Linke Initiative "Aufstehen"

Die Beißreflexe der Schnell-Kommentierer

Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine bei der Kranzniederlegung anlässlich des 99. Jahrestages der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht an der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde
Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine ernteten für ihre Initiative "Aufstehen" viel Kritik - selbst aus der eigenen Partei "Die Linke". © imago / snapshot
Von Bodo Morshäuser · 22.08.2018
Die von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine etablierte Internetseite "aufstehen.de" möchte Plattform einer Sammelbewegung sein. Seit ihrem Start wird sie scharf kritisiert. Dabei könne man sie noch nicht seriös beurteilen, meint der Schriftsteller Bodo Morshäuser.
Da ist eine Website mit 19 kurzen Videoclips. Junge wie Alte, Männer wie Frauen sind unzufrieden mit ihrer persönlichen Situation und/oder der gesellschaftlichen Lage. Wer will, kann sich auf der Website eintragen. Angeblich haben sich dort in den ersten Wochen über 50.000 Menschen registriert. Seit vielen Monaten ist bekannt, dass es Sahra Wagenknechts und Oskar Lafontaines Idee ist. Es gibt kein Programm und keinen Hinweis auf das weitere Verfahren, außer, dass es am 4. September irgendwie losgeht. Also eine Art Marketing des leeren Zentrums. Und es funktioniert.
Obwohl Journalisten und Politiker in ihren ersten Beißreflexen beklagen, dass unklar bleibt, was die Sammlungsbewegung, wie sie sich nennt, vorhabe, wer sie finanziert und wer sie anführt, wissen die meisten Schnell-Kommentierer schon Bescheid. Ihre Einlassungen reichen von Abwinken über Empörung und den Vorwurf des Zynismus, bis hin zu diffuser Hyperventilation.

"Republikbekannte linke Spieler"?

SPD-Politiker behaupten immer noch, sie gehörten der einzigen linken Sammlungsbewegung an. Journalisten erzählen, es handle sich hier um die zweite Rache eines "verbitterten alten Mannes", nämlich Oskar Lafontaines, an der SPD, oder: Sahra Wagenknecht sei für eine linke Sammlungsbewegung die falsche Person. Ihr Naturell sei das der "Spalterin".
Die einen wissen schon, dass Aufstehen "dem repräsentativen Modell der Demokratie das Modell einer direkten Führerdemokratie" gegenüberstelle. Andere beklagen, dass die Initiatoren der Website sich an ein Milieu richteten, das "mies" sei. Oder es heißt kurzerhand: "Liegenbleiben statt aufstehen." Der Grafiker Klaus Staeck assoziiert weniger zu Faulheit hin als zum kriminellen Milieu, indem er diesen wunderbaren Satz prägt: "Hier sind republikbekannte linke Spieler am Werk."

Das Markieren der eigenen Grenzlinien

Es sind Stimmen, die in aller Eile ihre eigenen Grenzlinien markieren, bevor eine andere Seite, die bisher nur Luft geholt hat, überhaupt spricht. Offenbar wird eine erhebliche Störung der Ruhe befürchtet. Als wollten sie sagen: Okay, es fehlen Zehntausende Schullehrer, Hunderttausende Kitaplätze und Zehntausende Pflegekräfte. Die Aufstiegschancen für Kinder aus der Unterschicht sind im europäischen Vergleich mit die schlechtesten. Ein paar Millionen Vollbeschäftigte können nicht von ihrer Arbeit leben. Aber es ging uns doch noch nie so gut!
Mich erinnert dieser vorsorgliche Beißreflex an den strammen Sound, mit dem die AfD von ihren Gegnern hochgeschrieben wurde. Selbst als sie noch die harmlose Anti-Euro-Partei war, wurde jeder TV-Auftritt des damaligen Vorsitzenden Bernd Lucke zum Tribunal. Nach der Kaperung der Partei durch Frauke Petrys Leute und dem deutlichen Rechtsruck bissen viele noch hungriger in jedes Häppchen, das irgendein Rechtsnationaler hinhielt, und Fernsehtalkshows räumten Sendeplätze frei, um gegen die Störung der Ruhe anzugehen – mit dem bekannten Ergebnis.

Politikverdrossener Reflex

Was steckt eigentlich hinter diesem Reflex, an Politikvorschläge, die bestehende Verhältnisse infrage stellen, sofort mit der Axt heranzugehen? Könnte es sein, dass in großen Teilen der selbstzufriedenen Öffentlichkeit und auch in sehr vielen Journalisten eine tiefe Politikverdrossenheit wohnt? Dass die gegenwärtige Lage ganz im Sinn der Kanzlerin längst als alternativlos verinnerlicht worden ist, dass man seine Ruhe haben, über politische Konzepte nicht mehr diskutieren will? Und überdies noch beklagt, große Teile der Bevölkerung seien ja so schrecklich politikverdrossen?
Über die Kampagne "Aufstehen" kann man jedenfalls seriös noch gar nichts sagen. Ihre vorschnellen Gegner scheinen allerdings keinen Zweifel daran zu lassen, dass sie aus dieser Geschichte mit der AfD nichts gelernt haben.

Bodo Morshäuser wurde 1953 in Berlin geboren und lebt dort als Schriftsteller. Er hat etliche Romane, Gedichte und Erzählungen veröffentlicht, beispielsweise: "Und die Sonne scheint" (Hanani-Verlag) und "In seinen Armen das Kind" (Suhrkamp). Zudem beschäftigt er sich mit dem Thema Rechtsextremismus.

© M. Maurer
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