Zafer Şenocak zur Corona-Politik

"Kasperletheater" statt nüchterner Antworten

06:42 Minuten
Der Autor Zafer Senocak
Politik muss Verantwortung übernehmen und zu ihren Fehlern stehen, findet der Schrifststeller Zafer Şenocak. © picture-alliance/Sven Simon
Moderation: Jana Münkel · 24.04.2021
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Im Zuge der Coronapandemie habe sich die Gesellschaft "infantilisiert", sagt der Schriftsteller Zafer Şenocak. Schuld daran ist für ihn eine Politik, die nur auf Infektionsraten schaut und sich in Symbolen erschöpft, statt Sachantworten zu geben.
Der Schriftsteller Zafer Şenocak vermisst in Deutschland eine Debatte über die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie. Es gehe nicht nur um Infektionszahlen und Todesraten, sondern auch um die Frage, was das Virus psychisch und gesellschaftlich mit uns mache: etwa mit Freundschaften und sozialen Kontakten, wenn alles sich immer mehr im Virtuellen abspiele.
"Das können wir nicht mit einem Wecker lösen, das können wir nicht mit Regeln lösen, das müssen wir durch Gespräche intensiver betrachten", betont der Autor, der wegen seiner chronischen Herzerkrankung, wie er sagt, seit Beginn der Pandemie "mehr oder weniger in Isolation" gelebt hat.
Der Politik wirft Şenocak vor, die Menschen in der Pandemie wie Kinder zu behandeln. "Ich habe das Gefühl, wir haben uns in diesen letzten anderthalb Jahren wirklich infantilisiert, alle zusammen, die ganze Gesellschaft. Das halte ich für gefährlich", sagt er. Wenn man die Menschen wie mündige Bürger anspreche, habe man auch mehr Erfolg bei der Pandemiebekämpfung.

Der Umgang mit Corona - ein Kasperletheater

Statt nüchterner Antworten auf sachliche Fragen sieht der Schriftsteller im Umgang mit Corona hierzulande "Kasperletheater", etwa wenn es ums Impfen geht. "Dann machen wir die ganze Zeit auch noch Symbolpolitik, Kerzen auf die Fensterbretter zu stellen. Das hat mich am letzten Wochenende wirklich geärgert", sagt er. "Statt dass die Politik rausgeht und sagt: wir übernehmen Verantwortung, wir haben hier und hier und hier Fehler gemacht, wir wollen die so und so und so korrigieren, wird so eine ganz verschwurbelte, seltsame Atmosphäre geschaffen."
Auch die gerade in Kraft getretene Bundesnotbremse sieht Şenocak in diesem Zusammenhang: "Hätten wir wirklich jetzt nach anderthalb Jahren das Gesetz, das am Anfang hätte beschlossen werden müssen, beschließen müssen?"
(uko)

Zafer Şenocak ist Autor und Publizist. Er wurde 1961 in Ankara geboren, seit 1970 lebt er in Deutschland. Şenocak studierte Germanistik, Politik und Philosophie in München. Seit 1979 veröffentlicht er Gedichte, Essays und Prosa in deutscher Sprache. Er schreibt für die "tageszeitung" in Berlin und andere Publikationen. Zuletzt erschien sein Roman "Deutsche Schule".

Die gesamte Sendung "Der Tag mit Zafer Şenocak" hier zum Nachhören: