Neues Album "American Utopia"

David Byrne bekämpft den alten weißen Mann in sich

David Byrne, Gründer Talking Heads
Musik könne die Menschen verbinden, sagt David Byrne. © imago stock&people
Von Christoph Reimann · 09.03.2018
Im Gegensatz zu anderen alternden Musiker ist David Byrne nicht grantig, verbittert und konservativ geworden. Auf seinem neuen Album singt der Gründer der Talking Heads gegen Trump und Waffengewalt und macht sich auf die Suche nach der großen Menschheitsutopie.
"Vor vielen Jahren waren die USA ein großes Experiment. Ich erinnere mich an Alexis de Tocqueville und sein Buch 'Über die Demokratie in Amerika', das er noch vor dem Bürgerkrieg geschrieben hat. Tocqueville hat voraussehen können, dass die Sklavenhaltung das Land spalten würde, er hat über den Umgang mit den Ureinwohnern geschrieben. Doch er konnte eben auch erkennen, dass in den USA große Chancen liegen. Die Vision dieses großen Experiments aber ist verloren gegangen. Und ich wünschte, sie würde zurückkommen."
David Byrne ist jetzt 65. Das Alter, in dem Männer komisch werden: grantig, verbittert, konservativ. Da muss man nur an Morrissey denken, der sogar ein paar Jahre jünger ist. Der Ex-Sänger von den Smiths rät auf seinem aktuellen Album dazu, gar nicht mehr in die Zeitung zu gucken. Der Ex-Musiker von den Talking Heads hatte auch genug von schlechten Nachrichten. Zum Beispiel von einem Präsidenten, der nicht ins Amt gehört:
"The judge was all hung over when the president took the stand / so he didn’t really notice, when things got out of hand."
Oder von Waffengewalt:
"The bullet went right through him …"

Neue Hoffnung aus neuen Initiativen

Den Song, so Byrne, habe er geschrieben, noch bevor der Afroamerikaner Michael Brown 2014 in Ferguson von einem Polizisten erschossen wurde. Auch der Trump-Song sei vor der Trump-Ära entstanden. Alle Lieder auf dem neuen Album passen erschreckend gut auf ein Land und eine Welt, an denen man zurzeit so gut verzweifeln kann. Ob es Byrne auch so geht?
Hier hält Byrne seinen Vortrag "Reasons to be cheerful", den Vorläufer zu seinem neuen Album "American Utopia". Was tun, um nicht zum Zyniker zu werden? Das war die Ausgangsfrage. Für die Antworten reiste Byrne um die Welt, auf der Suche nach Dingen, die Hoffnung geben.
"Viele Dinge, die ich gefunden habe, beruhen auf den Initiativen kleiner Städte, Länder oder einzelner Menschen. Und oft sind sie entstanden, weil die Regierungen größerer Staaten versagt haben."
Auf "American Utopia" geht es aber anders als im etwas platten Vortrag nicht um Windparks oder Büchereien in Problemvierteln. Mit dem Album will Byrne eher Fragen stellen: Wie könnte die Utopie aussehen, nach der wir streben sollten?
Der Ansatz ist nicht neu, aber er passt zu Byrne: der analytisch-beobachtende Blick auf die Dinge, die Neugier, die Offenheit. Was vielleicht noch interessanter ist als das Thema des Albums: Byrne kämpft gegen den alten weißen Mann in sich, also den aktuellen Lieblingsfeind der Popkultur, altersstarr und missmutig. Auch musikalisch hat er das versucht.

Weniger radikal als früher

Rund 25 Gastmusiker sind auf dem Album zu hören: Brian Eno natürlich. Aber auch junge Musiker wie der Soul-Sänger Sampha, der noch nicht mal halb so alt ist wie David Byrne. Die Gäste machen das Album abwechslungsreich, auch wenn es sich leider ausschließlich um Männer handelt. Aber so radikal und innovativ wie früher ist Byrne längst nicht mehr. Trotzdem möchte man in ihm eine Blaupause für den älter werdenden Popmusiker sehen: weil er zeigt, dass mit den Jahren nicht der Starrsinn einziehen muss. Und weil er seine Rolle nicht überschätzt.
"Ich weiß nicht, ob man mit Musik erneuerbare Energien erklären, ob sie die Welt verändern kann. Aber sie kann die Menschen auf eine persönliche Weise erreichen: ihnen das Gefühl geben, miteinander verbunden zu sein, sie wissen lassen, dass sie nicht allein sind. Das kann Musik."
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