Tradition der Renaissance

Kultur in Villen und Gärten erleben

04:19 Minuten
Die Farblithografie "Gartenanlagen. Italienischer Garten - 1500", ein Sammelbildchen der Compagnie Liebig's Fleisch-Extract von 1906.
Die Farblithografie "Gartenanlagen. Italienischer Garten - 1500", ein Sammelbildchen der Compagnie Liebig's Fleisch-Extract von 1906. © picture alliance / akg-images
Überlegungen von Hans von Trotha · 15.07.2020
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In der Renaissance erlebten die Menschen auf Landsitzen Musik und Spiel. Villen waren Brutstätten der Erneuerung aller Künste. Deshalb sollten wir die Krise nutzen, diese Tradition im Freien wiederzubeleben, meint der Publizist Hans von Trotha.
Zu den Neuerungen der italienischen Renaissance gehörte eine Wiederbelebung der antiken Tradition, die Sommermonate in Villen außerhalb der Städte zu verbringen. Giovanni Boccaccio hat in seinem "Decamerone" diesen Ort zum mythischen Schauplatz von Kunst in Zeiten der Epidemie gemacht – er lässt eine Gruppe junger Leute vor der Pest aus Florenz in einen solchen Villengarten fliehen, wo sie sich Geschichten erzählen. Diese Rahmenhandlung hat dem fast 700 Jahre alten Klassiker jetzt eine Renaissance der Wahrnehmung eingebracht, perfekte Lockdown-Literatur.

Landvillen als kulturelles Energiezentrum

Tatsächlich hat das Konzept der Villa die abendländische Hochkultur nachhaltig tief geprägt. Wo sich Repräsentationsbedürfnis und Kunstsinn verbanden wie etwa in den berühmten Villen der Medici wurden diese Landhäuser zu Brutstätten der Erneuerung aller Künste. Denn eine Villa, das ist kein umgebauter Bauernhof, sondern ein Phänomen der Stadtkultur: das Landhaus eines Städters ohne eigene Landwirtschaft aber mit einem Garten – der ideale Ort fürs Philosophieren und für Kunst jeglichen Genres. Dieses Konzept ist der Ahn aller Expansion städtischer Kultur in den ländlichen Raum und umgekehrt der Prägung der Stadträume durch Natur und Landschaft.
Das gilt von Versailles bis Meseberg, von Sanssouci bis Drottningholm, aber auch der Buckingham Palace, das Weiße Haus oder der Elysée-Palast sind in dieser Tradition entstanden. Achten Sie auf die überdachten Säulen am Eingang. Sie zitieren immer den Ahn aus der Renaissance: Die Villa – und verweisen damit auf das produktive kulturelle Neben-, In- und Miteinander von Umland und Stadt.
Die infrastrukturelle Entwicklung der ländlichen Räume in Europa wäre ohne diese kulturellen Energiezentren später und anders erfolgt. Und die städtischen Kulturen hätten sich ohne diese Durchlauferhitzer einer intensiven Kunsterfahrung langsamer und weniger innovativ entwickelt. Erst im 20. Jahrhundert, das – zum guten Teil aus gutem Grund – mit vielen Traditionen brach, geriet dieser Motor der kulturellen Vielfalt aus dem Blick.

Vorstellungen unter freiem Himmel könnten helfen

Die derzeitige Pandemie gibt uns die Chance , uns dieser Tradition zu erinnern: Was spricht dagegen, zum Ende der Sommerferien all die vom Virus ihrer Engagements beraubten Musikerinnen und Musiker, Schauspielerinnen und Schauspieler in einer großen konzertierten Aktion aus den Städten in all die Parks, Gärten, Streuobstwiesen, Höfe der schönen ländlichen Orte rund um München, Dresden, Leipzig, Stuttgart, Frankfurt, Köln, Berlin, Hamburg zu bringen: Dort könnten Konzerte, Lesungen, Inszenierungen aller Art unter freiem Himmel stattfinden – und zwar ohne große Ansteckungsgefahr Die Akteurinnen und Akteure hätten Zeit – ja man fragt sich eh: Wo sind sie eigentlich alle, auch die staatlich alimentierten Kunstschaffenden – wo wir so viele, auch große, öffentliche Räume und Plätze haben, auch in den Städten, die doch bespielt werden könnten? – Aber das wäre ein Thema für sich.
Viele der freien Kunstschaffenden brauchen dringend Engagements, und die im Reisen ausgebremste Bevölkerung lechzt nach Abwechslung im eigenen Land. Sogar der Klimawandel spielt da ausnahmsweise günstig mit – im Zweifelsfall haben wir den ganzen September und länger für solche Aktionen. Und auch private Villenbesitzer wären eingeladen, ihre Gärten für einen Tag zu öffnen – cultural public private partnership. Es wäre wichtig, und so einfach, wäre nur der Wille da!

Ohne öffentlichen Druck passiert nichts

Fragt man nach, erhält man aus Kreisen der Bundesregierung die Antwort, dies sei im Zweifel Ländersache, aus Landesregierungen, die Idee müsse erst einmal eine Öffentlichkeit erhalten. Nun denn. Dann wäre dies hier ein erster Schritt. Wäre es nicht wundervoll, wir würden uns – mit gebotenem Abstand – in ein paar Wochen irgendwo draußen treffen – zum Wohle aller? Dann wäre dieses hassenswerte Virus sogar zu etwas gut gewesen – eine kleine Renaissance der Renaissance.

Hans von Trotha ist 1965 geboren, er hat in Heidelberg und Berlin Literatur, Geschichte und Philosophie studiert. Nach ersten publizistischen Arbeiten für den Rundfunk und verschiedene Printmedien übernahm er für zehn Jahre die Leitung des Nicolai Verlags. Trotha gilt als Spezialist für die Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts. Derzeit arbeitet er selbständig als Publizist für diverse Medien und als Berater im Kulturbereich. Publikationen (Auswahl): "Der Englische Garten. Eine Reise durch seine Geschichte" und "Das Lexikon der überschätzten Dinge".

© Carsten Kempf
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