Aus den Feuilletons

Von banalen Tweets verweht

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Rhett Butler (Clark Gable) umarmt Scarlett O'Hara (Vivian Leigh).
Verschwand erst aus dem Streaming-Angebot und tauchte dann wieder auf: "Vom Winde verweht". © picture-alliance / dpa
Von Tobias Wenzel · 11.07.2020
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In den USA tobt ein Kulturkampf - um systemischen Rassismus und das unbewältigte Erbe der Sklaverei: Das schreibt der „Spiegel“. Ausgetragen werde dieser Kampf zum Teil mit "banalen Tweets", eines der Opfer: der Film "Vom Winde verweht".
Vom Verschwinden, vom Verschwindenlassen und vom Verschwindenlassen-nicht-Zulassen konnte man in den Feuilletons dieser Woche lesen, von vier Teilen und vom Vierteilen, von Kulturkampf und Werbekrampf. "Es macht ihnen nichts, aus Dampf geboren zu sein", schrieb Paul Jandl in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG über die, wie er sagte, "flirrenden" Gedichte der neuen Büchner-Preisträgerin Elke Erb. "Wenn es sein muss, dann ist ihr Verdienst das Verdunsten."
"Das war's, Preußen!", riefen Anna-Lena Scholz und Tobias Timm in der ZEIT aus. Der Wissenschaftsrat empfiehlt in einem Gutachten, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufzulösen. Das bürokratische und nicht sehr erfolgreiche Ungetüm: "Die Besucherzahlen der Staatlichen Museen gelten gegenüber der internationalen Konkurrenz längst als peinlich gering (4,2 Millionen in allen Berliner Museen zusammen, 9,6 allein im Louvre)", schrieben die beiden ZEIT-Autoren und sympathisierten mit der im Gutachten empfohlenen Überführung der Mega-Stiftung in vier separate Stiftungen: "Es wäre das endgültige Ende Preußens, zugunsten seiner Museen und Bibliotheken."
Vier Stiftungen bräuchten auch vier Präsidenten, vier Pressesprecher und so weiter. Das koste, schrieb Andreas Kilb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Das Geld dafür sei aber durch die coronabedingte Neuverschuldung nicht mehr da. So bleibe das Vierteilen der Stiftung ein "Wunschtraum für bessere Zeiten".

Kulturkampf mit Tweets

Apropos "vierteilen": Was Philipp Oehmke und Tobias Rapp im neuen SPIEGEL berichten, klingt so, als wären da Menschen auf den Tod miteinander verfeindet: "In den USA tobt ein Kulturkampf, dessen Frontverlauf Tweets markieren", schreiben sie. "Es geht um systemischen Rassismus und das unbewältigte Erbe der Sklaverei, und damit auch um Armut, Polizeigewalt und eine unmenschliche Gefängnispolitik. Doch langsam stellt sich die Frage, ob die Gegenseiten überhaupt noch miteinander sprechen können."
Menschen verlieren ihre Arbeit aufgrund von "banalen Tweets". "Vom Winde verweht", der erfolgreichste Film aller Zeiten, aber einer mit "rassistischen Tendenzen", sei erst aus einem Streamingangebot entfernt worden und dann wieder aufgetaucht, allerdings mit der vorangestellten historischen Einführung einer afroamerikanischen Historikerin.
"Kino war eigentlich einmal das Gegenteil von Belehrung", kommentieren die SPIEGEL-Autoren und erwähnen den offenen Brief von mehr als 150 Intellektuellen, von Salman Rushdie bis Daniel Kehlmann, die sich um den "freien Austausch von Informationen und Ideen" und die "liberale Gesellschaft" sorgen. In Europa, sagt Kehlmann im SPIEGEL-Interview, würden aber im Vergleich zu den USA "die Debatten weiterhin viel ausgewogener ablaufen".
Obwohl es auch hier zur Sache geht. Etwa, wenn die Berliner Verkehrsbetriebe die Umbenennung der U-Bahn-Station "Mohrenstraße" in "Glinkastraße" vorschlagen und sich herausstellt, dass, so Thomas Schmid in der WELT, der russische Komponist Michail Iwanowitsch Glinka ein "glühender Nationalist" und ein "Antisemit" war.
Historische Personen würden nun mal "den Geist und den Ungeist ihrer Zeit" mitschleppen: "Es bringt nichts, wenn wir versuchen, die Straßenschilder, an denen wir täglich vorbeilaufen, so zu gestalten, als liefen wir an uns selbst und unserer Fortschrittlichkeit vorbei."

Was ist ein guter Film?

Ebenfalls in der WELT echauffierte sich Hanns-Georg Rodek über die neuen Richtlinien der Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein. Die rät Filmemachern, die dort Fördergelder beantragen wollen, sich erst einmal zu fragen: "Greift die Geschichte eins oder mehrere der nachfolgend genannten Themen direkt auf?" Etwa "Alltag in der dritten Lebensphase" oder "Hautfarbe bzw. People of Color".
Rodek machte sich den Spaß, die wichtigsten deutschen Filme der letzten Jahre daraufhin zu testen, ob sie dem neuen Filmförderungsgeist entsprochen hätten: "'Der Junge muss mal an die frische Luft' (null Punkte, es sei denn man sähe den Film als soziologische Studie über kleine moppelige Jungen)". "'Lara' (null Punkte, es sei denn, man entdeckte in der Titelheldin die Verkörperung der dritten Lebensphase, aber das wollen wir Corinna Harfouch nicht antun)".
Die Überschrift zu Rodeks Artikel: "Ein guter Film ist nicht politisch korrekt". Eine weitere Frage der deutschen Filmförderung lautet übrigens: "Tauchen Figuren mit anderer als heterosexueller Orientierung auf?"
Im Gespräch mit dem SPIEGEL berichtet Daniel Kehlmann, dass er einmal ein Drehbuch mit einer schwulen Figur geschrieben hat und gefordert wurde, sie von einem schwulen Schauspieler spielen zu lassen. Das sei erst einmal "verständlich".
Aber: "Was, wenn der Schauspieler bisexuell ist, zählt das noch? Und wenn man das zu Ende denkt: Darf jeder Schauspieler dann nur noch sich selbst spielen?" Man müsse Widersprüche aushalten.

"Haltet Abstand!"

Aber eine humorlose Kulturpresseschau müssen Sie, liebe Hörer, nicht aushalten. Drum zum Schluss noch ein Lacher. Die überall plakatierte "Aha"-Corona-Schutz-Werbekampagne des Bundesgesundheitsministeriums erschien Gerhard Matzig als Krampf. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erläuterte er, "Aha" stehe für "Abstand", "Hygiene" und – etwas gezwungen – "Alltagsmaske". Matzig schlug eine schlichte Alternative vor: "Haltet Abstand, haltet Abstand, haltet Abstand!" Kurz: "HAHAHA".
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