Donnerstag, 28. März 2024

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Zwitschern in der Vorlesung

An der Uni Trier können Studenten während der Vorlesung über ihr Laptop oder Smartphone Fragen an ihren Professor Hans-Jürgen Bucher richten, die dann auf einer "Twitter-Wall" für alle sichtbar angezeigt werden. Bucher sieht darin ein Demokratisierungselement, weil die Zuhörer sich jederzeit ungefiltert einbringen können.

Hans-Jürgen Bucher im Gespräch mit Kate Maleike | 03.01.2012
    Kate Maleike: Angefangen hat eigentlich alles mit einem Forschungsprojekt zum Thema "Interactive Science". Medienwissenschaftler der Uni Trier wollten nämlich herausfinden, wie Wissenschaftler modern kommunizieren und wie sie die neuen digitalen Kommunikationstechniken auch für den Hochschulbetrieb beziehungsweise die Vermittlung von Wissenschaft nutzen können. Als ein praktisches Ergebnis können die Studierenden nun in der Vorlesung twittern. Sprich: Sie haben die Möglichkeit, Fragen oder Anregungen über ihren Laptop oder das Smartphone direkt an den Professor einzubringen. Und dieser Professor heißt Hans-Jürgen Bucher und ist nun am Telefon. Guten Tag, Herr Bucher!

    Hans-Jürgen Bucher: Guten Tag, Frau Maleike!

    Maleike: Wie muss man sich das jetzt praktisch vorstellen? Sie bekommen von Ihren Studierenden die Rückmeldung über die Tweets, sprich über die einzelnen Nachrichten, aber nicht auf Ihren Laptop oder auf Ihr Telefon, sondern auf einen parallelen Bildschirm.

    Bucher: Ganz genau, es ist so, wie Sie es beschrieben haben. Es gibt zwei Präsentationsflächen in der Vorlesung: Die eine ist die übliche, auf der ich meine PowerPoint-Folien zeige oder auch die entsprechenden Medienausschnitte, Filmbeispiele und so weiter. Und es gibt eine zweite Wand, die etwas schräg gestellt ist, sodass ich sie gut sehen kann, auf der dann die einlaufenden Tweets entsprechend zu sehen sind und die ich dann natürlich im Auge behalten muss.

    Maleike: Wie sind denn bisher die Erfahrungen?

    Bucher: Wir machen das jetzt schon über zwei Jahre, und wenn die Erfahrungen ganz schlecht wären, hätten wir es vermutlich auch nicht wiederholt. Der Grundgedanke war ja eigentlich der, dass wir das alte Format der Vorlesung dialogisch aufbrechen wollten. Die Vorlesung ist ja ein klassisches Format des 19. Jahrhunderts, und medial hat sich in der Zwischenzeit ja doch einiges getan. Und natürlich kann man sich in meiner Vorlesung immer auch noch per Handzeichen zu Wort melden, aber die "Twitter-Wall" eröffnet doch die Möglichkeit, viel spontaner zu reagieren, und es eröffnet auch die Möglichkeit, gewissermaßen zeitgenau sich zu dem Punkt dann auch zu melden, zu dem eben eventuell ein bestimmtes Problem aufgetreten ist. Und darin sehe ich auch einen ganz wichtigen Punkt oder einen Vorteil für diese "Twitter-Wall": dass sie mir eine fast Just-in-time-Rückmeldung ermöglicht und natürlich auch den etwas schüchterneren Studierenden die Möglichkeit eröffnet, sich zu Wort zu melden.

    Maleike: Würden Sie also sagen, Ihre Vorlesungen haben sich verbessert durch Twitter?

    Bucher: Das glaube ich, dass man das sagen kann. Natürlich ist der entscheidende Punkt für die Verbesserung der Vorlesung ja immer die Qualität der Wissensvermittlung - da wir keine Messungen vorher und nachher gemacht haben, kann man das so natürlich nicht sagen. Aber ich glaube auf jeden Fall, dass es gelungen ist, die Vorlesung in ein dialogischeres Format zu überführen, als das eben bislang der Fall war. Und in der Regel gibt es ja keine Feedback-Möglichkeit, es sei denn, man stützt sich auf seine eigenen Beobachtungen - dass man sieht, wenn Leute wegdämmern, wenn kaum noch jemand aufpasst und so weiter. Aber die "Twitter-Wall" ist doch eine viel direktere Form der Rückmeldung, und von daher möchte ich es eigentlich nicht mehr missen.

    Maleike: Was sagen denn Ihre Studierenden dazu?

    Bucher: Es gab einmal eine kritische Rückmeldung, die aber eigentlich eher auf einem Missverständnis beruhte, nämlich auf dem Missverständnis, dass man sich nicht mehr per Handzeichen und mündlich zu Wort melden müsste. Es wurde auch dann in dem Zusammenhang die Anonymisierung der Wortmeldungen bemängelt. Aber letztendlich finden es alle sehr gut, und vor allen Dingen, dass es eben auch drei Kanäle sind, auf denen sie sich melden können. Es ist ja nicht nur der Laptop, mit dem sie entweder den Twitter-Account der Vorlesung direkt aufrufen können oder über ein Eingabeformular auf der Homepage des Faches sich artikulieren können, sondern es geht auch eben, wie Sie es schon mal gesagt haben, über das Handy, über SMS. Und da muss man, glaube ich, auch noch mal dran denken, dass vor zwei Jahren natürlich die wenigsten der Studierenden über ein Smartphone verfügt haben, sodass wir eigentlich auch über das SMS-Format technologisch etwas ganz Neues eingeführt hatten damals.

    Maleike: Das ist also keine Idee nur zum Spaß gewesen, sondern wissenschaftlich sehr ernst gemeint?

    Bucher: Ja, also der ernsthafte Gedanke war ja der, mit diesem Projekt "Interactive Science" auch zu untersuchen, inwiefern Wissenschaftskommunikation mit den digitalen Medien demokratischer gestaltet werden kann, denn eine Vorlesung ist ja zunächst mal eine relativ deutliche Machtposition, die der Vorlesende hat. Er dominiert anderthalb Stunden lang das Geschehen, das kommunikative Geschehen, und mit der Twitter-Wall findet ja eine, wenn man so will, Machtverteilung statt, dass plötzlich eben auch die Zuhörer sich zu jedem Zeitpunkt und nicht nur, wenn der Vortragende sie aufruft, sich artikulieren können. Und der entscheidende Punkt ist ja, alle können es sehen. Wenn einer die Hand hebt und nichts sagen kann, dann ist es zunächst mal eigentlich eine relativ hilflose Position, in der er sich befindet. Aber in dem Moment, wo die Äußerung eben an der Twitter-Wall erscheint, sehen alle, dass jetzt ein Problem vorliegt, und alle sehen natürlich auch, dass jetzt der Vortragende darauf einzugehen hat. Und von daher sehe ich schon auch ein Demokratisierungselement in dieser Verwendung von Twitter als Feedback-Kanal. Die Demokratisierung besteht natürlich auch darin, dass auch ein Moment der Unkontrollierbarkeit in die Veranstaltung kommt, denn natürlich kann man provokante Fragen stellen, man kann den Vortragenden infrage stellen, und all diese Dinge sind natürlich auch schon passiert.

    Maleike: Zwitschern und SMS in der Vorlesung - in der Medienwissenschaft an der Uni Trier ist das gern gesehen und sogar gewollt. Professor Hans-Jürgen Bucher war das, vielen Dank für das Gespräch!

    Bucher: Ich danke Ihnen ebenfalls!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.