"Islam-Landkarte" in Österreich

Wenn Sichtbarkeit in Hetze umschlägt

04:17 Minuten
Die Sonne steht hinter dem Islamischen Zentrum in Wien.
Vor manchen Moscheen wird in Österreich von rechtsextremen Kräften gewarnt - mithilfe einer "Islam-Landkarte", die mehr Akzeptanz für Muslime schaffen sollte. © imago / Volker Preußer
Ein Kommentar von Nils Markwardt · 13.06.2021
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Österreich diskutiert über eine "Islam-Landkarte", die ursprünglich muslimisches Leben sichtbarer machen sollte, nun aber von Rechtsextremen zur Einschüchterung benutzt wird. Wie konnte Emanzipation in Denunziation umschlagen?
Ednan Aslan, Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Wien, hatte ein hehres Ziel. Er wollte "eine differenzierte Diskussion" ermöglichen und "einen positiven Beitrag leisten". So steht es zumindest auf der derzeit nur eingeschränkt zu erreichenden Website islam-landkarte.at.
Das Projekt, das erstmals 2012 von Aslan lanciert wurde und eine detaillierte Übersicht aller muslimischen Einrichtungen in Österreich gibt, hatte ursprünglich zum Ziel, die islamische Community des Landes sichtbarer zu machen und der Mehrheitsgesellschaft zu zeigen, dass Muslime in der Alpenrepublik eine Heimat gefunden haben.

Namen, Adressen, ideologische Einordnungen

Seit aber Österreichs konservative Integrationsministerin Susanne Raab die Karte jüngst auf einer Pressekonferenz im Rahmen des "Dokumentationszentrums politischer Islam" nutzte, hat das Projekt die entgegengesetzte Stoßrichtung bekommen. Bei der Präsentation der Karte, die neben der Auflistung von mehr als 600 Einrichtungen auch ideologische Einordnungen, Namen und Adressen beinhaltet, ging es der Politikerin nach eigenem Bekunden zum einen um mehr Transparenz. Zum anderen wollte sie aber auch auf die "gefährlichen Entwicklungen des politischen Islam" hinweisen.
Für die österreichischen Muslime waren die Konsequenzen fatal. Nicht nur erzeugte die Ministerin so einen latenten Generalverdacht gegenüber der gesamten islamischen Community, sondern die Aktion bekam auch Beifall von der rechtsextremen FPÖ und der noch rechtsextremeren "Identitären Bewegung".

Rechtsextreme Warnschilder vor Moscheen

Letztere sorgte dann auch dafür, dass selbst gebastelte Schilder in der Nähe von Moscheen auftauchten, die vor vermeintlichen Brutstätten des politischen Islam warnten. Ebenso wurden Gebetshäuser beschmiert. Ob Ministerin Raab bei ihrer Aktion einfach extrem naiv war oder die Anfeindungen sogar bewusst in Kauf nahm, sie womöglich sogar provozieren wollte, darüber wird in Österreich nun gestritten.
So oder so offenbart der Fall der "Islam-Landkarte" aber etwas Grundsätzliches: An ihm zeigt sich eine Dialektik der Emanzipation. Einerseits besteht das Ziel vieler emanzipatorischer Bewegungen in einer stärkeren Repräsentation marginalisierter Gruppen. Religiöse Minderheiten, Trans-Menschen oder People of Colour sollen besser gehört und gesehen werden. Andererseits ist mit dieser erhöhten Sichtbarkeit zunächst auch immer eine erhöhte Angreifbarkeit verbunden.
Porträt von Nils Markwardt.
"Dialektik der Emanzipation": Nils Markwardt reflektiert über die Risiken von Sichtbarkeit.© Johanna Ruebel
So wird beispielsweise fast jede feministische Aktivistin davon berichten, dass sie nach öffentlichen Auftritten Anfeindungen erleidet. Repräsentation vermag demnach stets, in Denunziation umzuschlagen. Genau das zeigt auch der Fall der "Islam-Landkarte": Was von Ednan Aslan als "positiver Beitrag" gemeint war, avancierte zur Vorlage einer Hetzkampagne.

Unsichtbarkeit kann ein Privileg sein

Doch woher rührt dieses Umschlagen? Es entsteht vor allem in jener emanzipatorischen Zwischenphase, in der marginalisierte Gruppen zwar bereits sicht- und identifizierbar, jedoch noch nicht vollends anerkannt und normalisiert sind. Diese Phase ist für Betroffene umso gefährlicher, weil sie sich bei ausbleibender Anerkennung nicht einfach wieder unsichtbar machen, sich buchstäblich nicht einfach wieder von der Karte tilgen können.
Freiwillig nicht mehr Teil einer Gruppe zu sein, darauf hat jüngst der Philosoph Tristan Garcia hingewiesen, ist nämlich ein Privileg jener, die als Norm gelten. Beispielhafter formuliert: Wer in Mitteleuropa weiß und christlich ist, kann viel eher mit seiner Identität spielen als eine dunkelhäutige Muslimin, die gesellschaftlich immer wieder auf ihre Gruppenidentität zurückgeworfen wird.
Wobei aber zumindest auch nicht ausgeschlossen ist, dass Denunziation abermals in Emanzipation umschlägt. Solch eine weitere Bewegung der Widersprüche könnte im Fall der "Islam-Landkarte" zumindest dann eintreten, wenn sich weite Teile von Politik und Zivilgesellschaft nach den Anfeindungen nun erst Recht an die Seite der muslimischen Community stellen. Dann hätte die "Islam-Landkarte" über dialektische Umwege doch noch einen "positiven Beitrag" erzeugt.

Nils Markwardt ist leitender Redakteur des "Philosophie Magazins". Als Autor schreibt er daneben unter anderen auch für "Zeit Online", "FAZ" und das Schweizer Online-Magazin "Republik".

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