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Zwist mit der Türkei
"Gerade Deutschland muss Acht geben"

Der österreichische Europa-Politiker Hannes Swoboda warnte im Dlf vor einer Eskalation der Türkei-Krise und deutschen Alleingängen - denn Italien, Spanien oder nordische Länder könnten das anders sehen. Es müsse eine gemeinsame EU-Position vertreten werden, die zu einer demokratisch regierten Türkei stehe.

Hannes Swoboda im Gespräch mit Silvia Engels | 21.07.2017
    Der österreichische Politiker Hannes Swoboda
    Der österreichische Europa-Politiker Hannes Swoboda mahnt zu einem pragmatischen Umgang mit der Türkei. Die EU müsse Geduld haben und "mit einer Stimme sprechen". (Imago/ Hendrik Rauch)
    "!Silvia Engels:!! Hannes Swoboda war von 1996 bis 2014 österreichischer EU-Parlamentarier für die SPÖ. Einige Jahre war er auch Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament. Lange Jahre galt er als einer der einflussreichsten österreichischen Europapolitiker und er hat sich lange für einen moderaten Kurs gegenüber der Türkei eingesetzt. Guten Tag, Herr Swoboda!
    Hannes Swoboda: Schönen guten Tag.
    Engels: Wie sehen Sie die jüngste Kursverschärfung der deutschen Außenpolitik gegenüber der Türkei?
    Swoboda: Ich habe leider, muss ich sagen, ein gewisses Verständnis dafür, weil die Türkei so unvorhergesehen und so irrational agiert, nach dem Putsch, dass es immer schwieriger wird, einen moderaten, vernünftigen, pragmatischen Kurs mit der Türkei zu führen. Deshalb kommt es für mich nicht ganz überraschend. Wir müssen dennoch versuchen, die Türkei nicht mit Präsident Erdogan gleichzusetzen, aber es wird einem immer schwieriger gemacht.
    "Als naiv belächelt, dass man sich zu viel gefallen lässt"
    Engels: Wird denn diese Linie der härteren Worte in Ankara Erfolg haben nach Ihrer Erfahrung mit der Türkei?
    Swoboda: Momentan weiß man überhaupt nicht, was Erfolg haben wird. Ich sehe das mehr auch innenpolitisch. Alle diejenigen, die so wie ich selbst auch immer wieder argumentieren, wir müssen geduldig sein, wir müssen mit der Türkei weiter freundschaftlich und pragmatisch umgehen, die werden in der eigenen Bevölkerung, zumindest in jenem Teil, der jetzt nicht türkischsprechend ist, einfach als naiv belächelt, dass man sich zu viel gefallen lässt, dass man von Erdogan an der Nase herumgeführt wird, und das führt dann zu solchen Reaktionen, wie sie jüngst der deutsche Außenminister auch zum Ausdruck gebracht hat.
    "Nicht die Brücken abbrechen, insbesondere zur Bevölkerung"
    Engels: Der deutsche Außenminister hat hier die bilateralen Beziehungen zur Türkei nun wirklich etwas verändert. Was hat das für Folgen für das europäische Verhältnis? Denn immerhin hat SPD-Chef Gabriel ja auch gesagt, die EU-Finanzhilfen sollten überdacht werden. Hier geht es um die sogenannten Vorfeldhilfen, die der Türkei als Beitrittskandidat zustehen. Sollte man die streichen?
    Swoboda: Da muss man sehr vorsichtig sein, weil es geht ja nicht darum, dass jetzt die Regierung oder Herr Erdogan unterstützt wird, sondern diese finanziellen Mittel gelten ja der Bevölkerung. Sie soll ermutigt werden und ermächtigt werden, Demokratie walten zu lassen, sich wirtschaftlich entsprechend zu betätigen. Das gilt insbesondere natürlich für die Mittel, die im Osten der Türkei, aber auch in den kurdischen Gebieten verwendet werden.
    Allerdings muss klargestellt werden, dass diese Mittel wirklich der Bevölkerung zugutekommen, dass auch die Ziele, die europäisch damit verfolgt werden, Offenheit, Demokratie, Wohlstand für alle, auch mit diesen Mitteln verwendet und umgesetzt werden. Das ist ganz entscheidend. Insofern kann man es überdenken, aber man sollte nicht die Brücken abbrechen, insbesondere zur Bevölkerung.
    "Viele Länder haben wenig Probleme mit der Türkei"
    Engels: Ist es also klug von der deutschen Bundesregierung, hier so vorzupreschen und sich nicht vorher mit der EU gerade in den Finanzfragen abzustimmen?
    Swoboda: Das würde ich ähnlich sehen, wie Sie das jetzt zum Ausdruck gebracht haben. Man muss von vornherein ja immer bei der Türkei mit berücksichtigen, dass viele Länder ein ganz anderes Verhältnis zur Türkei haben. Sie haben wenig Probleme mit der Türkei. Sie haben eine geringe türkisch sprechende Bevölkerung. Da muss man sehr vorsichtig sein. Ich glaube, dass man mit der Kommission, auch mit dem Europäischen Parlament diese Dinge abstimmen sollte, um nicht dann im Regen stehen gelassen zu werden.
    Engels: Das heißt, das könnte der deutschen Bundesregierung durchaus passieren, dass sie alleine mit ihrer Verschärfung des Türkei-Kurses im Regen stehen bleibt?
    Swoboda: Nicht ganz alleine. Sie wird sicherlich Österreich auch an ihrer Seite haben und eventuell auch die Niederlande. Aber es kann sein, dass andere Länder – ich denke an Italien, an Spanien, zum Teil nordische Länder – das ganz anders sehen. Jedenfalls ich glaube, es geht nicht darum zu sagen, was man nicht will. Man sollte klar herüberbringen, was man will. Man will die Türkei als Partner haben, man will verhindern, dass jetzt die Sache noch weiter abrückt in undemokratisches Verhalten, in die Einführung der Todesstrafe, und da sollte Europa insgesamt mit einer Zunge sprechen. Das wäre absolut wichtig und da muss gerade Deutschland darauf Acht geben, dass es eine gemeinsame europäische Position vertritt.
    "Eine gemeinsame europäische Position erarbeiten"
    Engels: Könnte es kontraproduktiv sein, dass ausgerechnet Berlin vorprescht, dem ja in Europa ohnehin schon öfter der Vorwurf des Alleingangs gemacht wird?
    Swoboda: Aber andererseits muss man wieder sagen, dass viele ja meinen, dass Merkel und Gabriel zu freundlich mit der Türkei umgehen und dass natürlich vor allem die Türkei insbesondere gegenüber Berlin und Deutschland sehr unfreundliche Haltungen gesetzt hat. Ich glaube, insgesamt würde ich das nicht so dramatisch sehen, aber jetzt geht es sicherlich darum, dass nicht weiter zuzuspitzen, sondern zu schauen, dass man eine gemeinsame europäische Position erarbeiten kann.
    Türkisches Interesse, Alewiten und Kurden "in den Hintergrund zu drängen"
    Engels: Ein Grund dafür, warum die EU gegenüber der Türkei in den letzten Jahren immer noch relativ gemäßigt aufgetreten ist, liegt ja auch darin begründet, dass es das EU-Flüchtlingsabkommen gibt, mit dem vereinbart ist, dass viele Flüchtlinge aus Syrien nicht mehr nach Europa weiterreisen. Fürchten Sie nun, dass Ankara das kündigt?
    Swoboda: Ich glaube nicht, dass Ankara das kündigt. Ankara hat ja durchaus noch Interesse, die Flüchtlinge zu integrieren, nicht immer mit guten Absichten, wenn ich daran denke, dass man auch überlegt, die syrischen sunnitischen Flüchtlinge zu haben, um die Alewiten und die Kurden etwas in den Hintergrund zu drängen. Ich glaube nicht, dass Ankara so schnell dieses Abkommen kündigen wird. Ich glaube allerdings, dass man mit Ankara weiter zusammenarbeiten muss, um an einer friedlichen Lösung in der Syrien-Frage zu arbeiten. Ich glaube, das ist entscheidend, dass man hier eine Lösung bekommt. Dann erübrigt sich auch die Angst vor der Kündigung des Flüchtlingsabkommens, wenn wir hier zu Stabilität und zu gewissen ersten Friedenslösungen in Syrien selber kommen können.
    "Es bedarf beider Seiten"
    Engels: Das heißt, österreichische Position ist es, weil man ja auch selbst sehr nahe an der Balkan-Route liegt, dass Deutschland früher oder später wieder deeskalieren sollte?
    Swoboda: Ich glaube, das wäre das österreichische Interesse, das auch unser Außenminister nicht immer so zum Ausdruck bringt. Aber ich glaube, insgesamt haben die Österreicher(innen) ein Interesse daran, dass das Flüchtlingsabkommen hält. Ich glaube, dass man auch wieder zu einer pragmatischeren Haltung kommen muss. Aber es bedarf beider Seiten und man muss Präsident Erdogan auch sagen, wir können nicht einfach dulden, dass wir immer nur feindlich sind, immer nur auf Kooperation aus sind und von der Türkei immer nur Kritik an der EU kommt, mit der Einführung der Todesstrafe gedroht wird und dass man nicht daran arbeitet, von der türkischen Seite aus auch das Verhältnis zu den europäischen Ländern zu entspannen.
    "Wir sind auf der Seite der Türkei insgesamt. Aber die muss demokratisch regiert werden"
    Engels: Haben Sie zum Schluss noch einen konkreten Vorschlag? Wie kommen beide Seiten von der Palme wieder runter?
    Swoboda: Ich glaube, es gibt Wahlen in Deutschland, es gibt Wahlen in Österreich, und dann sollten gerade beide Länder versuchen, mit der Türkei wieder zu einem pragmatischen Verhältnis zu kommen, zum Beispiel darüber reden, wie die Verfassungsreform umgesetzt wird, wie wieder doch mehr demokratische Elemente eingeführt werden können. Parallel dazu allerdings noch einmal ganz klarstellen, dass wir froh sind, dass der Putsch, den es wirklich gegeben hat, dass der Putsch nicht gelungen ist, und auch ganz klar machen, dass wir die Gülen-Bewegung sehr kritisch sehen. Deswegen kann man nicht alle und jene, die irgendwie mit der Gülen-Bewegung in Kontakt waren, verurteilen und ins Gefängnis stecken. Aber Europa insgesamt muss klar sagen, wir sind nicht auf der Seite der Gülen-Bewegung, wir sind nicht auf der Seite der PKK, wir sind auf der Seite der Türkei insgesamt. Aber die muss auch demokratisch regiert werden.
    Engels: Hannes Swoboda, er war lange Jahre österreichischer EU-Parlamentarier für die SPÖ und auch Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament. Vielen Dank für das Gespräch.
    Swoboda: Bitte! Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.