Türkeistämmige in Deutschland zum Referendum

"Ich schaue türkisches Fernsehen"

Ein Screenshot - Präsident Erdogan währen der Sendung mit zwei Interviewern im TV-Studio.
Im türkischen Fernsehen omnipräsent: Präsident Tayyip Erdogan © Screenshot / Deutschlandradio
Von Kemal Hür · 13.04.2017
In Deutschland können mehr als 30 türkische Fernsehprogramme über Satellit empfangen werden. Und das nutzen viele der 1,4 Millionen in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger. Auch über das in der Türkei stattfindende Referendum informieren sie sich vor allem über türkische Medien.
In der alevitischen Gemeinde in Kreuzberg läuft auf zwei Monitoren ununterbrochen türkisches Fernsehen. Hüseyin Yapıcı schaltet mehrmals um, aber das Bild bleibt das gleiche. Der türkische Staatspräsident Erdoğan spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung. Die Aleviten sind traditionell gegen seine islamisch-konservative Politik. Denn er erkennt die Aleviten als eigenständige Glaubensgemeinschaft nicht an. Die alevitischen Kinder müssen in der Türkei den islamischen Religionsunterricht besuchen. Aber wenn man türkisches Fernsehen schaut, kommt man nicht umhin, Erdoğan zu hören, sagt Hüseyin Yapıcı, von der alevitischen Gemeinde in Berlin.
"Die wenigen Medien, die angeblich noch unabhängig sind, zensieren sich selbst, damit sie nicht geschlossen werden. Sie berichten nichts, was ihnen zur Last gelegt werden könnte. Sie senden keine regierungskritischen Berichte. Ich weiß nicht, ob das Ergebnis des Referendums daran etwas ändern wird. Bis dahin werden wir aber gezwungen sein, 24 Stunden lang Erdoğan zu hören."
In der Türkei sind die Medien gleichgeschaltet. Es gibt nur noch zwei, drei Fernsehsender, die dem Lager der Erdoğan-Gegner zuzurechnen sind. Aber auch sie trauen sich nicht, Erdoğans Wahlkampfauftritte völlig auszublenden.

"Das Fernsehen ist die Informationsquelle Nummer eins"

In Deutschland können mehr als 30 türkische Fernsehprogramme über Satellit empfangen werden. Eine Untersuchung des privaten Meinungsforschungsinstituts Data4U kommt zu dem Ergebnis, dass knapp 80 Prozent der türkeistämmigen Menschen in Deutschland Fernsehprogramme über Satellitenantennen empfangen. Das Fernsehen ist die Informationsquelle Nummer eins, sagt die Geschäftsführerin von Data4U, Umut Karakaş.
"Es ist so, dass die Türkeistämmigen in Deutschland sich eher über die eigenen, sprich über die türkischen Medien informieren, insbesondere über das türkische Fernsehen. Es ist bei der türkischen Zielgruppe in Deutschland und auch in Europa so, dass zu fast 90 Prozent die eigenen Medien konsumiert werden. Und in den letzten Jahren hat das sogar zugenommen."
Vor einer Moschee in Berlin-Kreuzberg lässt sich dieses Ergebnis schnell verifizieren. Männer, die draußen auf das Gebet warten, erzählen, dass sie sich fast ausschließlich über das türkische Fernsehen informieren. Der Taxifahrer Musa Yaman hört nur während der Fahrt deutsche Radioprogramme, sagt er.
"Ich lese schon lange keine Zeitungen mehr. Ich schaue türkisches Fernsehen, und hauptsächlich die Nachrichtenprogramme, an erster Stelle natürlich das staatliche Fernsehen."

"Das ist eine Sache der Türken"

Yaman lebt seit 36 Jahren in Berlin, ist Kurde und ein Anhänger Erdoğans. Unter seiner Regierung sei die Türkei wirtschaftlich enorm gewachsen, sagt er. Sein Bekannter Yunus Çelik, der für die Verfassungsänderung gestimmt hat, meint, er vertraue den deutschen Medien nicht. Sie würden nur negativ über die Türkei berichten.
"Die Angelegenheiten der Türkei haben Deutschland nicht zu interessieren. Das ist eine Sache der Türken. Ich gehe als türkischer Staatsbürger zur Wahl, stimme ab, wie es mir passt. Was geht das die deutsche Regierung, was geht das Deutschland an?"
Çelik lebt seit 32 Jahren in Deutschland und ist Unternehmer. Sein Vater will nicht ins Mikrofon sprechen. Wenn deutsche Journalisten seine Meinung über Erdoğan hören wollen, dann doch nur, um Erdoğan und seine Anhänger zu verteufeln, sagt er.
Neben der Moschee hilft der 19-jährige Jura-Student Umut Yılmaz im Kiosk seiner Eltern mit. Er hat die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft und hat gegen die Verfassungsänderung gestimmt. Erdoğan wolle die Gewaltenteilung aufheben, sagt er. Er bezieht seine Informationen hauptsächlich aus den sozialen Netzwerken.

Keine unabhängige Berichterstattung mehr

"Facebook, Youtube. Es gibt ja auf Youtube auch Kanäle, die wöchentlich einen Überblick schaffen, indem sie erzählen, was gerade auf der Welt geschieht. Da hat man auch eine gute Möglichkeit, Informationen zu sammeln."
Im Vereinshaus der Alevitischen Gemeinde verlässt Hüseyin Yapıcı den Aufenthaltsraum mit den zwei Fernsehmonitoren und setzt sich an seinen Arbeitstisch. Auch er informiert sich inzwischen mehrheitlich über die sozialen Netzwerke – auch über die Portale, die in Deutschland von türkischen Exiljournalisten wie Can Dündar betrieben werden. Aus der Türkei komme schon lange keine unabhängige Berichterstattung mehr.
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