Dankbarkeit

Wenn geben und nehmen zum Machtspiel wird

04:24 Minuten
Das Wort "Danke" in verschiedenen Sprachen. (Symbolfoto)
Dankbarkeit ist eine harte Währung, findet Sheila Mysorekar. © Unsplash / Wilhelm Gunkel
Von Sheila Mysorekar · 17.11.2020
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Danke sagen, ist oft selbstverständlich. Aber müssen Menschen, die einfach nur ihre Rechte wahrnehmen, sich dafür als Gegenleistung dankbar zeigen? Nein, meint die Publizistin Sheila Mysorekar, denn Dankbarkeit sei eine heikle Angelegenheit.
Vor einiger Zeit geriet ich in ein Gespräch mit einer Düsseldorfer Oberschichtstussi, einer dieser Frauen mit eingetackerten Perlohrringen, deren Hauptbeschäftigung Geld ausgeben ist. Sie hatte einen Tag freiwillig in einem Asylheim ausgeholfen und dort Essen ausgegeben. Das wolle sie aber nie mehr machen, beklagte sie sich, weil "diese Flüchtlinge so undankbar" seien.
Diese Frau teilte also Mahlzeiten aus, die sie weder gekocht noch bezahlt hatte, und erwartete dafür angemessene Gegenleistung. So was muss dann in der harten Währung Dankbarkeit entlohnt werden.
Dankbarkeit ist eine heikle Sache. Von wem wird sie eingefordert, und wofür? Die Enkel sollen sich bei den Großeltern für Geburtstagsgeschenke bedanken, oder auch jemand, dem andere Menschen helfen, zum Beispiel bei der Wohnungsrenovierung.

Von Minderheiten wird Dank erwartet

Aber dieses einfache Dankeschön meine ich nicht. Es geht um Folgendes: Migranten - und vor allem Geflüchtete - sollen dem Aufnahmeland, also Deutschland, Dankbarkeit entgegenbringen. Der verbreitete Tenor: Sie sind nicht ausreichend dankbar – wobei das anscheinend bedeutet, sich mit ihrer Lage abzufinden und bloß keine Rechte einzufordern.
Natürlich sind Menschen, die Schutz vor Krieg und Verfolgung bekommen, dem Aufnahmeland dankbar. Das heißt jedoch nicht, dass sie sich bei jedem einzelnen Menschen, dem sie begegnen, bedanken müssen. Es gibt aber viele Deutsche, die sich persönlich als Gastgeber verstehen und auch persönlich Dank entgegengebracht haben wollen - für etwas, was gesetzlich und auch moralisch selbstverständlich ist: Menschen in Not zu helfen.
So auch die Düsseldorfer Tussi: Sie hielt sich für die großzügige Gastgeberin, und sämtliche syrische Familien für die armen Verwandten, die sich zu Hause eingenistet haben und nun am Esstisch rumsitzen. Und die man gerne rausschmeißen würde.

Dankbarkeit zementiert Hierarchien

Es sind aber nicht nur Geflüchtete, die dankbar zu sein haben. Für Hartz-IV-Empfänger, die uns Steuerzahlern angeblich auf der Tasche liegen, gilt das Gleiche. Und übrigens auch für religiöse Minderheiten. Vor Kurzem druckte das "Darmstädter Echo" einen Leserbrief, in dem stand: "Warum hört man von den deutschen Juden niemals Dank, dass es ihnen bei uns so gut geht wie nirgends auf der Welt?"
Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, twitterte daraufhin: "Den Spruch 'sei dankbar, dass du hier leben darfst' hat wahrscheinlich jeder Jude hierzulande mehrfach gehört. Dass er jetzt als legitime Meinungsäußerung in der Zeitung abgedruckt wird, macht mich fassungslos."
Tja, ist es inzwischen normal, von jeglichen Minderheiten lautstarke Dankbarkeit zu erwarten - dafür, dass man sie nun nicht mehr verfolgt?
Und noch eine Gruppe ist notorisch undankbar: die Ostdeutschen. Nun haben sie doch schon Demokratie und Kapitalismus, und jetzt beklagen sie sich immer noch? Sollen sie doch froh sein, dass sie nicht mehr Trabi fahren!
Der Politikwissenschaftler Valentin Feneberg sagt dazu: "Dankbarkeit wird erwartet – als Reaktion auf Wohltaten. Diese Haltung zementiert Hierarchien."

Verfolgte aufzunehmen, ist geltendes Recht

Und genau darum geht es bei der Dankbarkeit: um Macht. Wer teilt die Gaben aus, und wer ist Empfänger? Wer ist derjenige mit Geld und Privilegien, und wer ist Bittsteller? Das heißt, wer versteht sich als großzügiger Gastgeber, der Gäste einladen und wieder rausschmeißen kann, wenn ihm das Dankeschön nicht demütig genug klingt?
Die Genfer Konvention, das 'humanitäre Völkerrecht', die Religionsfreiheit, all das ist geltendes Recht in Deutschland das 'Gastrecht' hingegen nicht. Es ist keine Nettigkeit, dass Verfolgte in Deutschland aufgenommen werden: Es ist moralisch geboten und es entspricht unseren Gesetzen. Dafür muss niemand dankbar sein.
Oder besser: Wir alle sollten dankbar sein, dass wir in einem demokratischen Land leben, wo solche Gesetze geachtet werden.

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende des Vereins Neue deutsche Medienmacher*innen, einer Organisation von Journalistinnen, Journalisten, Medienmacherinnen und Medienmachern mit und ohne Migrationsgeschichte. Sie ist indodeutsche Rheinländerin und lebt in Köln. Ihr Studium absolvierte sie in Köln und London und arbeitete als Journalistin, unter anderem in Jamaika, Indien, den USA und vielen Ländern Lateinamerikas, darunter elf Jahre als freie Korrespondentin für die ARD in Argentinien.

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