Über das Hörspiel Mandeville.Vaudeville

Ein Blick ins Studio

15:51 Minuten
Der Dichter Jan Wagner erhält den Georg-Büchner-Preis 2017.
Der Dichter Jan Wagner © dpa/picturealliance/Jens Kalaene
Von Hanna Steger · 01.12.2020
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Wenn jemand eine Reise tut, so kann man es hier hören: In dieser Soundcollage sind wir ganz nah dran an der Entstehung des Kopfkinos beim Hörspiel "Mandeville. Vaudeville", der zweiten Zusammenarbeit von Lyriker Jan Wagner, Komponist Sven-Ingo Koch und Regisseur Leonard Koppelmann. Ein Making Of von Hanna Steger.
Atmo Produktion
Leonhard Koppelmann: "Mein Name ist Leonhard Koppelmann und ich bin der Regisseur der Produktion…Titel auch nennen? Mein Name ist Leonhard Koppelmann und ich bin der Regisseur der Produktion Mandeville Vaudeville.
Atmo Produktion
Leonhard Koppelmann: "Das ist ein Stück, das durch alle Produktionsstufen Spaß macht. Es macht Spaß, wenn man es das erste Mal liest. Man entdeckt bei den Schauspielerinnenaufnahmen, dass es noch viel mehr beinhaltet, als was man selber vorher im stillen Kämmerlein gelesen hat. Dann kommt die Musik dazu und das Stück öffnet sich nochmal in eine weitere Dimension, die man vorher nicht kannte. Und in dem Moment, wo alle Dinge zusammenkommen, entdeckt man ein letztes Mal, wie reich und vielfältig der Stoff, die Umsetzung, die Gedankenwelt von Jan Wagner sind. Und dann kann ich auch ein bisschen Fan sein, ein bisschen Liebhaber sein, dass ich an einer Sache, an einer Idee mitwirke, die wunderschön ist und mich sehr zum Denken und zum daran Arbeiten animiert und hoffentlich auch die Hörerinnen und Hörer entsprechend in Welten entführt, in die sie vorher nicht geträumt haben. "
Ausschnitt Hörspiel
Leonhard Koppelmann: "Der Autor Jan Wagner benutzt die Mittel der Sprache, um sich mit den Worten auf eine Weltreise zu begeben und Orte und Situationen zu erreichen, die man wahrscheinlich eben physisch nicht erreichen kann, die Phantasieorte oder imaginierte Orte sind."
Jan Wagner: "Mein Name ist Jan Wagner, ich schreibe vor allem Gedichte und jetzt zum zweiten Mal ein Hörspiel, wobei das immer mit dem Komponisten Sven-Ingo Koch geschehen ist und mit dem Regisseur Leo Koppelmann; und diese Koproduktionen sind für jemanden, der sonst nur allein für sich Gedichte schreibt, was ganz Besonderes."
Atmo Produktion
Jan Wagner: "Mandeville beschreibt im Grunde eine Weltreise, also die Reise durch die damals bekannte oder unbekannte Welt. Und je weiter er reist, desto merkwürdiger wird das und man begegnet sehr vielen Fabelwesen und merkwürdigen Gestalten."
Ausschnitt Hörspiel
Jan Wagner: "Es sind im Grunde Reisen auch durch die Fantasie und durch die Welt, die möglich ist im Kopf. Also man folgt in diesem Hörspiel John Mandeville und seinem Kompagnon, einem Schreiber, auf ihrer Reise über diverse Inseln. Man folgt ihnen dabei, wie sich ihr eigener Weltenraum sozusagen erweitert. Und es ist also von vornherein eine Reise im Kopf und der Schrift gewesen. Deswegen spielt das Stück auch mit der Sprache als Welterkundung, dem Schreiber als schreibender Figur, die sozusagen diese ganze Welt erst entstehen lässt. Und deswegen ist das Ganze auch eine Hommage an die Sprache selbst, die Welten entstehen lässt."
Ausschnitt Hörspiel
Leonhard Koppelmann: "Ich stell es mir so vor: Schreiber und Mandeville reisen in einem Planwagen und stellen Menschen, die an ihren Orten feststecken oder die da nicht wegkommen, Geschichten vor aus der weiten Welt, nehmen sie also quasi auf eine Phantasiereise in ihrer Bühne mit."
Ausschnitt Hörspiel
Leonhard Koppelmann: "Wir haben bei dem Stück eine sehr eigene geräuschliche Annäherung gesucht, auch ein bisschen ausgehend von dem Titel Vaudeville, also eine Theaterform, die sehr händisch, in einer gewissen Weise sogar grob ist; zu sagen, dass dieser Illusionsapparat kein naturalistischer ist, sondern einer, der ganz bei den Machern bleibt."
Atmo Produktion
Leonhard Koppelmann: "Wie die Fantasien im Kopf entstehen, entstehen die Geräusche mit dem Mund oder mit dem, was man mit den Händen greifen kann, eher also halt eben Bühnengeräusche."
Atmo Produktion
Leonhard Koppelmann: "Ich denke bei dieser Umsetzung, dass man immer den Vorgang des Machens auch hört, also dass es keine komplette Illusion ist, sondern dass es noch mal eine Verstärkung oder Stützung dieses Gedankens ist, dass das eine Kopfreise ist."
Atmo Produktion
Jan Wagner: "Es ist was anderes, ob man ein Stück schreibt, das nur zum Hören gemacht ist. Es ist auch nicht für eine Stimme, sondern für verschiedene Stimmen und das macht das Ganze sehr aufregend. Zumal, wenn du nicht weißt, wie Sprecherinnen und Sprecher das interpretieren, wie das ganze Ensemble zusammenwirkt. So eine Fülle von verschiedenen Gestalten dann zum Leben erwachen zu sehen - oder zu hören viel mehr, ist was ganz Besonderes und ein Abenteuer für sich, weil ich ja nicht weiß, was wird daraus eigentlich."
Atmo Produktion
Jan Wagner: "Es gibt auch Motive, die Form annehmen auf eine Art, die man gar nicht so erwartet hätte, und das wird durch den Regisseur und auch den Komponisten aufgespürt auf eine Art, die schon deswegen eigen ist, weil es eine andere Person macht aber auch, weil eine andere Kunst dort eine Rolle spielt."
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Leonhard Koppelmann: "Die Musik von Sven-Ingo Koch ist ganz toll, weil sie einen sehr stark geräuschhaften Charakter mitanbietet, quasi eigentlich das, was wir an Geräuschen imaginieren, in ein musikalisches Konzept fortträgt, so dass ich eine sehr enge Verbindung schaffen kann zwischen der Poesie des Textes, der Klapprigkeit der handgemachten und mundgemachten Geräusche und der geräuschhaften Illustration der Musik. Also so verschmelzen die drei Aspekte sehr eng miteinander und ergeben hoffentlich dann eben einen poetischen Kosmos.
Ausschnitt Hörspiel
Sven-Ingo Koch: "Mein Name ist Sven-Ingo Koch, ich bin der Komponist der Hörspielmusik. Ich habe lange in den USA gelebt, auch in Italien, wo ich dann während meines Villa Massimo-Aufenthaltes Jan Wagner kennengelernt habe. Mandeville ist unsere zweite Hörspiel-Zusammenarbeit, und was mich bei Jans Text begeistert hat von Anfang an war die klare formale Gestaltung, die letztlich auch einem musikalischen Herangehen sehr entgegenkommt. Es gibt klare Inseln - im wörtlichen Sinne Inseln - Mandeville und Schreiber reisen von Insel zu Insel und dieses Inselerreichen und der Prozess dazwischen, ist letztlich etwas, das man sehr musikalisch interpretieren kann. Also als ich den Text bekommen habe, war ich direkt sehr inspiriert und da war sofort eine musikalische Idee da."
Jan Wagner: "Also die ganze Musik begleitet ja die Reise und den Wandel von Szene zu Szene und von Insel zu Insel."
Ausschnitt Hörspiel
Sven-Ingo Koch: "Jan hat mir bereits zu Beginn unserer Arbeit immer wieder Textfragmente geschickt."
Jan Wagner: "Sven hat natürlich auch musikalische Motive oder klangliche Motive im Text herausgespürt, so dass der Test geschrieben wurde, während Sven komponierte."
Sven-Ingo Koch: "Das führte auch zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Jan, das heißt, wir tauschten teilweise täglich mehrfach E-Mails aus."
Jan Wagner: "Ich hab dann gewisse Dinge, die Sven entdeckte, noch verstärkt beim Schreiben und Szenen geändert sozusagen im Hinblick auf die musikalischen Ebenen, die mir nicht bewusst waren, die Sven mir erst sozusagen vor Augen geführt hat."
Sven-Ingo Koch: "Also, ich bin nicht mit dem fertigen Text konfrontiert worden, sondern es gab einen regen Austausch und ich konnte auch Wünsche äußern, zum Beispiel hab ich ganz zu Beginn, als nur die ersten paar Manuskriptseiten entstanden waren, gemerkt, dass es ein Spiel mit dem Namen Jean Hans Hansen Mandeville gib, so eine Art Specht-Rhythmus und daraus dann ein Leitmotiv für die Musik entwickelt. Und um das eben zu verdeutlichen, habe ich Jan gebeten, dieses Spiel mit dem Namen Jean Hans Hansen durchaus immer wieder im Text zu bringen und das hat er dann auch getan, teilweise auch mit Varianten und aus diesem Mandeville-Motiv Jean Hans Hansen hab ich dann quasi sämtliche Texturen entwickelt."
Jan Wagner: "Es ist ja außergewöhnlich, dass mit so einem gewaltigen Aufwand ein Text musikalisch nicht einfach nur untermalt wird, sondern als eigenständige Musik eine ganz neue Ebene zum Text dazu kommt."
Atmo Produktion
Sven-Ingo Koch: "Der allererste Schritt bei der Hörspielmusik ist die Auseinandersetzung mit dem Text. Gleichzeitig für Hörspielmusik schreibe ich ja sowas wie Songs, das mache ich sonst nicht. Also gerade komponiere ich ein Streichquartett für das Arditti Quartett oder zuvor ein Orchesterstück für das WDR-Sinfonieorchester, da arbeite ich wirklich ganz anders. Aber diese Abwechslung von eben meiner absoluten Musik dann rüberzuschwenken zu einer Hörspielmusik finde ich sehr reizvoll."
Jan Wagner: "Das ganze heißt ja Mandeville. Vaudeville. Es werden natürlich Elemente des Vaudeville-Theaters aufgenommen und das ganze Stück ist durchsetzt mit Chansons."
Ausschnitt Hörspiel
Leonhard Koppelmann: "Ach, das ist ein Stück zum Verlieben. Ich mag die Sprache unendlich gerne. Ich finde es tief, ohne dass es schwer ist. Es kommt unheimlich spielerisch und leicht daher und ist trotzdem so genau ausgedacht. Ich mag es sehr gerne, wenn Sachen klug sind, ohne damit zu prahlen, also sich unernst nehmen, sich leichtnehmen und trotzdem ganz viel bewegen und in einem auch ganz viel bewegen."
Jan Wagner: "Es gibt keine bessere Zeit für ein Stück, in dem gereist wird, glaube ich. Jetzt, wo schon eine Fahrt im Regionalexpress zu einem unwahrscheinlichen Abenteuer wird, das man lieber meidet, glaube ich, ist man froh, wenn man nur, indem man die Augen schließt und die Ohren weit aufwacht, bis ins Ende der Welt und darüber hinaus reisen kann."
Leonhard Koppelmann: "Ich finde ein solches Stück zur jetzigen Zeit unbedingt und richtig und wichtig, weil wir feststellen müssen anlässlich Corona, dass wir unsere Reisen demnächst etwas anders vollziehen müssen. Und da bietet ein solcher Text und die Idee von einem anderen Reisen, einem Reisen, das viel innerlicher ist, vielleicht auch ein alternatives Konzept an, also dass wir unseren Körper gar nicht mehr verschiffen und verschicken müssen, um große Reisen anzustellen und man plötzlich eine solche Fernreise mitmacht, die eine innerliche Reise ist, dann ist es vielleicht ein anderes Glücksangebot und vielleicht auch eine Alternative für die Zukunft."