Vaterland und Muttersprache

Das beständige Wort der Dichter

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Ein politisches Feuilleton zu Ehren des Dichters Reiner Kunze. © imago/Sven Simon
Von Matthias Buth · 16.08.2018
Die Rhetorik der Politik macht ratlos, die Muttersprache stiftet Heimat, sagt der Schriftsteller Matthias Buth. In seinem politischen Feuilleton würdigt er die Kraft der Lyrik - und Reiner Kunze, der heute seinen 85. Geburtstag feiert.
Wie wichtig sind Gedichte für Politiker? Und lassen sie sich auf die Weltentwürfe der Poeten ein? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verfügt über eine erstaunliche Sprachkompetenz, er kann völlig frei reden und dann erläutern, wie ihm die Schriften von Walter Benjamin die Lyrik von Charles Baudelaire nahegebracht haben.

Die Dichtung gewinnt an Resonanz

Das sind in Deutschland, das sich mal als Land der Dichter und Denker sah und welches manche sich zurückhoffen, ferne Erkenntnisse. Aber die Dichtung hat in Deutschland wieder an Resonanz gewonnen. Und manche erkennen, dass das Wort der Dichter beständiger ist als das der Politiker. "Was aber bleibet, stiften die Dichter?" Dieser Wunsch von Friedrich Hölderlin scheint fast aus der Welt gefallen.
Die Gedichtanthologie von 1993 "Von einem Land und vom anderen / Gedichte zur deutschen Wende", die Karl Otto Conrady herausgab, zeigte eher Ironie, Widerwillen und DDR-Nostalgie. Nur wenige schrieben anders, so Reiner Kunze:
"Als wir sie schleiften, ahnten wir nicht, //
wie hoch sie ist /
in uns"
So beginnt das Gedicht "Die Mauer".
Und im Text "mit dieser fahne schon" intoniert Kunze den politischen Befund mit dem Vers "Manche hätten ihr den wind / am liebsten ausgeredet", aber die DDR-Bürger hatten auf den Wind der Veränderung gesetzt und auf das Land mit der einen Fahne, die in Frieden lässt.

Eiertanz um die Begriffe der Nation

Welcher Politiker hält das heute noch für eine moderne Aussage? Und: welche deutschen Dichter sprechen in Ton und Esprit Heinrich Heines von Deutschland, sind doch viele der Meinung, die Idee der Nation habe sich ins europäische Elysium verabschiedet.
Wer die Koalitionsvereinbarung von Union und SPD zur Hand nimmt, bemerkt den sprachlichen Eiertanz um jene Begriffe, die unserem Staat den Namen geben. Da wird lieber von "Gemeinwesen", "Zivilgesellschaft" und von "unserem Land" geschrieben.
"Alle staatliche Gewalt geht vom Volke aus." O Gott: "Volk". Klingt doch irgendwie reaktionär – ist aber Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes.

Nicht Ethno-Ideologien geben Heimat, sondern die Sprache

Von den alternativlosen Dumpfdeutschen lass ich mir nicht erklären, was Deutschland ausmacht. Deren Ethno-Ideologien liegen fern vom Begriff der "europäisch gewachsenen Kulturnation", der seit 2005 den Auslandssender durch das Deutschen Welle-Gesetz verpflichtet, aber den politischen Diskurs und auch die Reden des Bundespräsidenten noch nicht erreicht hat.
Nicht ein Ministerium gibt Heimat, sondern die Sprache und zwar im Alltag, in Politik und in der Dichtung. Die Antwort auf den entschiedenen Europäer Macron sollte auch die Hinwendung zum Besten sein, was wir besitzen: zur deutschen Sprache, in ihr klingt das Wort "deutlich" durch. Unsere Sprache ist nicht die Welt, kann uns aber die Welt öffnen. Sie ist eine offene Hand, für jeden.

Vaterland ist kein Fremdwort

Reiner Kunze wird heute 85 Jahre alt. Seine Gedichte werden wirklich gelesen, ja geliebt. Seine Prosaminiaturen von 1976, "Die wunderbaren Jahre", bleiben gegenwärtig. In seinem gerade erschienenen Gedichtband befragt er sich selbst und so seine Verirrung in den Fängen der SED.
Heute heißen die Gefahren anders, entstanden durch Wegschauen und Unkenntnis von Geschichte und Kultur sowie durch Angst vor uns selbst. Für Kunze ist das Wort "Vaterland" kein Fremdwort, auch wenn es von Angela Merkel und Monika Grütters gemieden wird.

Wir brauchen die Dichter

Aber es lebt fort, obwohl es uns nach der Shoa schwerer über die Lippen kommt. Aber auch die Nationalhymne singt vom Vaterland. Wie alle Dichter von Rang setzt Kunze auf die "Muttersprache", denn diese gibt Halt und Wärme.
Die Verlautbarungssprache der Politiker macht ratlos. Ohne Sprache vergehen wir aber, halten wir uns nicht aus: Wir brauchen deshalb die Dichter und deren Gedichte. Diese sind Europas "liebliche Wohnungen".

Matthias Buth, geb. 1951 in Wuppertal, ist Lyriker und Publizist. Er veröffentlichte zuletzt die Gedichtbände "Paris regnet" (2016) und "Gott ist der Dichter, Psalmen und andere Liebesgedichte" (2017) sowie die Feuilletonsammlung "Seid umschlungen" (2017), für die Peter Steinbach das Vorwort beisteurte. Der promovierte Jurist war bis Ende 2016 Justitiar im Kanzleramt bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und ist nun mehr als Rechtsanwalt tätig.

© Quelle: privat
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