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Zypries gegen Schnellschuss bei Online-Durchsuchungen

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries sieht von einer rechtlichen Regelung so genannter Online-Durchsuchungen juristische Grundsatzfragen berührt. Die SPD-Politikerin schloss nicht aus, dass wegen des Gebots der Unverletzbarkeit des Wohnraums gar das Grundgesetz für die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) angestrebte Erweiterung polizeilicher Fahndungsmethoden geändert werden müsste.

Moderation: Silvia Engels | 13.02.2007
    Silvia Engels: Gestern war ein Tag, an dem für manchen die Erinnerung an den Terror früherer Zeiten wieder wach wurde. Sie haben es auch in unseren Pressestimmen gehört. Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Stuttgart wird die ehemalige RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt Ende März freikommen. Sie war 1985 zu fünfmal lebenslänglich und zusätzlich 15 Jahren Haft verurteilt worden. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries ließ gestern erklären, sie kommentiere eine solche Entscheidung eines unabhängigen Gerichtes grundsätzlich nicht. Das respektieren wir. Die "Bild"-Zeitung und andere Medien nehmen heute den Fall Mohnhaupt allerdings zum Anlass zu einer grundsätzlicheren Diskussion. Hier geht es um das generelle Strafmaß lebenslänglich.

    Am Telefon ist die Bundesjustizministerin. Guten Morgen, Frau Zypries!

    Brigitte Zypries: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Frau Zypries, sollten Fälle denkbar sein, in denen lebenslänglich auch Haft bis zum Tode bedeutet?

    Zypries: Das widerspräche der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von 1977. Danach muss grundsätzlich jeder, der zu lebenslanger Haft verurteilt ist, eine Perspektive auf ein Leben in Freiheit haben. Das gilt dann auch für diejenigen, bei denen die Schwere der Schuld so hoch wiegt, dass sie dann doch sehr lange sitzen. Denn 26 Jahre ist ja doch eine sehr lange Zeit.

    Engels: Also besteht hier kein Handlungsbedarf, die juristische Grundlage für die Länge von Haftstrafen zu verändern, sondern man solle das bei der Kompetenz der Gerichte lassen?

    Zypries: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, und das heißt, die Verfassung gebietet es. Wenn man es ändern wolle, müsse man da rangehen und dies regeln. Ich glaube nicht, dass das irgendjemand will. Ich persönlich glaube, dass diese Entscheidung aus Karlsruhe sehr nachvollziehbar ist und einem humanen Rechtsstaat entspricht.

    Engels: Kommen wir zu unserem eigentlichen Thema, der Terrorgefahr von heute. In Berlin beginnt heute der europäische Polizeikongress. Er befasst sich mit europäischen Konzepten und auch Technologien, die möglich sind im Kampf, um Terrorpläne aufzuklären. Im Zentrum dabei steht der islamistisch motivierte Terrorismus. Wo sehen Sie derzeit auch für Deutschland, auch für Europa die größten Gesetzeslücken?

    Zypries: Ich glaube nicht, dass wir über sehr viele Gesetzeslücken zu klagen haben. Ich meine, dass die Rechtsgrundlagen in jedem einzelnen europäischen Staat auch gut sind. Ich glaube, dass wir stärker dazu übergehen müssen, die verschiedenen Länder miteinander zu vernetzen und sicherzustellen, dass die Informationen, die in einem Land sind, auch im anderen Land verfügbar sind. Daran hapert es oft noch.

    Engels: Wir hatten ja gerade vergangene Woche eine Entscheidung in Deutschland, die Schlagzeilen machte. Der Bundesgerichtshof hat die heimliche Online-Durchsuchung von Computern Verdächtiger untersagt, da die rechtliche Grundlage fehle. Bundesinnenminister Schäuble will nun ein solches Gesetzesvorhaben. Was planen Sie dazu im Justizministerium?

    Zypries: Wir sind im Moment dabei, dieses Thema zu diskutieren, denn ganz so trivial, wie sich das im ersten Moment anhört, ist es nicht. Einfach zu sagen, wir machen jetzt dafür ein Gesetz, scheint mir ein bisschen zu schnell geschossen zu sein, wenn man bedenkt, dass wir ja doch seit 130 Jahren den Grundsatz in Deutschland haben, dass Durchsuchungen von Wohnungen immer öffentlich sind. Das heißt, wenn heute Wohnungen durchsucht werden, ist derjenige dabei, der Wohnungsinhaber oder eine Person seines Vertrauens oder eine andere staatliche Stelle. Wenn wir jetzt dazu übergehen wollen und wollen sagen, Teile von Wohnungen dürfen heimlich durchsucht werden, dann müssen wir uns mit diesem ganzen Grundsatz auseinandersetzen, so meine ich wenigstens, und müssen überlegen, ob es das rechtfertigt. Das scheint mir nicht einfach zu sein.

    Engels: Müsste man dafür das Grundgesetz ändern?

    Zypries: Darüber streiten die Experten gerade noch. Es gibt Rechtswissenschaftler die sagen, es ist "nur", in Anführungszeichen, ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ein sehr schwerer Eingriff, der hohen Hürden der Verhältnismäßigkeit unterliegen muss. Es gibt andere, die sagen, es ist in der Tat ein Eingriff in Artikel 13, sowie der PC in der Wohnung steht, und das würde er ja in der ganz, ganz überwiegenden Anzahl der Fälle tun.

    Engels: In diesem Artikel ist der Wohnraum besonders geschützt.

    Zypries: In Artikel 13?

    Engels: Genau.

    Zypries: Ja. - Dann muss er sich auch darauf verlassen können, dass das, was in seiner Wohnung ist, diesem Schutz von Artikel 13 unterfällt. Das finde ich, hat ja doch eine Menge für sich. Wenn der PC in der Wohnung steht, ist es ja doch gar keine Frage, dass es in der Wohnung ist. Dann könnte man allenfalls noch problematisieren, dass ja nur in einem Teil der Wohnung durchsucht wird. Wenn der Laptop draußen ist, außerhalb der Wohnung, hat man natürlich aber auch das Gefühl, darauf sind jetzt meine geschützten Daten, und ich will sie nicht stehen lassen.

    Engels: Das klingt ein bisschen so, als ob Sie nicht so recht an dieses Gesetzesvorhaben glauben, dass das möglich ist?

    Zypries: Ich sage mal so: Ich sehe es wirklich als sehr schwierig an. Ich will damit nicht ausschließen, dass wir nicht doch noch zu einem Ergebnis kommen. Ich will nur sagen, dass es mir ein grundsätzliches Problem zu sein scheint, was wir auch sorgfältig diskutieren sollten und wo wir jetzt nicht sagen müssen, da müssen wir übermorgen ein Gesetz machen. Das scheint mir ein bisschen zu schnell geschossen, wie gesagt.

    Engels: Eine zusätzliche Hürde könnte ja sein, dass diese heimliche Online-Durchsuchung vor allen Dingen auch zur Aufspürung von Terrorplänen eingesetzt werden soll. Das wäre dann darüber hinaus auch noch präventiv. Ist das überhaupt möglich?

    Zypries: Das kann man sich natürlich vorstellen, wenn man sagt, dass es generell geht, dass es dann auch präventiv gehen könnte. Man kann sich auch vorstellen, dass unterschiedliche Rechtsgrundlagen für unterschiedliche staatliche Behörden bestehen, dass für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst vielleicht andere Rechtsgrundlagen gelten als für die normale Polizei. Das mag sein, aber ich denke, sicherlich wird man immer einen Beschluss des Richters brauchen, daran habe ich gar keinen Zweifel, der wirklich dann auch festlegt hier gibt es schon mal einen Anfangsverdacht.

    Engels: Frau Zypries, noch zu einem anderen Thema. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet heute darüber, ob heimlich vorgenommene Vaterschaftstests als Beweismittel vor Gericht zulässig sind. Sie waren früher eine scharfe Kritikerin. Heute sprachen Sie in der mündlichen Verhandlung auch noch dafür, am absoluten Verwertungsverbot dieser Tests festzuhalten. Warum?

    Zypries: Ich meine nicht, dass man in irgendeiner Form sanktionieren darf, dass eine Person von einer anderen heimlich Genmaterial nimmt und untersuchen lässt. Das verbieten wir überall. Das ist im Arbeitsverhältnis verboten, das ist bei der Begründung von Versicherungsverträgen verboten. Und ich kann nicht erkennen, warum wir es, nur weil jemand an seiner Vaterschaft zweifelt, anders handhaben sollten. Der Grundsatz, meine ich, muss gelten, so etwas darf nicht heimlich gemacht werden. Dazu sind die genetischen Daten anderer Personen viel zu sensibel.

    Engels: Und die Rechte der Väter müssen da zurückstehen Ihrer Einschätzung nach?

    Zypries: Nein, das meine ich keineswegs. Ich habe ja auch in der mündlichen Verhandlung schon gesagt, dass wir daran arbeiten, eine vereinfachte Vaterschaftsfeststellung zu machen, dass wir vor allen Dingen nicht gleich auf die Anfechtung gehen wollen, so wie es im Moment ist, sondern dass wir mit dem Gesetz darauf reagieren wollen, dass ungefähr 80 Prozent aller heimlichen Vaterschaftstests doch zu dem Ergebnis kommen, der Vater ist der Vater. Das heißt also, wir müssen im Grunde den vielen zweifelnden Männern eine Gelegenheit geben, das zu überprüfen und zwar so zu überprüfen, dass es für den Familienfrieden nicht schädlich ist. Das ist unser Ziel; daran arbeiten wir. Wir haben nur gesagt, wir warten jetzt erst einmal die Entscheidung aus Karlsruhe ab und verarbeiten die mit.

    Engels: Vielen Dank. Das war Brigitte Zypries, die Bundesjustizministerin. Ich bedanke mich für das Gespräch.