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Zwischen Verdrängung und Anklage

Theaterregisseur Volker Lösch präsentierte am Staatsschauspiel Dresden seine siebte Inszenierung. "Die Wunde Dresden", im Untertitel auch "Untersuchung" genannt, setzt in drei Akten die Reichstheaterwoche 1943, die Zerstörung der Innenstadt und die Nachkriegsgeschichte bis heute in Szene. Dabei ist der Chor der Dresdner Bürger wieder einmal in einer Hauptrolle. Insgesamt eine historisch-kritische Collage, die eine Unmenge historischer Dokumente und literarischer Texte zu einem Theaterabend montiert.

Von Hartmut Krug | 15.02.2009
    Im Stadtbild sind nach der Wende und seit dem Wiederaufbau der Frauenkirche viele der Wunden verheilt, die der Angriff alliierter Bomber in der Nacht des 13. auf den 14. Februar 1945 schlug. Die Wunde im Selbstbild der Dresdner Bürger aber schmerzt noch immer, und die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte schwankt zwischen Verdrängung und Anklage.

    Nur konsequent, dass Volker Lösch seinen Bürgerchor in ein strahlend weißes Sanatorium steckt. Hier singen die Dresdner "Flamme empor", schütteln im Takt des Liedes ihr Bettzeug auf und ziehen braune Bademäntel an, wobei die Zeile "wir brennen" sowohl auf ihre Begeisterung für den Nationalsozialismus verweist wie auf das Schicksal der Stadt. Iphigenie tanzt herein und bietet ihr Selbstopfer an, so wie sie es in Hauptmanns Iphigeniestücken gemacht hat, die 1943 im Dresdner Schauspielhaus aufgeführt wurden.

    Beschreibungen und jubelnde Visionen eines herrlichen Elbflorenz werden aufgesagt, eine Ausdruckstänzerin verweist auf Mary Wigmans Hexentanz und die Anpassung der Tänzerin an die Nationalsozialisten und eine Frau wünscht sich ein Kind vom Führer. Dann werden bei Kurgymnastik im Weißen Hirsch auf dem Elbhang die Ausgrenzung jüdischer Kurgäste begründet und die Dresdner mit Maßbändern traktiert, - worauf sich der Chor Hakenkreuzbinden überstreift. Jetzt kann gefeiert werden: Eine hellblonde Dresdner Intendantin begrüßt mit körpersprachlich-karikaturesker Übersteigerung Hitler und Goebbels, die als goldglänzende Schreihälse von ihren Steckenpferden ab- und in Logen hinaufsteigen. Mit einer Szene aus Schillers "Wilhelm Tell", in der die Bürger sich zum Krieg entscheiden, wird die 1.Reichs-Theaterfestwoche gefeiert, die im Jahr 1934 in Dresden stattfand, - und für die sich der Bürgerchor Hitlerschnauzer anklebt.

    Eine "Untersuchung" nennen Volker Lösch und sein Dramaturg Stefan Schnabel ihre historisch-kritische Collage, die eine Unmenge historischer Dokumente und literarischer Texte zu einem Theaterabend montiert, der zwischen Kabarett und anklagenden Erklärungen schwankt, vor allem aber den Zuschauer mit seiner Materialfülle überrollt.

    Gezeigt wird, wie Dresden, neben Breslau wohl die Stadt mit den meisten Parteianhängern, sich dem nationalsozialistischen Wahn anschloss. Es geht um Schuld oder Unschuld, um Mitschuld und um Gründe für fremdes Handeln und fremde Schuld, und es geht um die Ambivalenz des Gedenkens und Trauerns. Wenn eine Faschingsszene, durchzogen vom Schlager "Mir geht's gut!", von den blutigen Visionen von Hebbels Kriemhild abgelöst wird, bis ein Zeitzeuge von der Bombardierung Dresdens berichtet und dabei von den "Mörder"-Rufen einer Chorgruppe unterbrochen wird, dann wird die Schwierigkeit, mit der Vergangenheit umzugehen, in Szene gesetzt.
    Schwierigkeiten hat aber Regisseur Lösch auch, die dramaturgische Überfülle des Abends szenisch spannend zu machen. Da werden viele, allzu viele Zeitungsmeldungen über den Tod Dresdens verlesen, bis mit einem DDR-Film Dresdens Neuaufbau gezeigt wird. Während sie nun "Auferstanden aus Ruinen" singen, drehen die Dresdner ihre braunen Kittel auf links, sind strahlend Weiß, und das Hakenkreuz auf der Armbinde ist verdrängt vom DDR-Emblem, - nach der Wende werden natürlich Hammer und Zirkel herausgekratzt.

    Leider besitzt die Inszenierung weder Rhythmus noch Spannungsaufbau, sie zieht sich in knapp zwei Stunden mächtig dahin, sie erzählt nicht, sondern schüttet viel historisches und kulturelles Material auf die Bühne. Für Publikumswirkung sorgen allein die kabarettistischen Szenen, in denen zum Beispiel die Darsteller der komischen Figuren von Goebbels und Hitler später als Helmut Kohl und Hans-Olaf Henkel mit Bananenröckchen über der Hose das sie anbetende Volk zur "Freiheit" locken und dem Zuschauer ein mildes Schmunzeln entlocken. Der Abend bleibt trotz seines brisanten Themas harmlos, weil er auf Ausgleich und politische Korrektheit setzt, weil er weder polarisiert noch provoziert. Und seine Grundthese von der Verführbarkeit des Volkes ist zu platt, als dass sie nicht genauer untersucht werden müsste. Bei Lösch aber wird mit Szenen zwischen Faust und Mephisto über Kolonisierung und Eindämmung ein Volk vorgeführt, das sich von wechselnden Herrscherfiguren immer wieder zum Mitmachen anstiften lässt und "O Haupt voll Blut und Wunden" mit der Erkenntnis singt, "ich hab es selbst verschuldet." Ein anderes Problem des Abends: Der Bürgerchor singt diesmal nur Fremdtexte, was ihm seine innere Kraft und Echtheit und die Reibung mit den Dichtertexten nimmt, die bei den "Webern" und bei "Woyzeck" so beeindruckte. Am Schluss allerdings, als eine Projektion von der wiederaufgebauten Frauenkirche die Wunde Dresden als geheilt erscheinen lässt und der Bürgerchor friedlich in seinen Sanatoriumsbetten liegt, bricht sie doch wieder auf. Voller Wut streitet sich der Chor über den letztjährigen Historikerkongress und die Versuche, die Opferzahlen des Bombenangriffes herunter zu rechnen. Nun, endlich, harmonisiert und ästhetisiert Lösch nicht mehr, sondern zeigt die offene Wunde und die latenten Widersprüche im historischen Bewusstsein der Bürger Dresdens noch heute.