Archiv

Teatro Espanol Madrid
Das Lampenfieber des Mario Vargas Llosa

Ungewohnte Rolle für Mario Vargas Llosa: Der peruanische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger steht zum ersten Mal als vollwertiger Schauspieler auf der Bühne. In seinem Theaterstück "Die Geschichten von der Pest" im Madrider Teatro Español verkörpert der 78-Jährige den alten Herzog Ugolino, der um eine unmögliche Liebe kämpft.

Von Paul Ingendaay | 29.01.2015
    Der Autor und Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa
    Der Autor und Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa (AFP / Jewel Samad)
    "Ich war bei den Kreuzzügen dabei, und mein Körper ist von Narben übersät. Ich war der erste Florentiner, der der Pestilenz zum Opfer fiel."
    Noch nie in seinem ganzen Leben habe er so viel Angst gehabt, erzählte Mario Vargas Llosa wenige Tage vor der Madrider Premiere seines Theaterstücks "Die Geschichten von der Pest" nach Boccaccios "Dekameron". Der Grund: Zum ersten Mal wollte der 78-jährige Literaturnobelpreisträger als vollwertiger Schauspieler auf der Bühne stehen - nicht als Erzähler mit einem ehrwürdigen Buch in den Händen, nicht als Vertreter des Autors, dem ein paar Märchenonkelgesten genügen wie bei früheren Gelegenheiten.
    Zwei Stunden im Teatro Español
    Nein, diesmal verkörpert Don Mario, wie sie ihn hier ehrfürchtig nennen, den alten Herzog Ugolino, der in Szenen frei nach Boccaccios "Dekameron" um eine unmögliche Liebe kämpft. Man schreibt das Jahr 1348. Drüben, in Florenz, wütet die Pest. Doch hier draußen erzählen sich fünf Menschen - halb so viel wie bei Boccaccio - Geschichten von der Liebe und anderen Missgeschicken. Natürlich hat sich der Autor eine altersgemäße Rolle reserviert: Weiß ist das edle Haar, welches das Haupt des Herzogs mit einer gewissen Weizsäckerhaftigkeit umschließt, so weiß wie das lange Gewand, in dem der peruanische Schriftsteller diese zwei langen Stunden im Teatro Español bestreitet. Und er spricht gut, er verhaspelt sich nicht, das alles macht ihm erkennbar Spaß. Am Ende, beim qualvollen Tod der Angebeteten, darf Mario Vargas Llosa sogar echte Emotionen zeigen.
    "Anita! Was ist mit dir? Was hast du? Aber ... du glühst ja! Hilfe! Zu Hilfe! Ruft die Ärzte! Schnell. Jetzt sofort! Anita. Anita, wie geht es dir? Was hast du? Nein ... Das kann nicht sein. Sie nicht, Herr! Nicht Anita! Ich bitte dich! Ich flehe dich an!"
    Viele hundert Seiten hat Vargas Llosa den Büchern anderer Autoren gewidmet, ob Essays, Zeitungskolumnen oder Bühnenstücke. Das "Dekameron" von Boccaccio erschien ihm schon seit der ersten Jugendlektüre als immens theatralisches Werk - ein idyllischer Ort am Rand der Gefahrenzone, an dem man sich Geschichten erzählt, um die schlimme Wirklichkeit zu vergessen. Doch der erste Teil der Aufführung kommt steif, erhaben und langweilig daher. Keine Bilder, sondern sehr viel Text. Hohe Ideen von der Freiheit der Fiktion - aber keine Anschauung. Und man erinnert sich an die letzten Romane des Autors, die so viel matter waren als sein Frühwerk.
    Platz für Witz, Burleske und Klamauk
    Doch dann setzt sich die Theatralik gegen den staubigen Text durch. Der Regisseur Joan Ollé lässt seinen fabelhaften Schauspielern Platz für Witz, Burleske und Klamauk. Das Publikum wacht auf. Die Rundbühne, die an eine Stierkampfarena erinnert, wird endlich zum Raum für die Spiele der Fantasie, die das Stück so wortreich beschwört.
    Zum Beispiel die nicht wahnsinnig originelle, aber schön versaute Geschichte von den jungen Nonnen und dem taubstummen Gärtner: Sie bringt die Zuschauer zum Brüllen. Vargas Llosas lateinamerikanische Frivolität wächst auf dem selben Holz wie sein aufklärerisches Pathos: Nichts geht über die Freiheit. Es hilft allerdings, wenn sie nicht gepredigt wird, sondern sich in der Komödie austauben darf. So endet das Wagnis des beliebten Schriftstellers nicht in einer Peinlichkeit, sondern in einem respektablen Theaterabend, beklatscht vom spanischen Kulturminister, der Bürgermeisterin von Madrid und anderen wichtigen Leuten.
    Nach dem Schlussapplaus dankt Mario Vargas Llosa allen, die ihm bei diesem Abenteuer geholfen haben. Bis Anfang März will er jetzt fünfmal die Woche auf der Bühne stehen. Es ist ein schönes Bekenntnis zum Theater und damit zu der Kunst, in der man kaum etwas simulieren kann. Nur seine Frau ist nicht dabei. Aus Angst vor der möglichen Blamage ihres Mannes zog sie es vor, den Kontinent zu wechseln.