianerthema vermarktet. Jetzt trägt sie die Klischees über die andere Seite ihrer Vorfahren zusammen, deutschen Einwanderern in die USA, denen sie ihren Nachnamen verdankt.

Von Sabine Baumann | 29.10.2004
    Dennoch bringt auch ihr neuer Roman nicht viel Neues: Die Metzgerei in Argus, North Dakota, und der amerikanische Westen selbst kamen ebenso wie die Fliegerei schon in ihrem Roman Die Rübenkönigin vor. Auch in ihrem Roman Der Bingo-Palast hatte ein Mann um die Liebe einer Frau lange kämpfen müssen, und in den Geschichten von brennender Liebe faszinierte ein Säufer die Frauen. Auch jetzt toben wieder große Leidenschaften zwischen mütterlichen Kämpfernaturen und Schwächlingen, die sich in den Suff flüchten oder der Homosexualität ergeben, was für die Autorin offenbar gleich schlimm ist. Wahre Männer sind für sie unbeholfene Hünen, die freilich auch irgendwann vor den Frauen und ihren Gefühlen kapitulieren müssen.

    Louise Erdrichs Charakterisierungen geraten oft holzschnittartig, und nicht selten grenzt ihr Stil an ausgesprochenen Kitsch. Ihr Held, ein Metzger mit dem "schönen" Namen Fidelis Waldvogel wurde auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs als Scharfschütze berüchtigt. Er kehrt heim zu der schwangeren Verlobten seines verstorbenen Kriegskameraden. Da heißt es in Erdrichs blumigen Worten, er sei "wie durch eine Falltür in die Schwärze einer Liebe gestürzt [...], die wie ein Laube
    aus tintenschwarzen Zweigen die wehrlose Schönheit des Kindes, Evas Liebreiz, ihre Seelenstärke, ihre dickschädelige, geradlinige, störrische Anmut überwölbte". Nachdem sie ihn mit so vielen geschraubten Metaphern gestürzt hat, vergisst die Autorin ihren Kraftprotz aber bald wieder, obwohl sein Schicksal doch eigentlich den Anlass für das Buch gegeben hat.
    Nicht einmal singen lässt sie ihn oft, dabei macht sie vordergründig viel Aufhebens um seine Gesangsbegabung.

    Mit den üblichen Versatzstücken der Einwandererliteratur im Gepäck folgt Erdrich ihrem Waldvogel gerade noch, wie er - ein herrliches Bild! - mit nichts als einem Koffer voller Würste in die USA einwandert, bis er im Mittleren Westen angelangt ist. Dort bringt er seine Metzgerei sofort zum Florieren, weil Deutsche für Erdrich nun mal tüchtig sind, und kaum hat er mit seiner aus Deutschland nachgeholten Frau eine Familie gegründet, folgt der Gesangsverein, weil Deutsche für Erdrich eben immer singen. Weil aber Frauen für Erdrich die interessanteren Menschen sind, hat sie jetzt genug von ihrem Helden und wechselt die Perspektive zu Delphine, der eigentlichen Hauptfigur des Buches. Erst am Schluss kommt die Autorin auf das deutsch-amerikanische Thema zurück: Waldvogels Söhne werden nach Deutschland zurückschickt, wo die Nazis schon darauf warten, sie für den nächsten Krieg abzurichten. Doch diese Geschichte wirkt wie nachträglich angeklebt.

    Überhaupt zerfasert der Plot in eine Reihe mehr oder weniger plausibler Handlungsstränge. Offenbar sollen sie sich zum Genre des Kleinstadtromans verdichten, wie ihn unter anderen Sinclair Lewis zu der Zeit, als Erdrichs Roman spielt, allerdings mit mehr Scharfsinn geprägt hat. Delphine ist die Tochter des örtlichen Säufers und zu allem entschlossen, vor allem dazu, sich eine bürgerliche Existenz und einen Ersatz für die schmerzlich vermisste Mutter zu verschaffen. Diese könnte sogar eine edle Indianerin sein, wird gelegentlich angedeutet. Louise Erdrich mischt gern einen Schuss Küchenpsychologie in ihr krudes Potpourri.

    Das ist ganz wörtlich zu verstehen, denn nichts beschreibt die Autorin lieber als die Zubereitung von Speisen, Aussehen, Aroma und Geschmack diverser Lebensmittel und Getränke. Das häusliche Idyll der Waldvogels, die penible Ordnung der Schlachterei, des Gartens und all der blitzblanken Räume, wo gebacken, gekocht, gesotten und gebraten wird - dahin zieht es Delphine, nachdem sie jahrelang ihren Vater gepflegt hat und später mit einem französisch-indianischen Mischling als Zirkusartistin aufgetreten ist. Sie will nicht länger als lebender Tisch einen Stapel Stühle und ihren Partner auf dem Bauch balancieren - wer könnte es ihr verdenken. Lieber will sie Frau Waldvogel werden, aber die Autorin kann unmöglich die weibliche Solidarität in Frage stellen.

    Daher lässt sie Waldvogels deutsche Frau erst Delphines beste Freundin werden und dann mit viel sentimentalem Gedöns das Zeitliche segnen. Der Zirkusartist stellt als heimlicher Homosexueller ohnehin keine Konkurrenz für den Metzger dar und verschwindet bald ganz im Hintergrund. Bis Waldvogel und Delphine endlich zu einer nicht mehr "tintenschwarzen", sondern peinlich keuschen Liebe finden, muss es aber noch zu diversen Unfällen kommen, die allein dazu da sind, den Helden Hindernisse in den Weg zu legen.

    All diese eklatanten Schwächen der Charakterisierung und des Plots, ganz zu schweigen von der ideologischen Voreingenommenheit machen aus diesem Roman eine schwülstige Romanze. Daran ändert auch der raunende Unterton, es handele sich um ein großes, kriegskritisches Historiendrama, nichts. Dennoch kann man mit etwas gutem Willen erkennen, warum Erdrich eine durchaus beliebte Schriftstellerin ist. Zum einen schildert sie die amerikanische Kleinstadtidylle trotz der Wirtschaftskrise glaubhaft als ein Schlaraffenland, das sich eine bunte Mischung von Figuren unter vielen Mühen und Auseinandersetzungen erschaffen hat.

    Zum anderen rückt sie aber auch die düstere Seite Amerikas in den Blick. Wo geschlachtet wird, quillen Abfälle, wo gekocht wird, verfaulen Nahrungsreste, wo Menschen leben, essen und sich lieben, entsteht auch Krankheit, Tod und Verfall. Unerschrocken nimmt Louise Erdrich, wie zum Schluss die Lumpensammlerin des Ortes Argus, die Rückseite der bürgerlichen Fassaden in den Blick, um zu sehen, von welchen Tragödien das Ausrangierte, Weggeworfene und Verschmähte erzählt. Dennoch bleibt Der Gesang des Fidelis Waldvogel ein wirres, unzeitgemäßes Einwanderermärchen, klischeebeladen und sprachlich überfrachtet.

    Louise Erdrich
    Der Gesang des Fidelis Waldvogel
    Eichborn, EUR 24,90