Aus den Feuilletons

Über den Verrat an Europa

Der Soziologe Wolf Lepenies betrachtet die offene Unterstützung  der Politik von Victor Orban als Europaverrat.
Der Soziologe Wolf Lepenies betrachtet die offene Unterstützung der Politik von Victor Orban als Europaverrat. © dpa-Bildfunk / AP / MTI / Tamas Kovacs
Von Adelheid Wedel · 25.05.2018
Der Soziologe Wolf Lepenies schreibt in der "Welt", dass eine Unterstützung der ungarischen Politik gleichbedeutend sei mit einem Verrat an Europa, während in der "SZ" an die Bedeutung der Stadt Münster für Krieg und Frieden erinnert wird.
"Wo ist Ungarn?", fragt Wolf Lepenies in der Tageszeitung DIE WELT. Der Soziologe beantwortet die Frage mit Trauer: "Das mythische, ostmitteleuropäische Land gibt seinen republikanischen Geist auf und wird zum Vasallen eines ,illiberalen Demokraten‘". Lepenies begründet seine Klage: "Wer die Gewaltenteilung aufhebt, die Justiz manipuliert, die Pressefreiheit einschränkt, die Kultur gleichschaltet und die Wissenschaft drangsaliert, verabschiedet sich vom Europa der Aufklärung, des liberalen Rechtsstaats und der Menschen- und Bürgerrechte."

Der Autor zitiert den ungarischen Staatschef, der behauptet: "Früher dachten wir, Europa sei unsere Zukunft, jetzt sind wir davon überzeugt, wir sind die Zukunft Europas." Lepenies dazu: "Mit dieser aggressiv vorgetragenen Überzeugung hat er es verstanden, ein Bündnis der Visegrád-Staaten zu bilden. Die Entdemokratisierung Ungarns muss jeden schmerzen", setzt der Autor fort, "der sich an den 27. Juni 1989 erinnert". Damals durchschnitten der ungarische Außenminister Gyula Horn und sein österreichischer Kollege Alois Mock den Grenzzaun zwischen ihren beiden Ländern und "öffneten damit den Eisernen Vorhang, der Ost und West so lange getrennt hatte." Nicht zu vergessen also: "Von Ungarn ging das Signal zu einem Demokratisierungsschub in Mittel- und Osteuropa aus, der die europäische Einigung entscheidend beförderte." Lepenies kommentiert: "Wer (hingegen heute) Ungarns Politik offen toleriert oder gar demonstrativ unterstützt, macht sich schuldig. Er betreibt Europaverrat."
Leo Tolstoi
Leo Tolstoi© Victor / Sputnik / dpa / picture alliance

Der lange Weg vom Krieg zum Frieden

In Münster betrachten fünf einander ergänzende Ausstellungen die Geschichte der Menschheit auf ihrem langen Weg vom Krieg zum Frieden. Darüber berichtet Rudolf Neumaier in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Wir lesen: "Bis zum 20. Jahrhundert wurde der Frieden zwar gepriesen, der Krieg aber kaum verteufelt." An der Schau "Frieden. Von der Antike bis heute" sind das Landesmuseum, wo auch das Bistum mit einer eigenen religionsgeschichtlichen Ausstellung gastiert, das Archäologische Museum, das Kunstmuseum Pablo Picasso sowie das Stadtmuseum beteiligt. Der Autor lobt: "Eine bessere Idee hätten sie in Münster kaum haben können. In dieser Stadt endete mit dem Westfälischen Frieden der Dreißigjährige Krieg, der vor genau 400 Jahren begonnen und gewütet hatte wie kein Krieg zuvor auf diesem Planeten."
An den Historiker von Rang, Jacob Burckhardt, der am 25. Mai vor 200 Jahren geboren wurde, erinnert Jürgen Kaube in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Der Autor nennt ihn "einen der bürgerlichsten Historiker des 19. Jahrhunderts und einen aristokratischen Denker. Er betrieb", so schreibt Kaube, "eine Geschichtsschreibung der gemischten Gefühle über verlorene Freiheit. Dem Individuum, das sich gegenüber religiösen, ständischen und staatlichen Mächten behauptet, hat er in seiner "Cultur der Renaissance in Italien" ein Denkmal gesetzt. Und zwar eines, das alle Rücksichtslosigkeiten, alle Gewalttätigkeit, Niedertracht und allen Zynismus wie Hochmut dieser Epoche darstellt." Burckhardts Eindruck vom Lauf der Geschichte klingt aktuell: "Überall Wachstum, darum aber auch überall wachsende Abhängigkeiten und Unfreiheiten, politisch wie ökonomisch und geistig."

Philip Roth im Grunde seines Herzens ein Moralist

"Wieso war er der Größte?" Die literarische Wochenendbeilage der WELT hat Schriftstellerkollegen in Amerika nach dem Tod von Philip Roth dazu befragt und druckt nun die Erinnerungen an ihn von T. C. Boyle, Joyce Carol Oates, Zadie Smith, Gary Shteyngart, Lily Brett, Jonathan Lethem und Richard Ford. Oates zum Beispiel schreibt in Verehrung: "Es ist natürlich mehr an Philip gewesen als nur Wildheit und Rebellion: Im Grunde seines Herzens war er ein Moralist, immer dabei, gegen Scheinheiligkeit und Verlogenheit anzukämpfen, im öffentlichen wie im privaten Leben. Und: Die wenigsten von uns hatten damals seine ,Verschwörung gegen Amerika‘ für eine Prophezeiung gehalten, aber heute wissen wir es besser."
Mehr zum Thema