Existenzgründung in Corona-Zeiten

Und plötzlich gibt es wieder einen Dorfladen

07:56 Minuten
"Dorfladen" steht auf dem Holzschild einer Hausfassade.
Der alte Konsum in Angern schloss vor einem Jahr überraschend. Die Angeraner haben dann für die Rückkehr ihres Dorfladens demonstriert. © picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert
Von Niklas Ottersbach · 29.04.2020
Audio herunterladen
Während der Corona-Krise ein Geschäft zu eröffnen ist mutig. Silke Schröter hat es gewagt und einen Dorfladen aufgemacht. Wichtig für ihr kleines Unternehmen ist nun vor allem, dass die Dorfbewohner das Geschäft als "ihren Dorfladen" betrachten.
Weißes T-Shirt, blauer Mundschutz, rote Kurzhaarfrisur, so steht Silke Schröter hinter dem Tresen. Anfang April hat sie ihren eigenen Dorfladen in Angern eröffnet. Ein 1.300-Seelendorf nördlich von Magdeburg. Eine Existenzgründung mitten in Corona-Zeiten: das bedeutet für Silke Schröter und ihre Kunden: Es ist nicht immer alles vorhanden.
"… und außerdem noch einen Wunsch? Brot, Brötchen, Kuchen? Das Rindfleisch ist noch nicht da in Büchsen? Das ist noch nicht angekommen."
Silke Schröter steht mit Mundschutz und weißem T-Shirt vor den Regalen ihres Dorfladens.
Die Angeraner haben für die Rückkehr ihres Dorfladens demonstriert. Doch es fand sich lange kein Nachfolger, bis Silke Schröter kam.© Niklas Ottersbach
Bei Silke Schröter gibt es dafür auf 100 Quadratmetern neonbeleuchteter Ladenfläche jede Menge andere Dinge: Eierlikör, Kakao, Suppen und sogar tellergroße Porzellan-Schwäne. Doch insgesamt sind die Regale nur zum Teil gefüllt. Silke Schröter nimmt es sportlich, schließlich hat sie keinen Großhändler an der Hand, sondern nur einen regionalen Lieferanten.
"Wir kriegen nicht jeden Artikel ran, die Belieferung stockt etwas, nicht nur Toilettenpapier, Taschentücher, Küchenrolle, sondern auch Backhefe frisch oder trocken oder auch Milch lässt teilweise auf sich warten. Und dadurch sehen die Regale noch so leer aus."
Dennoch: Die Kunden stehen teilweise Schlange. Klar, Corona-Regeln. Aber die Leute in Angern sind froh über die Rückkehr ihres Dorfladens.
"Das ist eine Errungenschaft für Angern, auch für die Älteren, die können jetzt wieder hier einkaufen gehen, ganz toll."
"Jetzt geht´s wieder los, wir freuen uns alle, Mann, das ganze Dorf ist glücklich, wir freuen uns."
"Das hat mir sehr gefehlt, wenn man mal bloß 'ne Kleinigkeit braucht, hat man mal gleich gegenüber was. Ich finde es sehr gut, ich hab's bedauert, dass der andere Laden weg war."

Eine Demo für den Dorfladen

Der andere Laden, das war der alte Konsum, der vor einem Jahr Knall auf Fall geschlossen hat. Die Angeraner haben sogar für die Rückkehr ihres Dorfladens demonstriert. Doch es fand sich lange kein Nachfolger, bis Silke Schröter kam.
Und dann kam auch noch Corona. Während andere Selbstständige Soforthilfen beantragen, wagt Silke Schröter den Schritt in die Selbstständigkeit. Noch wartet sie auf den Existenzgründer-Zuschuss vom Jobcenter, auf den Fördermittel-Zuschuss vom Land verzichtet sie sogar freiwillig. Das Verfahren: viel zu kompliziert.
"Wie mutig? Ja, wahrscheinlich sehr mutig. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, von Seiten der Gemeinde und auch von den Angeranern wurde mir von Anfang an Mut zugesprochen und gesagt und immer wieder beteuert, dass der Konsum im Vorfeld auch immer gut gelaufen ist. Und das kann ich nach 14 Tagen auch bestätigen, dass der Bedarf da ist."
Silke Schröter hat 20 Jahre an der Käsetheke im Supermarkt gearbeitet. Die 46-Jährige hatte schon länger vom eigenen Laden geträumt, aber erst als ein guter Freund von ihr schwer krank wurde, hat sie gemerkt: Jetzt oder nie.
"Ich habe einen ganz lieben Freund gehabt, der leider am Eröffnungstag verstorben ist, der hat mich letztes Jahr gefragt, was eigentlich mein Traum war, was ich eigentlich machen wollte. Und da schoss es wie aus der Pistole heraus, eigener Tante-Emma-Laden und raus aus dem Angestellten-Verhältnis. Und da sagt er, dann mach doch. Und hier kann ich mich entfalten und kann ein bisschen machen, was ich möchte."

Zuzug statt Abwanderung

Der Laden läuft bisher. Was auch daran liegt, dass Angern nicht in einer strukturschwachen Gegend liegt. Angern ist ein intaktes Dorf mit Fleischer, Sportverein und freiwilliger Feuerwehr. Gefehlt hat nur noch der Dorfladen, sagt Bürgermeister Egbert Fitsch.
"Entgegen dem Trend in Land, das also eine Abwanderung stattfindet, haben wir das Gegenteil, dass wir sehr viele junge Leute haben, die hierherziehen möchten. Die Nähe nach Magdeburg ist natürlich angebracht. Unser Problem ist, ich habe keine Baugrundstücke, die ich den Leuten zur Verfügung stellen kann."
Der Dorfladen: eine Erfolgsgeschichte in der Corona-Krise? 100 Kilometer südwestlich von Angern hat die Dorfladen-Euphorie schon die ersten Corona-Dämpfer bekommen.
Hier, im ehemaligen Grenzgebiet im Vorharz, liegt Deersheim. 700 Einwohner. Vor 4 Jahren hat der Dorfladen in Deersheim wieder geöffnet.
"Was für Arbeit da drin gesteckt hat und noch drinne steckt."

Ein Dorfladen als Vorzeigeprojekt

Hans-Jürgen Müller ist einer der Macher und Mitglied im Aufsichtsrat. Er und seine Deersheimer haben einen alten verfallenen Ochsenstall zum Dorfladen umgebaut. Das Besondere hier: der Laden ist ein Genossenschaftsprojekt.
"Der Laden gehört der Genossenschaft. Gehört also nicht irgendeinem, sondern 150 Bürgern dieses Dorfes. Und das ist besonders wichtig in der Corona-Krise, weil die Leute kaufen in ihrem eigenen Laden auch ein."
Der Dorfladen in Deersheim hat 2016 landesweit für Aufsehen gesorgt. Der Ministerpräsident kam zur Eröffnung, es gab den Demografiepreis des Landes Sachsen-Anhalt. Das Signal: In einem Bundesland, das die Folgen der Wende härter gespürt hat als andere – Abwanderung, Überalterung, sterbende Dörfer - geht es nun wieder aufwärts.
Doch schwarze Zahlen schreibt der Laden in Deersheim trotzdem nicht. Denn Hans-Jürgen Müller und seine Deersheimer haben ein Problem, und das sind die vier leeren Kaffeetische im Laden.
"Früher hat man sich auf dem Friedhof getroffen und mal einen Schlag erzählt. Heute treffen sich die Jungen, die Senioren, die Handwerker hier, die zum Frühstück kommen, wenn denn der Laden offen hat. Das heißt, das Café auf hat. Wir müssen ja in der Corona-Krise das Cafe schließen, was uns natürlich gewaltig belastet, weil vom Ein- und Verkauf kann der Laden kaum existieren, wir brauchen die Einnahmen aus dem Café."

"Der Laden der Bürger dieses Ortes"

Der Dorfladen in Deersheim hat vier bezahlte Mitarbeiter und nochmal 35 ehrenamtliche. Ohne sie würde das Konstrukt Dorfladen Deersheim nicht funktionieren. Dieses Miteinander gab es nach der Wende so nicht, weil der alte Konsum auf einmal eine GmbH wurde.
"Das ist ja an eine Gesellschaft gegangen, PUG hieß die dann, und die hat den Laden betrieben. Das war der Laden von PUG und nicht unser Laden. Und das ist der große Vorteil, dass das unser Laden ist, das ist der Laden der Bürger dieses Ortes."
Gemeinschaftlich könne man wirtschaftlich schwierige Zeiten eben besser abfedern. Und das spricht sich rum. Seit der Eröffnung des Deersheimer Dorfladens bekommt Hans-Jürgen Müller sechs bis sieben Anfragen pro Jahr von anderen Dorfladen-Initiativen. Überwiegend aus Sachsen-Anhalt, aber auch aus Niedersachsen. Geschichten des Scheiterns gehören auch dazu, zum Beispiel aus dem Nachbardorf von Deersheim.
"Fünf Kilometer von uns in Hessen, da haben sich welche selbstständig gemacht, der Laden existierte drei bis vier Jahre. Das erste Jahr lief gut, das zweite ging noch, das dritte wurde schon schwierig, weil die Leute sagen, ich kann ja auch woanders hinfahren, das ist ja nicht mein Laden. Und warum soll ich die hier reich machen. Also das ist ein Verhältnis, wie man im Dorf miteinander klarkommt. Und Sie wissen auch, im Dorf, Neid spielt manchmal auch eine Rolle und deswegen ist es wichtig, dass man zusammenhält."
Eine Innenansicht des Ladens. Im Vordergrund stehen Tische und Stühle, dahinter eine Frischetheke und im Hintergrund Regale mit Waren.
Das Konzept des Dorfladens kehrt zurück - schön gestaltet, wird er auch zum Treffpunkt für die Dorfbewohner.© Niklas Offersbach
Zurück in Angern. Das mit dem Zusammenhalt ist auch für Dorfladen-Gründerin Silke Schröter wichtig. Der Unterschied: Sie hat zwar eine wohlwollende Dorfgemeinschaft im Rücken, aber Unternehmerin ist nur sie. Und das bedeutet, sie und ihre Familie sind rund um die Uhr im Einsatz.

Der Laden, ein Lebenstraum

"Bin auch abends länger hier, auch an Wochenenden und Feiertagen, Bestellungen machen oder Buchführung, ansonsten habe ich Unterstützung von meiner Familie und liebe Freunde helfen auch mal spontan aus, wenn es ein bisschen eng wird."
Der Dorfladen in Angern: Für Silke Schröter ist er ein Herzensprojekt, ein Lebenstraum, dem sie derzeit alles unterordnet. Sie wird einen langen Atem brauchen.
Pläne für die Zukunft hat sie jedenfalls schon: Mehr regionale Lebensmittel und – genau wie in Deersheim - auch ein kleines Café im Dorfladen. Wenn es die Abstandsregeln wieder zulassen, soll hier der neue Treffpunkt in Angern werden. Irgendwann, wenn Corona vorübergeht.
Mehr zum Thema