Dienstag, 19. März 2024

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WM-Berichterstattung von ARD und ZDF
"Mir fehlt kritische Begleitung des Events"

Stefan Kuntz und Philipp Lahm als TV-Experten zur Fußball-WM? Eine "nicht glückliche" Wahl, findet Medienwissenschaftler Jörg-Uwe Nieland. Beide stünden nicht für den "kritischen Part", sagte Nieland im Dlf. Auch sonst erfüllten ARD und ZDF ihren Auftrag zu wenig.

Jörg-Uwe Nieland im Gespräch mit Sebastian Wellendorf | 24.04.2018
    Thomas Hitzlsperger (l-r), Stefan Kuntz und Hannes Wolf, ARD-Experten für die Fußball-WM 2018 in Russland.
    Thomas Hitzlsperger (l-r), Stefan Kuntz und Hannes Wolf, ARD-Experten für die Fußball-WM 2018 in Russland. (picture alliance / Christian Charisius/dpa)
    Sebastian Wellendorf: Es geht um die Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen, um ARD und ZDF. Aus ihrer Sicht und vielleicht auch mit der Erfahrung der Berichterstattung, was die letzten Groß-Events dieser Art betrifft - was kritisieren Sie an der Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen?
    Jörg-Uwe Nieland: Mir fehlt, sobald die Wettbewerbe laufen, ein Stück weit die kritische Begleitung des Events. ARD und ZDF leisten sehr Vieles und sehr Gutes im Vorfeld der Wettkämpfe. Das hat man vor allem bei den Olympischen Spiele gesehen. Da wird auf Umweltzerstörung, da wird auf Umsiedlung, da wird auf schlechte städtische Planung hingewiesen, auf Sicherheitsprobleme in Brasilien, und so weiter und so fort. Aber sobald die Wettkämpfe am Start sind, sobald die Olympische Flamme brennt, sobald der Ball rollt, sieht man davon wenig im Begleitprogramm. Diese kritische Funktion ist aber gerade für die Öffentlich-Rechtlichen nach meinem Dafürhalten sehr wichtig. Es muss nicht geleistet werden in der Live-Berichterstattung, bei der Übertragung. Vielleicht auch nicht immer im Gespräch mit den Experten. Aber ich finde es schade, dass dieser Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags zumindest während der Spiele etwas untergeht.
    Wellendorf: Das heißt, Sie wünschen sich die kritische Berichterstattung konkret im direkten Umfeld der Spiele-Berichterstattung?
    Nieland: Ja, weil ich glaube, das gehört zum Bild des Sports dazu, dass auch darauf hingewiesen wird, wo Korruption vorherrscht, wo das Sportsystem eines Landes dem Dopingvergehen Tor und Tür öffnet - wie im Fall von Russland. Wo es Korruption beim Stadionbau gibt, wo es Ausschreitungen der Zuschauer gibt, und so weiter und so fort. Ich glaube, dass ARD und ZDF auch sehr kritisch mit den Bildern, die die Fifa und Uefa zur Verfügung stellt, umgeht. Das ist gegenüber vielen privaten Anbietern ein Fortschritt, wie ich finde. Also wenn es tatsächlich Transparente im Stadion gibt oder Ausschreitungen, wird das mit eigenen Kameras eingefangen. Von dieser Art der Berichterstattung würde ich mir mehr wünschen.
    Der Medienwissenschaftler Jörg-Uwe Nieland arbeitet am Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Deutschen Sporthochschule Köln und am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Sport- und Medienpolitik.
    "Für den kritischen Part stehen sie nicht"
    Wellendorf: Sie haben jetzt schon einige Punkte angesprochen, was Sie kritisieren bzw. was Sie sich im konkreten Fall Russlands wünschen. Das ist der eine Aspekt, der aus Ihrer Sicht möglicherweise nicht besonders gut oder ausreichend abgedeckt ist. Der andere Aspekt, und das haben Sie jetzt gerade auch schon mit einem Halbsatz angesprochen, ist ja die Objektivität: die Frage, inwiefern ARD und ZDF überhaupt objektiv berichterstatten können. Da ist zum Beispiel das Thema mit der Kameraführung, das haben Sie angesprochen, dass quasi vorgefertigte Bilder angeboten werden. Das andere ist, und das wissen wir jetzt seit gestern, dass Experten, sogenannte ARD-Experten im Team sind, die möglicherweise dann doch nicht so frei sind in ihrer möglichen Kritik, zum Beispiel Philipp Lahm und Stefan Kuntz, der ja immer noch U21-Nationaltrainer ist. Und beide sind verbandelt mit dem DFB. Ist das aus Ihrer Sicht ein Problem, was deren Objektivität betrifft?
    Nieland: Wenn man es unter wissenschaftlichen Aspekten sieht: ja, finde ich nicht glücklich. Die Wahl dieser Experten ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass sie sehr eloquent und sehr bekannt sind, dass sie wahrscheinlich auch sehr gut mit den übertragenden Journalisten zusammenarbeiten können. Das ist natürlich auch eine wichtige Voraussetzung. Gleichwohl: Für den kritischen Part stehen sie nicht.
    "Im Vergleich mit anderen Ländern weit vorne"
    Wellendorf: Warum, glauben Sie, tun sich die Öffentlich-Rechtlichen so schwer? Geht es da um die Angst, dass es die Leute nicht sehen wollen? Geht es um den Verlust von Zuschauern? Oder geht es da auch um den Druck der, ich sage mal Wirtschaftsbetriebe, die dahinterstehen, also DFB, Fifa, möglicherweise politischer Einflussnahme im diesem Fall seitens Russlands?
    Nieland: Es ist wahrscheinlich eine Kombination von allen genannten Faktoren. Nur jeder dieser Faktoren darf eigentlich - nach meinem Dafürhalten - die Entscheidung von ARD und ZDF, den Sport kritisch zu begleiten, wirklich kritischen Sportjournalismus zu betreiben, nicht unterlaufen oder verhindern. Weil es eben im Auftrag von ARD und ZDF ist, diese Beobachtung für die Gesellschaft zu leisten, den öffentlichen Diskurs anzustoßen - und dazu gehört nicht nur die Diskussion über das Spielsystem, sondern da gehört auch dazu kritische Begleitung von Sport als Wirtschaftsfaktor, der Instrumentalisierung des Fußballs durch Politik und so weiter und so fort. Das heißt am Ende des Tages aber nicht, dass ich das bei der ARD und beim ZDF überhaupt nicht sehe. Ganz im Gegenteil: Wenn man das vergleicht mit der Berichterstattung in anderen Ländern oder bei den Privaten, dann sind ARD und ZDF sicherlich weit vorne.
    Noch mal auf die Experten zurückgekommen: Da fand ich die Meldung, die vom ZDF kam, souveräner. Sebastian Kehl wird nicht während der WM seine Expertenrolle wahrnehmen, weil er einen Posten beim BVB übernehmen wird, und scheidet deswegen aus dem Experten-Team von ARD und ZDF aus. Das finde ich konsequent und richtig. Ich weiß, die ARD hat gute Erfahrungen mit Delling und Netzer gemacht. Und es war sicherlich unterhaltsam, wie die beiden sich die Bälle in der Vor- Und Nachberichterstattung zu den Länderspielen zugespielt haben. Aber Günter Netzer ist nicht jemand, der zum Beispiel über die Vergabe von TV-Rechten oder so sich kritisch hätte geäußert, weil er da selber involviert ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.