Schwangerschaftsabbruch

Eine Entscheidung unter vielen Qualen

06:52 Minuten
Eine nachdenkliche schwangere Frau steht auf grauem Asphalt und hält sich den Bauch.
Es geht vor allem darum, dass die Eltern am Ende mit ihrer Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch leben können müssen. © imago images / Westend61
Von Katja Bigalke · 19.09.2019
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In 95 von 100 Fällen gehen Eltern nach vorgeburtlichen Untersuchungen beruhigt nach Hause. Ist der Befund jedoch auffällig, ist die Erschütterung groß. Die Entscheidung gegen oder für einen Schwangerschaftsabbruch könnte schwieriger kaum sein.
"So ok, da ist es. Hat sich schön abgewandt von uns, guckt nach unten, mit dem Gesicht nach unten gedreht. Vom Kopf bis zum Po haben wir jetzt erstmal gut 7 Zentimeter, hat sich ganz zeitgemäß entwickelt. Den Nacken kann man auch schon gleich sehen – der ist normal... Kopfbreite, Kopflänge – sehr schön, da sehen Sie eben schon die Teilung des Gehirns, ne? Zwei symmetrische Gehirnhälften für diese frühe Schwangerschaftswoche sieht alles normal aus..."
Konzentriert untersucht Julia Lange, die schwarz-weißen Ultraschallbilder, die vor ihr auf dem Monitor auftauchen. Leicht verschwommene Umrisse eines Fötus sind dort zu sehen. Knochenstrukturen, dunkle Flecken – die Organe.
Bilder aus dem Bauch einer werdenden Mutter, Mitte 30, Ende der 12. Schwangerschaftswoche.
"Nasenbeinknochen mindestens genauso wichtig inzwischen wie der Nacken. Hier noch mal die Nackenfalten alles super – und was wir uns auch angucken ist die Wirbelsäulenkurve..."
Julia Lange ist Gynäkologin an einem Zentrum für Pränataldiagnostik in Berlin. Einem Zentrum, das sich spezialisiert hat auf vorgeburtliche Untersuchungen.
"Zum Geschlecht wollen Sie nichts wissen oder?"
"Doch, wenn es geht...."

Erleichterung in 95 von 100 Fällen

Zu Julia Lange kommen Frauen in der 11. bis 14. Schwangerschaftswoche – auf eigenen Wunsch oder bei einer medizinischen Indikation wie einer vorliegenden Erbkrankheit oder über 35-jährige Mütter zum Beispiel. Fünf bis zehn Prozent der Schwangeren machen von dieser frühen Feindiagnostik Gebrauch, schätzt Lange. Die meisten Frauen melden sich erst zwischen der 19. und 22. Woche, wenn der zweite große Ultraschall ansteht.
"Magen auf der linken Seite, und ein bisschen höher die Herzspitze zeigt in die gleiche Richtung, so soll es sein. Die Herzkammern, die Herzbreite da haben Sie schon die halbe oder die ganze Miete. Da die Herzfrequenz..."
Julia Lange ist zufrieden. Sie hat auf den Ultraschallbildern nichts Auffälliges entdeckt bei dem Kind, das da heranwächst. Erleichterung auch auf Seiten der Mutter.
"Das Projekt Familie geht ja in 95 von 100 Fällen hier beruhigt nach Hause. Und in den anderen Fällen ist es halt schwieriger, aber ich finde es als Vorteil, das zu wissen und ich empfinde es auch als Vorteil, Entscheidungen treffen zu dürfen."
Eine Entscheidung gegen oder für einen Schwangerschaftsabbruch.

"Erstmal sind alle dann erschüttert"

Die Schwangerenberatung donum vitae liegt in einem offenen Hinterhof am Kurfürstendamm. Ein kleiner, einstöckiger Bau, der sich an eine Brandmauer schmiegt. Kleiner Garten mit Wiese, Bäumen und Bank davor.
"Ich biete Ihnen mal einen Tee an..."
Jette Brünig, ausgebildete Gynäkologin, hat sich spezialisiert auf die Beratung bei pränataler Diagnostik – davor und danach. Die meisten Paare kommen zu ihr, nachdem sie einen Befund bekommen haben.
"Ja, die sind sehr erschüttert. Weil, damit haben die nicht gerechnet. Und viele gehen nach wie vor zu diesen Spezialuntersuchungen in der Schwangerschaft mit einem relativ naiven Grundverständnis, und das stimmt ja auch zu 95 Prozent. Erstmal sind alle dann erschüttert, was ja auch verständlich ist."
Die Paare kommen, weil ein Gespräch in einer Schwangerschafts-Konfliktberatungsstelle bei einem Schwangerschaftsabbruch gesetzlich vorgeschrieben ist. Aber meistens geht es erstmal darum, die Gedanken zu ordnen.
"Je nachdem in welchen Zustand sie hier ankommen, ist es wichtig, dass sie erstmal spüren, dass sie hier zur Ruhe kommen können. Sie haben auf jeden Fall eine Stunde Zeit. Das bleibt meistens nicht beim einmaligen Gespräch. Dann können sie mir in ihren Worten beschreiben, was an weitergehender Diagnostik gemacht wurde.
Das ist ganz wichtig, auch in dieser Beratung, dass die Frauen und Paare konkret hingucken und beschreiben können, was es alles ist. Es kommt vor, dass sie schon in einer völlig ablehnenden Haltung zu dem Kind sind, sie sagen zum Beispiel, sie spüren die Kindsbewegungen nicht mehr. Das ist ein Phänomen, das ich immer wieder erstaunlich finde. Es soll nicht wahr sein und deswegen soll auch das Kind nicht mehr da sein – und das erschrickt sie sehr und macht ihnen teilweise ein schlechtes Gewissen."

Schwieriger Entscheidungsprozess

Es ist ein Auf und Ab, ein Durcheinander von Emotionen und Gedanken. Wenn Jette Brünig das Gefühl hat, da ist etwas nicht richtig verstanden worden, vermittelt sie das Paar an weitere Experten. An Ärzte, aber auch an Familien in ähnlicher Lage, die sich für ihr Kind entschieden haben. Es geht darum, dass die Eltern am Ende mit ihrer Entscheidung leben können – ob sie nun für oder gegen den Abbruch ausfällt. In einer Situation, in der es wenig Gewissheit gibt, unsichere Diagnosen und wacklige Prognosen, lässt sich diese Frage allerdings nie richtig beantworten.
"Die kann man eigentlich nur beantworten, indem man sagt, dafür sind Eltern nicht gemacht, das können Eltern eigentlich gar nicht entscheiden. Dennoch ist die Situation so, dass Paare durch die Pränataldiagnostik in so eine Situation kommen, wo sich diese Frage irgendwann vielleicht stellt. Und das ist eine Qual für alle Beteiligten. Also man kann so eine Entscheidung nicht treffen, dennoch wird unter vielen Qualen eine Entscheidung dann doch getroffen."
In den meisten Fällen für eine Abtreibung. Wie es sich mit der Entscheidung für eine Spätabtreibung leben lässt, meint Jette Brünig von der Beratungsstelle donum vitae, hängt stark damit zusammen, wie die Entscheidung getroffen wurde, wie viel Zeit sich ein Paar dafür genommen hat, wie gut es informiert war.
Die meisten Paare erlebt sie so, "dass die einen unglaublich schwierigen und differenzierten Entscheidungsprozess hinter sich haben. Was wir Beraterinnen alle sehr begrüßen, weil so ein Entscheidungsprozess niemals in Eile gemacht werden soll. Insofern ist es ganz wichtig, dass die Eltern gestärkt werden können, wirklich eine Entscheidung zu treffen, dass sie damit lebenslang leben können."
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