Musikerin "No Bra"

Ikone des queeren Undergrounds

06:27 Minuten
Eine Frau mit langen Haaren, lila Pullover, ohne Hose in einer Tiefgarage.
Manchmal auch ohne Hose: Die Künstlerin und Musikerin Susanne Oberbeck aka "No Bra". © Wolfgang Tillmans / Muskel Records
Von Hartwig Vens · 06.01.2020
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In England gilt sie als "Ikone der Gender-Subversion", doch in Deutschland kennt die Künstlerin und Musikerin Susanne Oberbeck aka "No Bra" bislang kaum jemand. Mit ihrem dritten Album "Love & Power" könnte sich das ändern.
Manchmal gibt die blanke Ansicht Rätsel auf. Susanne Oberbeck performt oben ohne. "Ohne Oberteil aufzutreten ist von meinem Standpunkt so ungewöhnlich nun auch nicht", erzählt Susanne Oberbeck. "Aber angeblich ist es ungewöhnlich für Frauen. Für mich ist das einfacher so aufzutreten. Wo man sich dann nicht so eingeschränkt fühlt. Wo es einfacher ist, ein bisschen aggressiver zu sein."
Die Aggression empfindet, wer sich angegriffen fühlt. Susanne Oberbeck steht einfach da. Ohne Ausdruck, ohne Pose. Dass kein Oberteil da ist, ist kein Statement – und doch eins. Den Namen ihres Musikprojekts, "No Bra", hat sie in einem der in England verbreiteten Sportmagazine mit nackten Frauen gefunden.
"Ein spezielles hieß 'The Daily Sport'. Das ist so eine merkwürdige Verbindung zwischen Sport und Softporn. Erinnerst du dich noch an einen englischen Popstar Rachel Stevens? Da stand 'Rachel Stevens with no bra'. Das heißt 'mit ohne BH'. Also das war sogar im Englischen ganz schlechte Grammatik."

Männer sind Standard, Frauen werden interpretiert

Susanne Oberbeck hat Film studiert. Mit Anfang 20 nach London gegangen und nie nach Deutschland zurückgekehrt, ist sie unsicher, ob sie überhaupt auf Deutsch mit mir reden soll. Manchmal sucht sie nach Wörtern.
Die Mixtur aus Fashion und Subkultur, wie sie die britischen Magazine wie "i-D" oder "The Face" pflegen, hat sie angezogen. Dort bewegt sie sich bis heute. Susanne Oberbeck wird zum Star des queeren Kunst-Undergrounds. Zum Bühnen-Outfit gehört die Männerfrisur auf der Oberlippe.
"Da war so ne Party 'Schnurrbart oder Zopf' in New York, und dann habe ich mir verschiedene Schnurrbärte gekauft und habe daran rumgeschnitten und es irgendwie ausprobiert. Dann sind wir die Straße runtergegangen, und die Leute haben schockiert geguckt, weil ich ansonsten relativ normal aussehe. Das ist natürlich ein Kommentar darauf, dass, bis zu diesem Tage eigentlich, wenn Männer etwas sagen, wird es immer anders interpretiert, als wenn Frauen etwas sagen, unglücklicherweise."
Männer sind Standard, Frauen werden interpretiert. Diese Normalität aufzubrechen, ist ihr wichtig. Stoisch und entrückt sprechsingt sie zu kalten Beats und Postpunk-Elektronik. Es geht viel um Sex, als Lust und Ware. Den Kapitalismus der Geschlechterverhältnisse beleuchtet sie kritisch. Aber nicht ohne Witz – wenn sie zum Beispiel singt: "Der Weltfrieden ist gekommen, denn jetzt gibt‘s Sexsklaven im Weißen Haus".

"Gesundes Verhältnis zur eigenen Zerbrechlichkeit"

Besuch im Kreuzberger Studio von Wolfgang Tillmans. Er hat das Coverfoto von "Love & Power" geschossen. Tillmans und Oberbeck sind lange befreundet, waren in London in der gleichen Szene unterwegs. Nicht von ungefähr: Tillmans Fotos von jungen Ravern und queerer Subkultur treffen sich in ihrer Aufrichtigkeit mit der kerzengraden Art, in der Susanne Oberbeck ihren Weg geht.

Hier können Sie das komplette Interview mit Susanne Oberbeck nachhören:
Und hier das Interview mit Wolfgang Tillmans:

Tillmans spricht von ihr mit höchstem Respekt: "Mich beeindruckt immer, oder mich berührt immer ein gesundes Verhältnis zur eigenen Zerbrechlichkeit. Und sie stellt die natürlich, indem sie praktisch nackt bis auf eine Bikini-Unterhose auf der Bühne steht, einerseits sehr stark aus, aber es bleibt trotzdem eine Verwundbarkeit, es ist nicht so ein Show-Off. Und das ist gleichzeitig wahnsinnig stark, denn dazu muss man erst mal stark sein, auch um das aushalten zu können. Ich denke, genau wie sie die Umwelt visuell genau beobachtet und darauf reagiert mit ihrem Look, beobachtet sie auch sprachlich ganz genau. Und der erste Song, der durchgestartet ist, war 'Munchhausen'. Und das ist eine ganz schnelle Aneinanderreihung von gegenseitigen Angebereien, wie sich Leute hochschaukeln und versuchen, den anderen zu übertrumpfen."

Eigene Musik, eigene Texte, eigenes Label

Kollaborationen mit Stars des queeren Undergrounds, wie dem Filmemacher BruceLaBruce, Modedesigner Hedi Slimane, Rap-Performer Mykki Blanco und Elektronik-Produzent Arca oder wie hier, dem Musiker und Künstler Abdu Ali, pflastern den Weg von "No Bra".
Susanne Oberbeck ist independent und cool. Sie hat nichts gegen einen Plattenvertrag, aber bis einer vorbeikommt, veröffentlicht sie auf ihrem eigenen Label "Muskel". Alle Musik, alle Sounds, Texte, Produktion stammen von ihr. Sie macht, was sie macht. Und der Meta-Diskurs darüber interessiert sie wenig. Diskursiv ist sie selber. Oder, wie sie sagt: "Ich meine, es war immer schon politisch. Instinktiv."
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