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Zwischenbilanz der Corona-Warn-App
Wenn die Infektionswarnung auf sich warten lässt

Seit einem Monat ist die Corona-Warn-App verfügbar. Bei den Warnmeldungen im Falle einer Infektion gibt es aber noch Probleme, berichtet Peter Welchering. Zwischen einem positiven Laborbefund und einer Warn-Meldung über die App vergingen schnell mal Tage. Denn Testergebnisse würden teils noch gefaxt.

Peter Welchering im Gespräch mit Ralf Krauter | 15.07.2020
Präsentation der offiziellen Corona-Warn-App
Coronavirus - Vorstellung der Corona-Warn-App (Hannibal Hanschke/Reuters Pool/dpa)
Die Corona-Warn-App verzeichnet inzwischen rund 16 Millionen Downloads und kann zur schnelleren Nachverfolgung positiv getesteter Corona-Patienten beitragen. Nicht überall läuft der Betrieb reibungslos, an Updates wird gearbeitet. Auch bei den Warn-Nachrichten im Fall einer Infektion eines Nutzers gibt es noch Verbesserungsbedarf, wie der Dlf-Wissenschaftsjournalist Peter Welchering erklärt.
Ralf Krauter: Ist die App das IT-Vorzeigemodell aus deutschen Landen, als das sie jetzt herumgereicht wird, Peter Welchering?
Peter Welchering: Die Corona-Warn-App kann einige Erfolge für sich verbuchen. Das ist gar keine Frage. Dass der Chaos Computer Club bei der Vorstellung der App keine Kritik geübt hat(*) – also loben wollen die ja ausdrücklich nicht – ist vom Bundesgesundheitsministerium natürlich ein bisschen propagandistisch ausgeschlachtet worden. Aber dahinter steht natürlich auch ein Prozess, und den muss man kritisch bewerten.
Zu sehen sind Hände, die ein Smartphone halten. Auf dem Display wird das rot-blaue Logo der Corona-Warn-App des Bundes angezeigt.
Corona-Tracing-App - So funktioniert die deutsche Corona-Warn-App
Die offizielle Corona-Warn-App der Bundesregierung ist auf dem Markt. Sie soll Nutzer frühzeitig über einen Kontakt zu einem Infizierten informieren und helfen, Infektionsketten zurückzuverfolgen. Experten bewerten die App überwiegend positiv – aber es gibt auch Kritikpunkte. Ein Überblick.
Ralf Krauter: Inwiefern?
Welchering: Der Club hat sich ja sehr stark für die jetzt verwirklichte dezentrale Lösung und für den Open-Source-Prozess eingesetzt. Dass die Community das teilweise gegen die Politik, auf jeden Fall gegen das Ministerium und Teile der Großen Koalition durchgesetzt hat, war ein unglaublicher Erfolg. Und diesen Erfolg wollte man nicht durch Kritik an technischen Details der Corona Warn App gefährden. (*)
Die Zahl der Downloads ist größer als erwartet
Krauter: Da klingt an, dass es im Detail durchaus noch Kritik gibt. Da kommen wir gleich noch drauf. Sprechen wir aber erstmal über die nackten Zahlen: Die sehen doch gar nicht schlecht aus?
Welchering: Ja, die App wurde inzwischen 16 Millionen Mal heruntergeladen. Das ist beachtlich für einen Zeitraum von vier Wochen. Die Zahl der Downloads ist größer als erwartet. Allerdings wissen wir nicht, wieviele Nutzer die App auch tatsächlich auf ihrem Smartphone installiert haben und wieviele Menschen sie jetzt auch aktiv nutzen. Dazu gibt’s keine belastbaren Zahlen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Krauter: Woran liegt das? Das wäre doch wirklich wichtig zu wissen?
Welchering: Die aktiven Nutzer zu erfassen, ist einfach aufwendig. Merlin Chlosta von der Ruhr-Universität hat dazu eine Methode vorgestellt, bei der er die Bluetooth-Aktivitäten der App scannt, mit einem sogenannten Bluetooth-Sniffer. Damit war er im Juni in der Bochumer Innenstadt unterwegs und hat über 1.000 der pseudonymen IDs gescannt, die die Corona-Warn-App aussendet. Um hier valide Zahlen zu bekommen, müsste man das allerdings bundesweit flächendeckend machen. Und der Bluetooth-Schnüffler kann leider auch nicht entscheiden, ob ein Nutzer mehrfach auftaucht bei den ausgesandten IDs. Das müsste man dann noch irgendwie rausrechnen. Also zur wirklichen Nutzung liegen derzeit keine validen Zahlen vor.
Krauter: Vermutlich liegt die Zahl aktiver User dann doch deutlich unter den 16 Millionen, die die App runtergeladen haben. Zumal ja sicher auch mancher – obwohl er die App aktiviert hat - Bluetooth abgeschaltet hat. Und dann ist diese Corona Warn-App ja quasi blind, oder?
Welchering: Wenn Bluetooth ausgeschaltet ist, läuft die App zwar weiter, aber sie kann keine Kontakt-IDs mehr austauschen. Ja, sie ist dann blind.
Infektionsketten schon ab zwölf Millionen Nutzern unterbrechbar
Krauter: Was passiert, wenn ich im Urlaub im Ausland bin? Kann ich die App da auch nutzen?
Welchering: Nein, denn wir haben noch keinen europäischen Standard für den Austausch der Kontakt-IDs. In Sachen Corona-Warn-App kocht gerade jedes Land sein eigenes Süppchen. Da sind wir nicht kompatibel.
Krauter: Wie stehen die Chancen, dass die deutsche Corona-Warn-App künftig europaweit zum Einsatz kommen könnte?
Welchering: Schlecht. Denn im Augenblick schafft es die EU ja nicht einmal, sich auf Standards für den Austausch von Kontakt-IDs zu einigen. Corona-Apps scheinen da mitunter mit Fragen des nationalen Selbstwertgefühls verbunden zu sein. Das macht‘s schwierig und hat ja auch dazu geführt, dass die schon sehr früh verfügbare Rot-Kreuz-App eben nicht europaweit eingesetzt wurde.
Labors und Gesundheitsämter sind an App-Infrastruktur oft nicht angeschlossen
Krauter: Wieviele aktive Nutzer der Corona-Warn-App bräuchten wir in Deutschland, damit sie ihre Frühwarn-Funktion erfüllen kann? Am Anfang war ja mal von 50 Millionen die Rede. Ist das immer noch die Messlatte?
Welchering: Diese Zahl geht auf eine Modellrechnung von Forschern der Universität Oxford zurück, wonach rund 60 Prozent der Bevölkerung die App nutzen müssten, damit sie wirklich was bringt. Die Forscher selbst erklärten allerdings, dass diese Simulation gemacht wurde, als man in Großbritannien noch das Ziel der Herdenimmunität verfolgte und deshalb nur minimale Infektionsschutzmaßnahmen vorgesehen hatte. An der Studie mitgearbeitet hat die Immunologin Lucie Abeler-Dörner. Und die hat eben auch noch einmal ausgeführt, dass Infektionsketten schon dann effektiv unterbrochen werden könnten, wenn nur 15 Prozent der Bevölkerung die Warn-App nutzen würden, also zwölf Millionen Deutsche. Von den Downloads her ist diese Zahl schon überschritten.
Krauter: Wieviele App-Anwender haben denn über die App bereits eine Infektionswarnung an ihre Kontakte gesandt, nachdem sie positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden?
Welchering: Laut Robert Koch-Institut sind von den Labors und Gesundheitsämtern bislang 500 Transaktionsnummern vergeben worden. Diese TAN braucht man ja, damit man – nach einem positiven Coronatest - über den RKI-Server eine Warnmeldung an alle App-Nutzer senden kann, denen man in den vergangenen Tagen nahe gekommen ist. Was das RKI allerdings nicht weiß, ist, ob alle Empfänger solch einer TAN dann auch tatsächlich eine Warnmeldung abgeschickt haben. Die Zahl der verschickten TANs ist also kein verlässliches Maß für den Erfolg der App.
Das andere Problem, mit dieser TAN ist: Die Labors und Gesundheitsämter sind an die App-Infrastruktur zum großen Teil nicht angeschlossen. Da werden Testergebnisse noch fröhlich gefaxt und von Hand eingetippt, so dass zwischen einem positiven Laborbefund und einer Warn-Meldung über die App schnell mal Tage vergehen. Um effizient zu sein, müsste das natürlich alles automatisch gehen – aber diese Anschlussarbeiten, die dauern noch.
Einige hartnäckige Fehlermeldungen und Absturzursachen
Krauter: Die Fehlerbeseitigung dagegen lief ja schneller. Einige Bugs wurden schon ausgemerzt. Ist man damit jetzt durch?
Welchering: Nein, einige Fehlermeldungen und Absturzursachen scheinen da sehr hartnäckig zu sein. Abstürze mit der berühmten Fehlermeldung "Ursache9002", die nehmen auf Android-Geräten sogar zu. Bei der Suche nach der Ursache tappen die Entwickler noch im Dunklen. Ebenso bei Kommunikationsfehlern mit der Google-API, also der Programmierschnittstelle für Android-Smartphones. Bei den iPhones sind Fehlermeldungen unausrottbar wie "zu wenig Speicherplatz", und die berühmten Domain-Fehler 5,11 und 13. Da weiß man auch noch nicht so genau, was dahintersteckt. Ignorieren sollten Anwender die Fehlermeldung, dass die App in der Region nicht unterstützt würde. Die App würde trotzdem weiterlaufen, versichern die Entwickler da. Das scheinen überwiegend Fehler der Betriebssysteme zu sein und Fehler der Bluetooth-Schnittstellen bei Apple und Google. Die beiden IT-Unternehmen versichern, sie arbeiten daran.
Krauter: Die App läuft ja nur auf neueren Smartphones. Telekom-Chef Timotheus Höttges hat da aber bei der Einführung der Corona-Warn-App bereits Abhilfe versprochen. Ist die schon in Sicht?
Welchering: Nein. Das Problem ist die Bluetooth-Schnittstelle, die die App nutzt. Die muss eben entsprechend ins Betriebssystem integriert sein. Deshalb funktioniert die App beim iPhone ab Betriebssystem iOS13.5, bei Android ab Version 6. Smartphones mit älteren Betriebssystemen können die App nicht nutzen – und daran wird sich künftig wohl auch nichts ändern.
(*) Hier haben wir eine Präzisierung vorgenommen