Aus den Feuilletons

Angewandte Romantik im Schwarzwald

04:19 Minuten
Zwischen Bäumen schauen Planzen mit herblichst rot oder gelb gefärbtem Laub hervor.
Der Schwarzwald ist eine Projektionsfläche für düstere Romantik. © imago / Gerhard Leber
Von Hans von Trotha · 16.07.2020
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In den Feuilletons erlebt die Romantik eine Renaissance. Die "TAZ" begibt sich in mittelalterliche Klosterruinen, der "TAGESSPIEGEL" in den Schwarzwald. Nur die "FAZ" bleibt zu Hause - und greift nach der "Handlichen Bibliothek der Romantik".
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG arbeitet das Coronavirus auf. Während Christoph Siegrist, Pfarrer am Großmünster von Bern, schlicht feststellt: "Die Welt ist das Home-Office Gottes", macht sich der Journalist Paul Jandl Sorgen um den Buchhandel: "Sollte es so weitergehen und das Medium Buch im gleichen Tempo an Bedeutung verlieren, dann ist die Corona-Krise womöglich wie ein Zeitraffer für das, was sich längerfristig tun könnte. Das Publikum wechselt zu anderen Angeboten. Corona", meint Jandl, "scheint nicht das einzige Virus zu sein, unter dem die Branche zu leiden hat. Wenn am Ende ein Virus namens Angst noch grösseren Schaden anrichtet, dann wäre das schlimm."

Klassiker haben es schwer auf dem Markt

In der FAZ wird Tilmann Spreckelsen in dieser Sache konkreter. Er schaut sich einzelne Aktivitäten von Verlagen an, insbesondere ihr Engagement für Reihen. "Klassiker haben es schwer, auf dem Markt und beim Leser", stellt er fest. "Zugleich", meint er, "wollen Buchreihen literarische Schätze heben".
"Auf den ersten Blick" erscheinen solche Reihen "unzeitgemäßer denn je, schließlich reißen die Klagen über das mangelnde Interesse an der Kultur und insbesondere der Literatur vergangener Zeiten nicht ab. 'Es ist ein ganz großer Radiergummi über das kulturelle Gedächtnis hinweggegangen'", zitiert er den Feuilletonisten Fritz J. Raddatz: "Jeden Tag wird mehr ausradiert."
Auf der Suche nach kulturerhaltenden Reihen stößt Spreckelsen unter anderem auf die "Handliche Bibliothek der Romantik" im Secession-Verlag. Dort arbeitet man "mit einem weiten Romantikbegriff: Romantik als Transformation von der Aufklärung in die Moderne", so der Germanist Roland Borgards, einer der Herausgeber.

Ruinen sind das romantische Motiv schlechthin

Tatsächlich scheint die Romantik im Gegensatz zu dem, was wir die Klassiker nennen, so etwas wie ein kultureller Kern zu sein, der immer wieder aufpoppt – oder vielleicht auch einfach immer weiterlebt?
"Romantiker kann jeder sein" steht denn auch über Tilman Spreckelsens FAZ-Text. Und es gibt da zwei ganz anders geartete flankierende Beispiele bei der Konkurrenz – angewandtes Romantisieren im Feuilleton, wenn man so will.
In der TAZ beschreibt Lorina Spender eine Soundinstallation von Johanna Hedva in der Ruine der mittelalterlichen Franziskaner-Klosterkirche in Berlin-Mitte. Die Autorin gibt sich "Gedanken in der Ruine" hin – das romantische Motiv in Literatur und Malerei schlechthin.
"Die hohen Mauern des gotischen Baus erstrecken sich in den Himmel. Beim Hören von trister Klaviermusik mit schweren Akkorden oder flatternden Noise-Geräuschen liest man, dass die Sounds, Musik und Sprache dazu da seien, den Kapitalismus und eine Abwesenheit, das Nichts, zu hinterfragen."

Der Waldläufer wird vom Schwarzwald verschluckt

So geht angewandte Romantik. Oder so, wie es Marius Buhl im TAGESSPIEGEL mit dem anderen romantischen Motiv neben der Ruine macht: mit dem Wald. Dabei geht es eigentlich um die Suche nach einem Straftäter – aber auch das hat halt romantisches Potenzial: "Seit Tagen sucht die Polizei bei Oppenau nach einem Bewaffneten. Den Waldläufer prägt eine mythische Landschaft", schreibt Buhl. "Verschluckt vom Schwarzwald" heißt sein Text.
"Wenn alles eine Geschichte wäre", meint er, "eine ausgedachte, sie müsste im Schwarzwald spielen. Ein Mann lebt in einer Hütte am Waldrand, die nicht die seine ist. Er wird entdeckt, während er mit Pfeil und Bogen hantiert. Vier Polizisten kommen. Sie entdecken den Hüttenbewohner, der scheint ihren Anweisungen zunächst zu folgen. Dann zieht er plötzlich eine Pistole und entwaffnet damit die Polizisten. Er nimmt die Waffen an sich und flüchtet in den Wald. Die Geschichte ist echt. Sie spielt in diesen Tagen im Schwarzwald."
Dieser Name geht auf die Römer zurück und entsprang, wie Marius Buhl schreibt, "wohl eher ihrer Furcht vor dem unbewohnten Gebiet. Der Schwarzwald war ihnen eine natürliche Barriere zu den Wildlingen dahinter. Ein bisschen wie die Mauer in Game of Thrones, bewacht durch die Nachtwache, die die sieben Königslande vor den schlafenden weißen Wanderern im Land des ewigen Winters schützen soll. Der Schwarzwald", so Buhl, "ein Land der Mythen. Wo Bäume das Licht nehmen, da lebt die Fantasie."
Vielleicht ist es Zufall, vielleicht ja aber auch eine Folge der erzwungenen Zurückgezogenheit der letzten Monate: Die Romantik scheint gerade ganz vorn zu sein – im Medium Buch, das sie womöglich retten kann, aber auch im Medium Feuilleton. Wir werden das beobachten.
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