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Reformation in Serie
Luthers Thesen - neu gelesen (84)

Die katholische Theologin Johanna Rahner, die Reformationsbotschafterin Margot Käßmann und der islamische Theologe Mouhanad Khorchide kommentieren Martin Luthers 84. These.

13.10.2017
    These 84: "Was ist das für eine neue Barmherzigkeit Gottes und des Papstes, dass sie einem Gottlosen und einem Feindseligen um Geldes willen zugestehen, eine fromme und Gott befreundete Seele loszukaufen? Gleichwohl befreien sie diese fromme und geliebte Seele nicht aus uneigennütziger Liebe um deren eigener Not willen."
    Johanna Rahner, katholische Theologin: "Was ist größer: die seelsorgerliche Not oder die kirchliche Gier? Zielsicher steuert Luther auf den eigentlichen Zündstoff der Ablassfrage zu, den mit Eigennutz und Geldgier verbundenen Handel. Dass der von Anfang an eigentlich verboten war, ist den Zeitgenossen klar. Luther vertritt daher in seiner Kritik nichts anderes als den theologischen common sense. Das aber vergisst man gerne angesichts des so wunderbar in Szene zu setzenden rebellischen Mönchs mit dem Hammer in der Hand."
    Margot Käßmann, Reformationsbotschafterin: "Es bleibt absurd, dass man, wenn man was Schwieriges, Schlimmes getan hat, sich davon freikaufen kann – von der eigenen Schuld – durch Geld. Es geht eigentlich darum, dass Du wirklich umkehren sollst, weil Du bereust – persönlich. Das ist eine ganz andere Frage: von Schuld frei werden durch persönliche Reue, die dann einen Neuanfang ermöglicht."
    Mouhanad Khorchide, islamischer Theologe: "Man erlebt ähnliches vor allem beim politischen Islam, dass es nicht wirklich um Frömmigkeit geht. Sondern: Wer sich unterwirft der politischen Linie, der wird als gesegnet erklärt, auch wenn er sich nicht wirklich an den spirituellen Inhalt der Religion hält oder diesen im Herzen trägt. Und das führt zu einer gewissen Aushöhlung, Entkernung der Religion. Und da, glaube ich, brauchen wir auch im islamischen Kontext die Säkularität, um die Religion selbst auch zu schützen vor diesem politischen Missbrauch – nicht nur, um die Politik zu schützen."
    Konzeption und Realisierung: Christiane Florin, Andreas Main, Christian Röther, Simonetta Dibbern