"Dirty Work" und "Real Magic" am HAU

Die Essenz des Theaters

Szene aus dem Stück "Real Magic" von der Gruppe Forced Entertainment
Szene aus dem Stück "Real Magic" von der Gruppe Forced Entertainment, das zurzeit am Berliner Theater HAU aufgeführt wird. © HAU / Hugo Glendinning
Von Gerd Brendel · 08.05.2017
Seit mehr als 30 Jahren stehen die sechs Mitglieder der Gruppe "Forced Entertainment" auf Bühnen in ganz Europa und versuchen, dem Publikum neue gedankliche Räume zu eröffnen. Von ihren aktuellen Produktionen "Dirty Work" und "Real Magic" am Berliner HAU ist unser Kritiker Gerd Brendel begeistert.
Dieser Tage im Berliner HAU: Was für ein Theater! Der erste Akt von "Dirty Work" beginnt mit fünf Atomexplosionen, dann stürzt ein Zug von einer Brücke in einem Fluß und ein Aufzug rast aus dem 90. Stock in die Tiefe. Noch mehr Menschen, Tiere, Sensationen gefällig? Vielleicht ein Chirurg der Leben mit Flugzeug-Besteck als Operationswerkzeug rettet oder zum Leben erweckte Statuen oder sprechenden Tieren?
Und das Großartigste: Das alles findet nur in der Vorstellung der Zuschauer statt, denn die Schauspieler Robin Arthur und Cathy Naden von "Forced Entertainment" sitzen die ganze Zeit auf der Bühne und erzählen.
"Forced Entertainment" kann man mit zwanghafter Unterhaltung übersetzen, ein bewußter Widerspruch, dem das Kollektiv mit Tim Etchells als Regisseur seit der Gründung vor über 30 Jahren treu geblieben.
"Wir wollen einen Raum schaffen, in den die Zuschauer mit ihrer Vorstellungskraft und ihrer Autorenschaft eingreifen können."

Grausigste und schönste Theaterträume werden wahr

Diese Räume schafft Etchells mit bestrickend einfachen Mitteln. Die Schauspieler spielen nie nur eine Rolle, meist spielen sie überhaupt nicht und trotzdem kann man sich ihrer Präsenz auf der Bühne selten entziehen. Egal ob sie Shakesspeares Dramen am Küchentisch mit Geschirr, Bierflaschen und Putzschwämmen nachspielen - oder wie jetzt zum Theatertreffen in "Real Magic" eine Fernseh-Quizzshow immer wieder von vorne, aus der Perspektive eines anderen Schauspielers.
"Oft werden die Zuschauer mit Sachen oder Konstellation konfrontiert, ohne dass die erklärt werden, und dann machen wir wieder so schlicht unbedarft Theater, dass sich die Zuschauer fragen, ob sie irgendetwas nicht mitbekommen haben."
Szene aus dem Stück "Dirty Work (The Late Shift)" von der Gruppe Forced Entertainment
Szene aus dem Stück "Dirty Work (The Late Shift)" von der Gruppe Forced Entertainment© HAU / Hugo Glendinning
Ein bisschen ähneln Tim Etchells und seine Performer dem Schneider aus "Des Kaisers neue Kleider". Nur dass bei "Forced Entertainment" die Zuschauer die angeblich unsichtbaren Kleider angelegt bekommen. Im Märchen ist der Kaiser in Wahrheit nackt, aber wir tragen die prächtigsten Gewänder, weil "forced entertainment" in jeder Aufführung unsere grausigsten und schönsten Theaterträume wahr werden lässt.
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