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Zwischen Volksfrömmigkeit und Säkularisierung
Franziskus im Baltikum

Der Papst reist ins Baltikum. In Litauen, Lettland und Estland erwartet ihn eine jeweils vollkommen andere religiöse Landschaft: hier katholisches Kernland mit ausgeprägter Volksfrömmigkeit, dort eine so weitgehende Säkularisierung, dass nur noch 20 Prozent der Menschen Christen sind.

Von Markus Nowak | 21.09.2018
    Papst Franziskus während einer Generalaudienz im Vatikan
    Papst Franziskus besucht Litauen, Lettland und Estland (dpa / picture alliance / Riccardo De Luca)
    Ein Pfarrhaus in der litauischen Stadt Ukmerge, zwischen der Hauptstadt Vilnius und der zweitgrößten Stadt Kaunas. Ein Dutzend älterer Frauen, manche stehen, einige knien um eine kleine Marienstatue herum und beten.
    Es ist eine sogenannte Präsidiums-Versammlung der katholischen Laienorganisation Legio Mariae, die sich vier Tugenden verschrieben hat: Gehorsam, Treue, Mut und Ausdauer im Gebet.
    Litauen gilt neben Polen als strengkatholisches Land mit einem Katholikenanteil von 76 Prozent. Die Kirche und ihre Glaubenden gelten als traditionell. Volksfrömmigkeit spielt eine große Rolle. Wenn Papst Franziskus am morgigen Samstag in der Hauptstadt landet, dann erwartet ihn als Gastgeber der Erzbischof von Vilnius, Gintaras Grusas.
    "Seine Gegenwart kann die Hoffnung der Menschen stärken. Viele Litauer verlassen wegen der schwachen ökonomischen Situation das Land. Ich hoffe, dass er den Menschen Halt geben kann und sie vielleicht sogar zum Bleiben bewegen kann. Auch wird es einen Moment geben, bei dem der Papst unsere Vergangenheit kennenlernen wird. Wir haben als Nation großen Bedrohungen standgehalten und unseren Glauben bewahren können."
    Kirchlicher Widerstand gegen das Sowjet-Regime
    Franziskus wird ein Museum besuchen - und zwar das ehemalige KGB-Gefängnis in der Hauptstadt Vilnius. Dort kommt es zu einem Treffen mit Opfern des Sowjetregimes und mit Widerstandskämpfern. Unter ihnen waren auch zahlreiche Priester, da in der Sowjetunion die Religionsfreiheit massiv eingeschränkt war. Das katholische Priesterseminar wurde infiltriert, der Neubau von Kirchen war verboten, alte wurden profaniert. Prominentes Beispiel ist die Kasimir-Kirche, eine Barockperle in der Altstadt von Vilnius, die von den Machthabern zum Museum des Atheismus degradiert wurde.
    Als junger Jesuit verbrachte Sigitas Tamkevičius fünf Jahre in sowjetischen Gefängnissen. Der spätere Erzbischof von Kaunas war Herausgeber einer Untergrundschrift, die die sowjetischen Angriffe auf die Kirche dokumentierte. Heute ist er eine Symbolfigur für den kirchlichen Widerstand gegen das Sowjetregime.
    "In den 50 Jahren Sowjetbesatzung hat die Kirche in Litauen Verluste erlebt, aber auch große gesellschaftliche Kraft entfaltet. Denn sie stand als Opposition gegen das Regime und für die Gewissensfreiheit und die politische Unabhängigkeit. In diesem Widerstand hat sie eine Autorität und geistige Kraft entfaltet, die sie bis heute hat."
    Religiöser Individualismus
    Beim Gottesdienst in der Kathedrale St. Peter und Paul in Kaunas. Geheiratet wird immer seltener in Kirchen. Die Scheidungsrate ist so hoch wie in Westeuropa. Für die Religionssoziologin Milda Ališauskienė ist das ein Zeichen, dass Litauens Gesellschaft immer mehr im Westen ankommt.
    "Nach der Unabhängigkeit gab es diese religiöse Wiederbelebung. Eine soziologische Erklärung dafür ist, dass die Transformation für die Menschen tiefe soziale Umwälzungen mit sich brachte und die Kirche für sie zu einer Art Anker wurde. Was diese These stützt: Fünf Jahre nach der Unabhängigkeit, als es den Menschen wieder besser ging, nahm die Religiosität in Litauen wieder ab. Nun kann man beobachten, wie sich die Menschen religiös individualisieren, ähnlich wie im Westen Europas. Aber es gibt auch viele, die sich als katholisch bezeichnen, aber es nicht praktizieren. Es ist eher als Ausdruck der litauischen Identität zu verstehen. Nach dem Motto: Litauer zu sein, bedeutet katholisch zu sein."
    Großer Gottesdienst in Lettland
    Bei Litauens Nachbarstaat Lettland geht sie nicht auf: die Gleichung Lette gleich katholisch. Seit der Reformation war das Land lutherisch geprägt, aus der Hauptstadt Riga etwa wurden die Katholiken während des Bildersturms für Jahrzehnte vertrieben. Lediglich im Osten des Landes, in der einst zur polnischen Krone gehörenden Region Lettgallen, ist die katholische Kirche ein starkes Element. Hier steht auch der Marienwallfahrtsort Aglona, den an Festtagen bis zu 100.000 Menschen aufsuchen.
    Und auch Papst Franziskus wird während seines eintägigen Besuches in Lettland hier einen großen Gottesdienst feiern. Zudem wird der Schwerpunkt seiner Reise auf die Ökumene gelegt, als Tribut an die heutige religiöse Situation des Landes. Jeder dritte Lette ist lutherisch, 22 Prozent sind katholische, rund 20 Prozent orthodoxe Christen. Von einer guten ökumenischen Atmosphäre spricht der katholische Erzbischof von Riga, Zbignevs Stankevics.
    "Wir erwarten, dass der Papst uns eine Bestätigung gibt, dass wir in die richtige Richtung in Sachen Ökumene gehen. Also gute Beziehungen zueinander aufbauen und mit einer gemeinsamen Sprache sprechen. Das tun wir etwa gegenüber dem Staat bei Themen, die uns wichtig sind. Da ist etwa die Sache mit dem Religionsunterricht, der künftig kein verpflichtendes Wahlfach mehr sein wird und nur noch auf freiwilliger Basis unterrichtet werden soll. Wir Religionsgemeinschaften sehen darin ein großes Problem. Ich denke, mit einer gemeinsamen Sprache könnten wir es ändern."
    Ökumenischer Alltag mit Tücken
    Die Gründe für die vom Erzbischof genannte "gute ökumenische Atmosphäre" sind vielfältig. Zum einen ist keine der Konfessionen zahlenmäßig den anderen deutlich überlegen. Zum anderen wurden während der Sowjetzeit alle Religionsgemeinschaften gleichermaßen unterdrückt, was zusammengeschweißt hat. Und: Die lettischen Lutheraner gelten als konservativ und lehnen zum Beispiel die Frauenordination ab. Aber der ökumenische Alltag bringe auch so seine Tücken, sagt etwa Krists Kalniņš, der lutherische Dekan von Riga. Etwa das auch in Deutschland bekannte Problem der konfessionsverschiedenen Ehen und der gemeinsamen Kommunion.
    "Das ist eine der wichtigsten Fragen. Wir hatten etwa das große Taize-Treffen vor zwei Jahren und waren oft in der katholischen Kirche. Ständig war davon die Rede, dass wir Brüder und Schwestern sind. Aber als es dann zur Kommunion kommt, ist uns nicht gestattet, daran teilzunehmen. Wir haben sehr viele Paare, für die das ein großes Problem ist."
    Nur 0,5 Prozent der Esten sind katholisch
    Das Thema konfessionsverschiedenen Ehen wird in Franziskus' letzter Etappe im Baltikum, in dem kleinen Land Estland, keine große Rolle spielen. Estland ist eines der am stärksten säkularisierten Länder Europas. Gerade einmal 20 Prozent der Esten gehören überhaupt einer Religionsgemeinschaft an, 0,5 Prozent sind katholisch. Estland hat keine eigene Diözese, bedauert der Apostolische Administrator Bischof Philippe Jourdan. Darüber will er mit Franziskus sprechen.
    "Wir sind eine kleine Gemeinschaft und seine Visite kann uns sichtbarer machen in der Gesellschaft. Ich hoffe, dass sich das Image unserer Kirche verändert. Das Ansehen auch von anderen Konfessionen ist nicht immer positiv in Estland. Das kommt noch von der Sowjetpropaganda. Aber die Menschen können durch den Papstbesuch sehen, wie Glauben die Menschen glücklich macht. Ich hoffe, dass das die Menschen bestärkt und sie hoffnungsvoller werden. Denn manchmal ist es in unserer kleinen Kirche schwer, optimistisch zu sein."