Sascha Lobo über Twitter-Streit um Corona-Spots

"Die Aufregung ist völlig überzogen"

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Porträt des Internet-Publizisten und Bloggers Sascha Lobo. mit rotem Irokesen-Schnitt im schwarzen, offenen Hemd
Der Internet-Publizist und Blogger Sascha Lobo © imago images / teutopress
Sascha Lobo im Gespräch mit Timo Grampes · 16.11.2020
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Für ihre Kampagne #BesondereHelden schlägt der Bundesregierung auf Twitter viel Kritik entgegen. Der Internet-Publizist Sascha Lobo versteht die Aufregung nicht: Die Corona-Werbespots seien ein guter Weg, die Zielgruppe zu erreichen.
Mit einer Reihe von Werbefilmen in den sozialen Medien ruft die Bundesregierung vor allem junge Leute dazu auf, in Coronazeiten zu Hause zu bleiben. Die unter dem Titel #BesondereHelden veröffentlichten Videoclips schildern auf ironisch zugespitzte Weise, wie Frauen und Männer in einigen Jahrzehnten auf die Covid-19-Pandemie zurück blicken und sich daran erinnern, wie sie als junge Leute im Winter 2020 zu "Helden" wurden, indem sie nichts weiter taten, als zu Hause zu bleiben.

Humorvolles Plädoyer für das Nichtstun

Beim Kurznachrichtendienst Twitter gab es dafür einerseits viel Lob. Nutzer Flow, der als Anästhesist auf einer Intensivstation arbeitet, teilte die Filme auf seinem Twitter-Account und urteilte bei Deutschlandfunk Kultur, die Spots vermittelten "humorvoll" und "teilweise sarkastisch" auf überzeugende Weise, dass es Menschen wie ihm, die "wirklich an vorderster Front täglich gegen diese Pandemie kämpfen", tatsächlich helfe, "wenn die Bevölkerung ihre Kontakte reduziert und einfach 'nichts tut'. "
Viele andere Stimmen auf Twitter äußerten jedoch harsche Kritik an den Spots. Zahleiche Nutzerinnen und Nutzer erhoben den Vorwurf, die Werbefilme zeichneten ein auf zynische Weise verzerrtes Bild von der Situation, die viele Menschen in der Pandemie tatsächlich erlebten. Unter dem Hastag #BesondereHelden ist ein heftiger Streit entbrannt.

Einseitiges Bild der "Bevölkerung"

Der Internet-Publizist Sascha Lobo hält diese Aufregung für völlig überzogen und schrieb seinerseits auf dem Kurznachrichtendienst: "Deutsches Twitter selten knalldackeliger (und deutscher)". Lobos Appell an die Debattanten auf Twitter: "Manche Leute erreicht man so und nur so, also lasst eure innere Abiturientenkonferenz EINMAL für 10 Minuten NICHT raushängen."
Woran macht sich die Kritik an den Coronavideos im Einzelnen fest? Indem sie zeigten, wie weiße alte Männer sich an ihre Zeit als junge weiße Nerds erinnerten, gäben die Filmemacher ein völlig einseitiges Bild von der "Bevölkerung" im Deutschland des Jahres 2020 ab, twitterte etwa die Schrifstellerin Jagoda Marinić.
Ein Clip, der rumhängende junge Leute ironisch zu Helden stilisiere, romantisiere die Lebensrealtiät und blende den Druck aus, unter dem viele stünden, kritisierte ein anderer Nutzer - sei es, dass sie keine komfortable Homeoffice-Wohnung hätten oder unter Stress und Einsamkeit litten.
Sascha Lobo hält dagegen, für "völlig überzogen", wenn sich nun viele darüber aufregten, dass ein Werbespot die unterschiedlichen Aspekte der Pandemie nicht in der Breite abbilde. Die Filme müssten ihr Thema humoristisch zuspitzen und verdichten, um in den sozialen Medien ihre spezifische Zielgruppe zu erreichen.
Und diese Zielgruppe sei klar definiert: Es gehe darum, junge Menschen zu erreichen, "die jetzt vielleicht noch nicht einsehen, warum zu Hause bleiben cool ist." Gerade unter diesem Leuten gebe es nachweislich viele, "die sich weitestgehend über soziale Medien informieren und weniger die klassischen Nachrichtenangebote nutzen", so Lobo. "Die zu erreichen ist manchmal gar nicht so leicht. Ein solcher Spot kann das schaffen."

Geschmacklose Metapher vom Krieg gegen das Virus?

Dass die Filme nur die Realität privilegierter Menschen zeigten, die es sich leisten könnten, einfach zu Hause zu bleiben, lässt Lobo als kritischen Einwand nicht gelten: "Genau diejenigen, die aus vielen unterschiedlichen Gründen dann doch raus gehen müssen, zum Beispiel, weil ihr systemrelevanter Job das bedingt, die profitieren massiv davon, wenn diejenigen zu Hause bleiben, die eben nicht raus gehen müssen. Und das ist faktisch im Moment noch nicht so."
Aber braucht es hierfür wirklich die Kriegsmetapher, das Sofa als "Front" im Kampf gegen das Virus - ist das nicht wirklich geschmacklos? Auch diese Kritik wurde auf Twitter laut.
Sascha Lobo erkennt in der Darstellung der Spots "eindeutig eine Verballhornung dieser Kriegsmetapher" und hat den Eindruck, dass die meisten Kritikerinnen und Kritiker, die hieran Anstoß nehmen, stark übertreiben: "Das ist so eindeutig ironisch gemeint, dass ich nicht glaube, dass hier Kriegsmetaphorik wirklich eine Botschaft darstellt, die dann am Ende – wie jemand sogar schrieb – Rechtsextreme erreichen soll. Dass man eine Lächerlichmachung davon umdreht zur Kriegswerbung, das finde ich absurd."
(fka)
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