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Personalmangel an der Uni-Klinik Tübingen
Warnstreik am Krankenbett

An der Uni-Klinik Tübingen herrscht nur noch "Notbetrieb". Abgesehen von unaufschiebbaren, dringenden Fällen wurde die Arbeit niedergelegt und nach einem entsprechenden Aufruf durch die Dienstleistungsgewerkschaft verdi die "unzumutbaren Arbeitsbedingungen" bestreikt. Gefordert wird dabei: mehr Personal und weniger Druck.

Von Thomas Wagner | 13.12.2017
    Drei Pflegerinnen am Bett eines Patienten
    In der Pflegebranche gibt es nicht nur Personalmangel, sondern auch eine Menge Druck und Überstunden. (imago / Rainer Weißflog)
    "Dass man es auch wirklich sieht. Dass es auch die Patienten gut sehen. Naja, da haben wir ja extra die Patienteninfos verteilt von heute morgen um halb Sechs an bis Acht, dass die wissen, dass wir heute streiken...."
    Uni-Klinik Tübingen, später Vormittag: Vier junge Frauen ziehen von Gebäude zu Gebäude, kleben Plakate an die Eingänge. Aufschrift in großen Buchstaben: Warnstreik.
    "Wir setzen uns dafür ein, dass wir auf den Stationen und in den Funktionsbereichen in den OP's einfach genügend Personal haben, um die Patienten einfach angemessen zu versorgen. Deswegen findet heute in Tübingen der Warnstreik statt."
    Es geht um eine Art 'permanenten Pflegekräfte-Notstand', den die Mitarbeiter nicht mehr länger hinnehmen wollen, erklärt Lena Maier, freigestellte Personalrätin am Uniklinikum Tübingen - ein permanenter Pflegekraftnotstand mit drastischen Folgen:
    "Es gibt Patienten, die zu spät ihre Medikamente kriegen. Es gibt Patienten, die länger als notwendig in ihren Ausscheidungen liegen müssen, weil die Kolleginnen und Kollegen nicht hinterher kommen, um sie auf sie Toiletten zu begleiten oder sie danach wieder frisch zu machen. Pausen können nicht genommen werden. Es müssen viele Überstunden gemacht werden. Das sind die Konsequenzen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind und die uns die Beschäftigten mitteilen."
    Kompensierung durch Pausenverzicht
    Und bei den Beschäftigten ist die Resonanz auf den Aufruf zum Warnstreik nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft verdi riesengroß: Über 1300 Mitarbeiter melden sich im Streiklokal. Personalmangel, Arbeitsverdichtung, keine Pausen mehr - das, erzählen viele, erlebten sie jeden Tag. Fabian Kiehne arbeitet als Kinderpfleger in der Abteilung für Kinder-Onkologie:
    "Wir sind viel zu wenig Leute für die viele Arbeit, die anfällt. Viele Beschäftigte kompensieren das damit, dass sie ihre Pausen nicht nehmen, dass sie Überstunden machen. Ich war jetzt gestern drei Stunden länger da, vorgestern zwei Stunden länger auf der Arbeit, am Sonntag habe ich keine Pause gemacht. Also wir machen Abstriche bei unseren persönlichen Sachen, damit wir einigermaßen auch die Patienten versorgt kriegen. Und in vielen anderen Bereichen schaffen das die Leute nicht einmal mehr durch solche Kompensationen. Sondern da bleibt wirklich Arbeit liegen. "
    Ein junger Mann Anfang 30, der als Intensivpfleger arbeitet, steht daneben, nickt zustimmend. Er ist im Aufwachraum tätig, betreut Patienten nach Operationen. Seinen Namen möchte er lieber nicht nennen.
    "Es ist teilweise ziemlich hart. Wir bekommen regelmäßig Intensivpatienten, die eigentlich unbedingt einen Intensivplatz benötigen. Dann kriegen wir aber die Mitteilung: Es gibt keinen Intensivplatz. Also müssen wir den fit für die Normalstation machen. Und dann kommt er auf Normalstation. Und das war's."
    Die Forderung nach mehr Personal bisher ins Leere gelaufen
    Beobachtungen, die Krankenschwestern und Pfleger nach Angaben der Dienstleistungsgesellschaft verdi nicht nur in Tübingen machen, sondern auch an übrigen baden-württembergischen Uni-Kliniken in Ulm, Freiburg und Heidelberg. Bisher, beklagt sich Benjamin Stein, Bezirksgeschäftsführer der Dienstleistungsgesellschaft verdi, sei die Forderung nach mehr Personal ins Leere gelaufen:
    "Seit Sommer diesen Jahres diskutieren wir mit der Arbeitgeberseite. Die bewegen sich aber keinen Millimeter. Sie haben uns ein unverschämtes Angebot gemacht. Und zwar haben sie 100 Stellen für alle vier Unikliniken im Land zugesagt. Das bedeutet für Tübingen vor Ort, dass 22 Stellen für 96 Stationen an Personal mehr kommen würden. Das heißt: Pro Station nicht mal ein Viertel-Kopf mehr."
    Und das sei nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. In der laufenden Tarifauseinandersetzung mit Uniklinika, dem Arbeitgeberverband der vier baden-württembergischen Uni-Kliniken, fordert verdi die Festschreibung im Tarifvertrag, wie viele Patienten auf eine Pflegekraft kommen - und wie zu reagieren ist, wenn dieser Schlüssel nicht erfüllt wird. Das allerding ist leichter gefordert als getan:
    "Wir würden jede examinierte Schwester und Pfleger nehmen, der zu uns kommt", betont Professor Michael Bamberg, ärztlicher Direktor an der Uni-Klinik Tübingen. Das Problem dabei:
    "Man muss dazu auch sagen, das examinierte Pflegekräfte, und darum geht es verdi ja hauptsächlich, auf dem Markt kaum zu finden sind."
    Im Übrigen sieht der Klinik-Chef die Politik in der Pflicht, alsbald etwas zu tun: "Wir fordern von der Politik seit Jahren mehr Pflegekräfte im Krankenhaus, weil die Verdichtung in den Arbeitsabläufen massiv zugenommen hat. Als Haus der Maximalversorgung betreuen wir schwerstkranke Patienten Tag und Nacht. Insofern ist auch die Belastung der einzelnen Pflegekräfte deutlich gestiegen. Bisher hat die Politik nur bedingt reagiert. Sie wollen eine Milliarde ausschütten."
    Projekt auf Eis gelegt
    Dies habe Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zwar angekündigt. Nur: Bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung sei das Projekt erst mal auf Eis gelegt - für betroffene Pfleger wie den Tübinger Fabian Kiehne nicht wirklich ein Trostpflaster. Er setzt daher eher auf die Wirkung des heutigen Warnstreiks.
    "Wir möchten erst mal, dass durch unseren Betrieb ein Ruck geht. Der Arbeitgeber muss Mindeststandards festlegen, dass wir unsere pause nehmen können. Ich erhoffe mir da sehr viel von der Streikmaßnahme heute, ja."