Dresdner Philharmonie in der Pandemie

Einzelkonzerte gegen den Coronablues

43:49 Minuten
Der Musiker Ulf Prelle und seine Zuhörerin beim Einszueins-Konzert
Musiker Ulf Prelle und seine Zuhörerin beim Einszueins Konzert © Anna Lila May
Von Anna Lila May · 05.02.2021
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Ein exklusives Konzert für eine Person, das ist eine intensive Erfahrung. Der oder die Zuhörende geht nicht unter in der schieren Masse des Publikums, sondern sitzt Auge in Auge mit der oder dem Musizierenden. „1:1 Concerts“ nennt sich das Konzept, das die Dresdner Philharmoniker zur Überbrückung der kulturarmen Corona-Zeit ausprobiert haben.
An besonderen Orten wie dem Rathaus, einer Geigenbauer-Werkstatt, der Frauenkirche oder einer Galerie finden die 10-minütigen Begegnungen statt. Es wird nicht geredet, nur geschaut und gehört. Was löst diese, für beide Seiten ungewohnte, Begegnung aus?

Besondere Konzert-Orte erhöhen den Reiz

Bevor Mikrokosmos-Autorin Anna Lila May das selbst erfahren darf besucht sie die Philharmoniker im Dresdner Kulturpalast, der Heimspielstätte des Orchesters. Hier finden gerade Proben für die anschließende CD-Aufnahme statt. Menschenleere Sitzreihen, leergefegte Gänge und Stille dominieren den großen Konzertsaal bis der Dirigent Marek Jarnowski die Bühne betritt und das Orchester zu spielen beginnt. Der Alltag für die Musiker hat sich durch die Pandemie stark verändert; die Motivation zu spielen ist aber vielleicht noch größer als zuvor. Die Lockdown-Zeit hat alle vor neue Herausforderungen gestellt und die Musiker und Musikerinnen vermissen das Auftreten sehr. Umso aufregender, dass die Einzelkonzerte es ermöglichen, mal wieder in Kontakt mit dem Publikum zu treten, findet der Violonist Daniel Thiele, der das "eine Erhöhung der Besonderheit des Musizierens" nennt.
Die Dresdner Philharmoniker bei der Probe
Die Dresdner Philharmoniker bei der Probe© Anna Lila May
Während seine Kollegen im Musikerfoyer bei Kaffee und Obst die Pause zwischen Probe und CD-Aufnahme verbringen, schwärmt Daniel Thiele von den Einszueins-Konzerten. Das Besondere sei, dass sie an eher ungewöhnlichen Orten stattfinden, erzählt er: "In der Beleuchterbrücke kann man einen Blick in den Saal hinunterwerfen, da guckt man quasi aus der Dachluke in den Saal hinein. Oder beim Geigenbauer, wo die Instrumente eigentlich nur vorbereitet werden auf den Klang. Das sind vielfältige Erfahrungen, die sind für beide Seiten spannend, deswegen machen auch so viele Musiker gerne und wiederholt mit."

Zwischen Werkbank und Hobelspänen

In der Geigenbauwerkstatt geht es dann auch weiter. Andreas Thümmler ist der Gastgeber des Abends. Von Anfang an war der Geigenbauer von der Idee begeistert und stellte einen Raum seiner Dresdner Werkstatt zur Verfügung. Bevor die heutige Zuhörerin eintrifft, werden noch die letzten Hobelspäne des Arbeitsstages beseitigt und der Holzkorpus einer Violine von der Werkbank in den Koffer zurückgelegt.
Im Nebenzimmer spielt sich bereits der Cellist Ulf Prelle ein. Der Musiker erzählt, dass der Konzertabend für ihn schon mit dem Säubern des Instrumentes zu Hause begonnen hat: "Und jetzt auf dem Weg – ich bin mit dem Bus gekommen – da bin ich innerlich das Stück nochmal durchgegangen. Es ist mir wichtig, dass alles schön parat ist. Ich möchte mich wirklich wohlfühlen, wenn ich anfange zu spielen. Ich möchte mich ganz auf die Musik und mein Gegenüber konzentrieren können."
Die Geigenbauwerkstatt im Dresdner Stadtteil Strehlen. Zu sehen ist ein Teil des alten und eindrucksvollen Gebäudes sowie der Eingang zur Werkstatt.
Die Geigenbauwerkstatt im Dresdner Stadtteil Strehlen© Anna Lila May

Ideengeberin ist die Performance-Kunst

Die Dresdner Philharmoniker haben sich das Konzept der Einzelkonzerte nicht selbst ausgedacht, sondern haben sich von Kollegen inspirieren lassen, die schon zu Beginn der Pandemie 1:1-Konzerte im thüringischen Ort Volkenroda spielten. Die Idee, sich stumm gegenüber zu sitzen und die Anwesenheit des anderen auf sich wirken zu lassen stammt aber von der Performance-Künstlerin Marina Abramović, die das in ihrer Performance "The Artist is Present" auf die Spitze getrieben hat: 2010 saß sie drei Monate lang, sechs Tage die Woche, sieben Stunden am Tag schweigend auf einem Stuhl und schaute Besucherinnen und Besuchern, die sich ihr gegenübersetzten, tief in die Augen.
In der Geigenwerkstatt werden es nur zehn Minuten sein, aber auch die können es in sich haben, weiß Cellist Ulf Prelle aus der Erfahrung der letzten Einszueins-Konzerte. Nachdem die Zuhörerin Sarah Kogel eingetroffen ist, wird sie kurz von Geigenbauer Thümmler begrüßt und instruiert, dann nimmt sie Platz. Das Setting ist schlicht: Zwei Stühle stehen sich gegenüber, einer für den Musiker Ulf Prelle, der andere für Sarah Kogel. Trotz zwei Metern Abstand entsteht ein intensiver Blickkontakt, ein Moment der Stille und dann beginnt das Konzert.

Eine intensive Begegnung

Nach zehn Minuten Cellospiel ist das Konzert vorbei und es bleibst der Zuhörerin überlassen, ob sie sich schweigend auf den Nachhauseweg macht oder das Gespräch mit dem Musiker sucht – nur Applaus ist nicht gewünscht, um die besondere Atmosphäre nicht zu stören. Auf Nachfrage seiner Zuhörerin erzählt Ulf Prelle, warum er sich für ein Stück von Johann Sebastian Bach entschieden hat: "Bach ist einfach so eine Grundlage für mich. Also diese Einszueins-Konzerte sollen ja auch helfen irgendwo wieder eine Grundlage zu finden. Also so stelle ich mir das jedenfalls vor."
Die Besucherin ist begeistert vom Konzert und der Möglichkeit auch unter Corona-Bedingungen Live-Musik zu erleben: "Weil man dazu motiviert ist, seinen Fokus komplett auf den einen Künstler, das Stück, jeden Ton zu richten, weil es direkt vor einem passiert, der Abstand ist geringer und ja, es gibt weniger Ablenkung."

Ein musikalisches Leben trotz Pandemie

Dass in Zeiten der Pandemie nicht nur Musiker und Musikerinnen neue Wege gehen müssen, sondern auch Rezipientinnen und Rezipienten, dass bekräftigt Susanne Bauer, Professorin für Musiktherapie an der UDK Berlin. Sie rät allen Musikhungrigen sich intellektuell mit ihren Lieblingsstücken auseinanderzusetzen. Dabei sei es egal, ob es sich um Hip-Hop oder Klassik handelt. Jetzt sei eine gute Zeit, sich mit Interpreten, Epochen und Momenten der Musikgeschichte zu beschäftigen: "Es kann ja auch sein, dass man Dinge neu entdeckt, die man vorher gar nicht gewusst hat. Und ich hoffe, dass der Mensch seine Neugier nicht verliert."
An allererste Stelle steht aber der emotionale, direkte Zugang zur Musik, den man beim Spielen eines Instruments erlangt. Aber auch für Menschen, die kein Instrument spielen können hat die Therapeutin einen Tipp: "Man kann mal laut in die Landschaft schreien, um sich zu befreien. Man kann eine Trommel nehmen, in den Wald gehen und sich einfach mal wirklich die Seele aus dem Leib trommeln. Man muss da nur etwas mutig sein."
Die Gefahr, dass sich die Menschen während der Pandemie zu sehr ans Zuhause-Sein gewöhnen und auch dann nicht mehr vom Sofa aufstehen werden, wenn Live-Musik wieder möglich ist, sieht sie hingegen nicht: "Ich glaube alle, die vorher in die Konzerte gegangen sind, werden auf jeden Fall zurückgehen, da bin ich ganz zuversichtlich. Und ich werde auch eine der ersten sein, die da hinströmt."