Figurentheater in Leipzig

Das Universum der Puppen

42:54 Minuten
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Christoph Bochdansky sucht die Verbindung zu einer jenseitigen Welt durch seine Figuren © Manuel Waltz
Von Manuel Waltz · 12.02.2021
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Seine Figuren öffnen ihm das Tor in eine andere Welt, sagt Christoph Bochdansky. Wenn er ihnen Leben einhaucht und sie Geschichten erzählen lässt, führen sie ihn ins Jenseits. Der Veranstaltungsort „Westflügel“ in Leipzig zeigt: Figurentheater ist mehr als die Kinder-Geschichten vom Karsperle.
Auch der "Westflügel" in Leipzig ist von den Corona-Beschränkungen hart getroffen und doch finden im November 2020 noch letzte Proben für ein neues Stück statt. Sein Titel: "Der Reigen. Ein überaus schönes Lied vom Tod". Der österreichische Puppenspieler Christoph Bochdansky ist angereist und hält nun eine groteske Totenmaske mit Zipfelmütze in den Händen. Außerdem stehen auf der Bühne zwei Tänzer und eine Tänzerin, die Musik wird live gespielt von Charlotte Wilde und Stefan Wenzel, zwei Puppenspielern, die zum festen Ensemble des "Westflügel" gehören und Michael Vogel, ebenfalls ein Puppenspieler vom "Westflügel", wartet an der Seite auf seinen Auftritt. Dabei kann von reinem Puppenspiel eigentlich nicht die Rede sein: Es kommen Marionetten zum Einsatz, Apparate und Gegenstände, Skulpturen und Stoffpuppen, Verkleidung und Masken. Mit ihrer Hilfe, werden die Tänzerinnen und Puppenspieler selbst zur Puppe.

Aus Müll entsteht ein individuelles Wesen

Direkt neben der Bühne des Westflügels baut Michael Vogel seine Figuren. In seiner Werkstatt hängen unzählige angefangene und vollendete Figuren von der Decke. Gliedmaßen, Köpfe und Materialien liegen in Regalen und in Kisten oder auf dem riesigen Werktisch. Der Raum ist überbordend voll mit Dingen, die Michael Vogel irgendwann einmal irgendwo gefunden hat – "Müll", wie er selbst sagt, und doch werden daraus vielleicht irgendwann neue Wesen entstehen. Oft arbeitet er mit Sand, den er mit Klebstoff zu einer Art Teig verarbeitet und dann um vorgefertigte Holzgerippe klebt. Dabei versucht Michael Vogel gar nicht, die Materialbeschaffenheit der Figuren zu verbergen, die Zuschauer dürfen ruhig erkennen, aus was eine Puppe besteht.
Michael Vogel in seiner Puppen-Werkstatt. Überall sind Teile von Handpuppen, Werkzeug und Material verteilt. Es gibt kaum einen freien Ort. Alles ist vollgestellt.
Michael Vogel in seiner Puppen-Werkstatt© Manuel Waltz

Jede Figur wird nur einmal eingesetzt

Viele von Michael Vogels Figuren sind lang, hager und feingliedrig. Manche Puppen hängen oder liegen auch jahrelang in der Werkstatt herum, ohne dass sie jemals auf der Bühne eingesetzt werden. So wie die beiden verschränkten Unterarme. An dem einen hängt noch eine Hand, dem anderen fehlt sie. 2001 hat Michael Vogel diese Figur für das Stück "Toccata" gebaut, sie aber nie eingesetzt. Er sagt, dass ihm auch solche Figuren am Herzen liegen: "Aber da muss ich als Puppenbauer auch mit leben, dass es solche Kandidaten gibt, die nie in die Öffentlichkeit kommen." Wenn eine Puppe aber einmal ihren großen Auftritt hatte, dann ist das Theater-Stück ihr Kosmos und sie wird nicht noch einmal in einem anderen Zusammenhang verwendet.

Der perfekte Ort für Spieler und Figuren

So wie Michael Vogels Puppen wirkt auch das Gebäude, in dem sie auftreten: Fragil mit einer morbiden Eleganz. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Gebäude im Westen von Leipzig als Ballhaus gebaut. Wo heute die Bühne ist, wurde damals getanzt, Farbe blättert von den Wänden und doch ist der ehemalige Glanz überall zu erkennen. 1939 erwarb der Ofenrohr-Fabrikant Frölich das Gebäude, baute es um und nutzte es als Lager- und Fabrikhalle. Nach dem Ende der DDR stand das Gebäude erst einmal leer und verkam, bis das Figurenspieler-Duo Michael Vogel und Charlotte Wilde es bei einem Besuch in Leipzig entdeckte, sich dem Haus annahm und es 2003 als internationale Spielstätte für Figurentheater wiedereröffnete. Dass die beiden aus Stuttgart kommen, hat dabei nie ein Problem dargestellt, erzählt Charlotte Wilde: "Ich hatte nie den Eindruck, dass wir nicht willkommen waren mit unserem West-Puppentheater im Osten. Dadurch, dass man sich immer wie aus so einer Nische kämpfend empfindet, ist die Gemeinsamkeit dann doch sehr, sehr groß. Natürlich gibt es Konkurrenz. Aber eigentlich kann und muss man sich immerzu freuen über alle, die gutes Theater in diesem Bereich machen, weil das uns allen letztendlich hilft."
Zwei Puppenspieler hantieren mit schlaksigen Handpuppen. Das Spotlight ist auf sie gerichtet.
Die Proben konnten im Westflügel trotz Pandemie noch stattfinden© Manuel Waltz

Geschichte und Zukunft des Puppenspiels

Dass das Puppenspiel eine lange und starke Tradition in der DDR hatte, erzählt Hans-Jochen Menzel. Er hat als freiberuflicher Puppenspieler in der DDR gearbeitet und ab 2003 die Abteilung Puppenspielkunst an der Ernst-Busch-Schauspielschule geleitet. In der DDR wurde das Figurentheater aber nicht nur vom Staat gefördert und überwacht. Künstler und Publikum schätzten die Kunst auch als Möglichkeit, sich auszutauschen und staatlich unerwünschten Gedanken Raum zu geben: "Die Inhalte wurden ja oft so gut verpackt, dass sie nicht ganz so sichtbar waren in ihrer Aussage. Sodass auch das Puppentheater auf einmal eine wichtige Funktion hatte, von unten kam quasi. Es wurde zuerst gar nicht so sehr wahr genommen von der Obrigkeit als Möglichkeit, sich da anders zu äußern als es von Staats wegen gefordert wurde. Und insofern war das eine Entwicklung, die politisch sozusagen begünstigt wurde."
Vier Schauspieler sind auf der Bühne- Eine Person hält ihren Kopf in einer Guillotine, welche von einer weiteren, maskierten Person mit roter Zipfelmütze bedient wird. Am Boden liegt ein Mann und schaut gespannt dem Spektakel zu. Eine Frau scheint in die Richtung des Geschehens zu laufen, sie ist nur von hinten zu sehen.
Puppentheater ist mehr als harmloses Kaspertheater© Manuel Waltz
Heute beschäftigt Menzel und seine Studierenden auch die Frage, wie digitale Techniken das Figurenspiel erweitern und bereichern können. Der Professor für Puppenspiel sieht in Robotik und Künstliche Intelligenz faszinierende Möglichkeiten, warnt aber auch davor, sich von der Technik verführen zu lassen: "Ich habe einen Roboterarm, der spielt Handpuppe und der spielt perfekt. Und dann habe ich noch eine Stimme, sodass ich gar nicht merke, dass da gar kein Mensch drunter ist: Ich gehe jetzt aus der Handpuppenbühne raus und da drin spielt es weiter. Das wäre ein Effekt. Aber wenn ich es nicht merken würde, wäre es eigentlich egal."