Zukunft der Elektromobilität

Praxistest für die Stromnetze

07:04 Minuten
Ein weißes Elektrofahrzeug vom Typ BMW i3 wird an einer E-Tankstelle aufgeladen
Elektrofahrzeug an einer Ladestation: Reicht das Stromnetz, wenn die E-Mobilität durchstartet? © dpa / Patrick Pleul
Von Lutz Heyser · 05.03.2019
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Wann laden die Leute und wie viel? Der Versorger EnBW testet, ob sein vorhandenes Stromnetz den erwarteten Boom von Elektroautos aushalten würde. Der Praxis-Modellversuch mit 21 Haushalten ist deutschlandweit einmalig.
Es summt nur ganz leise, wenn Norbert Simianer mit dem Elektroauto, einem Renault Zoe, durch sein Wohngebiet fährt. Der Pensionär wohnt gemeinsam mit seiner Frau in Ostfildern-Ruit, einem ruhigen Vorort südöstlich von Stuttgart. Schmucke, schneeweiße Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften reihen sich hier - in Orts-Randlage – nah aneinander. Dahinter Felder, Wiesen, Wald und frische Luft. Abgasfrei.

Test-E-Autos vom Stromversorger

Den elektrischen Renault hat Simianer geliehen bekommen – kostenlos überlassen seit vergangenem Mai - für einen Versuch des Stromversorger EnBW. Und er ist nach wie vor begeistert von seinem Elektro-Mobil auf Zeit – meistens zumindest:
"Ja, ich habe ja jetzt wirklich fast ein ganzes Jahr lang die Möglichkeit gehabt zu probieren, und auch wenn im Winter die Leistung auf fast 50 Prozent runtergeht, kann man sich trotzdem überlegen, ob man so etwas anschafft."
Auch sein Nachbar, Norbert Frank, ist einer der E-Auto-Tester des Energieversorgers im Wohngebiet. Ende 40, steht er noch mitten im Berufsleben. Muss viel Auto fahren. Und hat sein eigenes – einen Diesel – vorerst auch behalten, genauso wie seine Frau:
"Wir haben die noch. Da hinten stehen sie: Zwei Leasing-Fahrzeuge. Zwei Audi. Deshalb sind wir jetzt tatsächlich in der dekadenten Situation zu zweit drei Autos zur Auswahl zu haben."
Den Leih-Elektro-Golf der EnBW nutzt nun vor allen Dingen seine Frau, sagt Frank:
"Es passt einfach von der Strecke her. Meine Frau arbeitet in Reutlingen. Und das ist fürs E-Fahrzeug – im Normalfall – die ideale Distanz mit einer Ladung für einmal hin und zurück."

Ein deutschlandweit einmaliger Modellversuch

Wann laden die Leute? Und wie viel? Und würde unser Stromnetz das dann überhaupt alles aushalten? Das will der Energieversorger EnBW hier in diesem Wohngebiet, in Ostfildern-Ruit - seit vergangenem Mai herausfinden. In einem deutschlandweit einmaligen Modellversuch. 21 Haushalte hängen an dem lokalen Stromnetz, 10 davon hat der EnBW mit einem Elektroauto ausgerüstet. Projektleiterin Selma Lossau:
"Im Endeffekt ist es tatsächlich so, dass wir die Theorie hatten: Wenn viele Fahrzeuge gleichzeitig laden, zum Beispiel abends, dann kommen Lastspitzen zu Tage. Auf die unser Netz heute so gar nicht vorbereitet ist. Und dann haben wir gesagt: Okay, wir können jetzt ganz viele Power-Point-Präsentationen dazu machen, ganz viele Berechnungen und Analysen, aber in der Realität: Wir werden es nicht wissen, wir probieren es einfach aus."

Intelligente Ladesysteme im Wohngebiet installiert

Um das Ladeverhalten in der Praxis analysieren zu können, wurden neben den E-Autos auch intelligente Ladesysteme in dem Wohngebiet installiert – und Messtechnik:
"Das Erste, was wir wirklich festgestellt haben ist: Es laden gar nicht immer alle gleichzeitig. In der Spitze hatten wir fünf Fahrzeuge, die gleichzeitig geladen haben. Zu 70 Prozent der Zeit lädt gar keiner. Zu 25 Prozent der Zeit lädt nur einer. Und dass diese fünf (Autos) gleichzeitig geladen haben, das war sehr selten. Allerdings hat man dann auch einen Belastungsanstieg von bis zu 22 Prozent gesehen."
Die gute Nachricht für den Stromversorger: Dieses Nutzungsverhalten hochgerechnet, würde das bisherige Netz locker halten! Ohne große zusätzliche Investitionen. Vorerst zumindest. Mittel- bis längerfristig allerdings muss das Netz ausgebaut werden. Sagt auch der Chef des Karlsruher Energieversorgers EnBW, Frank Mastiaux:
"Als EnBW wird man uns unmittelbar mit dem Thema Elektro und Strom verbinden. Und da ist die Elektromobilität, und die Mobilität allgemein, ein ganz wichtiger Bestandteil. Das sind nicht nur die Ladesäulen, aber auch deren netzseitige Anbindung. Das ist eine der großen Herausforderungen für die Zukunft, den Strom auch immer dahin zu bringen, wo er gerade gebraucht wird. Das ist für uns ein ganz wichtiges Zukunftsthema."

Wann startet die Elektromobilität durch?

Genau wie die Autobauer steht aber auch der Chef des drittgrößten deutschen Energieversorgers derzeit vor dem Problem, dass zwar jeder zu wissen meint, dass die Elektromobilität bald kommen wird, nur mit welcher Macht, wo und wie schnell, und wann genau, dass weiß nach wie vor keiner.
"Sodass ich davon ausgehe, dass wir schon eine sprunghafte Zunahme der Elektromobilität erleben werden. Aber wann der Punkt ist, an dem es losgeht, ist schwierig zu sagen."
Man steht also sozusagen "in den Startlöchern". Auch bei den Energieversorgern in Sachen Elektromobilität. Das nimmt auch Florian Herrmann vom Fraunhofer Institut in Stuttgart wahr. Er forscht dort zu den neuen Mobilitäts- und Innovationssystemen und sagt: Neben den Autoherstellern wird die Elektromobilität vor allem für die Energieversorger eine Riesen-Transformation bedeuten.
"Wir brauchen im Bereich der Netze einen deutlichen Ausbau: Das heißt die Infrastruktur muss aufgebaut werden für das klassische Elektrofahrzeug-Laden im niedrigen Spannungsbereich. Wir brauchen dann aber auch – für weitere Use-Cases – zum Beispiel für das Hochleistungsschnellladen auch andere Strukturen auf lokaler Ebene, damit wir überhaupt die hohen Ladeleistungen abbilden können."

Großstädte und Ballungszentren brauchen leistungsstärkere Netze

Wesentlich leistungsstärkere Netze werden in Zukunft in den Großstädten und Ballungszentren notwendig sein, wo viele Menschen wohlmöglich noch zur selben Zeit ihre neuen E-Autos laden wollen. Fürs Erste aber, sagt der Wissenschaftler Florian Hermann, brauchen wir jetzt intelligente Ladesysteme damit der Strom da ist, wo die Menschen ihn für ihre Elektro-Autos brauchen:
"Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Wo laden denn die Menschen? In der Regel ist das natürlich bei ihnen zu Hause, also muss die Infrastruktur dort vorhanden sein. Oder am Arbeitsplatz: Und um das dann abbilden zu können, braucht man natürlich intelligente Systeme, beispielsweise Lade- und Lastmanagement-Systeme, die dann in der Lage sind, potentielle Lastspitzen abzufedern. Und so auszutarieren, dass das nicht passiert. Und wie man das machen kann, da forschen wir bei Fraunhofer auch stark daran. Wir haben zum Beispiel Systeme entwickelt, die analysieren genau, wie stark das Fahrzeug geladen sein muss und zu welchem Zeitpunkt das Fahrzeug geladen sein muss, damit keine Lastspitzen auftreten."

Lokale Strom-Speicher als zusätzliche Puffer

Intelligentere Stromnetze, und lokale Strom-Speicher als zusätzliche Puffer. Um dadurch das Potential der bereits vorhandenen Netze noch effizienter auszunutzen. Sie könnten die Lösung sein, zumindest jetzt zu Beginn, um der Elektromobilität in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen. Die Technik dafür ist vorhanden. Die Infrastruktur: Sie stünde bereit.
Auch beim Versuch im schwäbischen Ostfildern-Ruit ist man gespannt, auf das, was da nun kommt in Sachen Mobilität der Zukunft. Noch einmal Anwohner Norbert Simianer:
"Also ich finde es gut, dass man das Ganze hier mal ausprobiert hat. Und wenn dann die Erkenntnisse dann gewonnen werden, die man braucht, um weiterzukommen und die Dinge zu verbessern, dann ist es ja erfolgreich."
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